Pendeln für den Sport

von Dominique Roth 19. April 2016

Der Vereinssport in Prenzlauer Berg ist in der Krise. Belegte Sporthallen und Anlagen im Bau sorgen für Engpässe. Sportler, Trainer und Eltern sind gefrustet.

UPDATE

Der Sportplatz an der Ella-Kay-Straße bekommt in Kürze endlich seinen lang ersehnten neuen Kunstrasen: Der Kunstrasen soll Anfang Juli fertig sein! Wir wünschren allen Hockeybegeisterten viel Spaß und Erfolg! (Stand: 26.05.2016)

 

                                                                                  ***

 

„Entschuldigen Sie, wir müssen jetzt los“, gibt Heike Deutschmann in einem freundlichen, aber deutlichen Ton zu verstehen „Rouven ist sowieso schon 20 Minuten zu spät für sein Training“. Rouven, 16 Jahre, groß gewachsen, braune Haare, akkurater Kurzhaarschnitt, wirft sich die Tasche mit seinen Hockeyschlägern über die Schulter und läuft hinter seiner Mutter vom Spielfeld zum Auto.

„Sein eigenes Training geht genau jetzt los“, schiebt Deutschmann nach, als sie den Motor startet „aber eben auf dem Sportplatz an der Storkower Straße“. (Hier gibt es eine interaktive Karte zum Sport in Prenzlauer Berg.) Das Training, das Rouven selbst jedoch bis gerade gegeben hat, das findet an der Roelckestraße statt. Rouven engagiert sich beim SG Rotation Berlin sowohl als Spieler in der Juniorenmannschaft als auch als Trainer, in dieser Funktion betreut er die Knaben. „Obwohl ich ihn nicht immer von einem Training zum nächsten fahren muss“, sagt Deutschmann „bin ich ganz froh, dass mein anderer Sohn Fußball spielt. Da sind die Trainingsanlagen direkt bei uns ums Eck“.

 

Drei Hallen sind belegt, vier werden saniert

 

Es wird den Spielern, Betreuern und Eltern der Kinder, die einen Sport im Prenzlauer Berg ausüben, derzeit viel abverlangt. Sie müssen sich zurecht finden mit einem Trainingsbetrieb, der gleich durch mehrere Faktoren gestört wird. Drei der großen, für die Mannschaftssportarten geeigneten Sporthallen sind durch Geflüchtete belegt. Zwei weitere Turnhallen und eine Schwimmhalle werden saniert, genauso wie zwei Sportplätze im Bezirk. Hinzu kommt das strukturelle Problem, dass die Bevölkerung im Stadtteil wächst, aber keine weiteren freien Flächen für Sportanlagen zur Verfügung stehen. Flickschusterei, Trainingsausfall und Vereinsaustritte sind inzwischen Alltag.

Teilweise keimt zwar die Hoffnung auf, dass sich die Lage im Sommer entspannt, etwa durch die vom LaGeSo versprochenen Containerdörfer für die Flüchtlinge oder das Ende der Sanierung des Sportplatzes an der Ella-Kay-Straße. Aber in vielen Fällen kann das Bezirksamt keine konkreten Daten nennen, wann Anlagen wieder für den Sport genutzt werden können. Zu den drei belegten Sporthallen etwa in der Malmöer Straße, Wichertstraße und Winsstraße kann Bezirksstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) keine Angaben über einen Zeithorizont machen. „Wir wissen nicht, in welchem Maße diese Hallen nach dem Auszug der Flüchtlinge saniert werden müssen. Wir wissen nicht einmal, wann genau die Containerdörfer kommen.“

Die Baustelle für die Turnhallen in der Kniprodestraße. Foto: Dominique Roth

 

Constantin, von seinen Teamkameraden beim SV Pfeffersport nur Conni genannt, kommt heute etwas später. Als er von seinem Vater in die Werner Seelenbinder-Halle geschoben wird, haben sich die anderen „Rollikids“ schon in der Mitte der Halle versammelt und bekommen Bendel für das erste Spiel „Schwänzchen hasch“ verteilt. „Ich mag die Halle in der Winsstraße lieber“, sagt Conni trocken „da sind die Wege nicht so lang und verwirrend“. Davon abgesehen, fügt sein Vater an, seien sie aber sehr zufrieden mit der Ausweichhalle, in der Pfeffersport als Kompensation zur belegten Winshalle ein paar zusätzliche Hallenzeiten bekommen hat. „Wir halten es aus“, sagt er mit einem Augenzwinkern, um mit ernster Mine fortzufahren: „Man muss anderen Menschen helfen, sonst wird die Welt noch schlechter.“

Dass für die Rollikids und viele andere Gruppierungen von Pfeffersport überhaupt noch regelmäßiges Training stattfindet, liegt unter anderem an Christoph Pisarz. Der Verantwortliche für die Einteilung der Sportstätten des Vereins hat seit September ganze Arbeit geleistet. „Gerade zum Jahresende ging es hier drunter und drüber“, erinnert sich Pisarz „Nachdem uns mit der Sporthalle in der Malmöer Straße Anfang November und der Halle in der Winsstraße Ende November zwei immens wichtige Sportstätten innerhalb eines Monats nicht mehr zur Verfügung standen“.

 

10 000 Euro an Einnahmen entgangen

 

Dadurch konnte der Verein rund 1000 seiner 4600 Mitglieder zwischenzeitlich kein Training anbieten. Über Kooperationen, im Basketball etwa mit Alba Berlin, und Zusammenlegungen einzelner Kurse könnten heute jedoch wieder fast alle Mannschaften regelmäßig trainieren. „Bis auf die Kletterkurse“, so Pisarz „die fallen immer noch aus“. 10 000 Euro an Einnahmen seien dem Verein dadurch bislang entgangen, da sie den betroffenen Mitgliedern „natürlich auch die Monatsbeiträge erlassen mussten“.

Insbesondere die Halle in der Malmöer Straße sei ein Hotspot für Pfeffersport gewesen, der Verein hat sie jeden Tag von 16 bis 22 Uhr genutzt. „Es war ein enormer logistischer Aufwand den Sportbetrieb am laufen zu halten“, so Pisarz weiter „wir mussten Ausweichhallen für über die Hälfte unserer Teilnehmer finden.“ Und das bei einem Verein mit 4600 Mitgliedern. Hinzu kommt, dass viele Mitglieder bei Pfeffersport auf Einzelbetreuer angewiesen sind. Die Trainingszeiten sollten sich also wenn möglich nicht ändern. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Einzelbetreuer und Eltern zu anderen Zeiten die Kinder nicht fahren können, ist sehr groß“, erklärt Pisarz.

 

Zweimal wöchentlich nach Bernau

 

Eine weitere Herausforderung: Pisarz und seine Kollegen bei Pfeffersport mussten Lagerhallen finden, in denen sie beispielsweise Rollstühle und anderes Equipment für den Sportbetrieb unterbringen konnten. „Gott sei Dank hat sich ein Mitglied des Vereins kurzfristig bereit erklärt, die Sachen in seiner Doppelgarage unterzubringen“, sagt Pisarz. Seitdem fahren sie bei Pfeffersport jede Woche mindestens zweimal wegen der Rollstühle in diese Doppelgarage – nach Bernau.

Rouven, Heike Deutschmanns Sohn von der SG Rotation Berlin, ist inzwischen an der Storkower Straße angekommen und wärmt sich mit seinen Mannschaftskameraden auf. Auf einem Schulhof, neben dem Sportfeld, joggen sie ein paar Runden um Tischtennisplätze herum. Danach noch ein paar Liegestützen auf dem durch Wurzeln aufgeplatzen Teerboden. Eine gute Viertelstunde vertreiben sie sich so die Zeit, bevor endlich um halb sieben der Platz für sie reserviert ist – oder genauer gesagt für sie und eine der Mädchenmannschaften aus ihrem Verein.

„Wir sind derzeit auf vier Plätzen verteilt, und auf keinem sind wir der Hauptnutzer“, bringt Deutschmann das Dilemma der SG Rotation auf den Punkt. Ihr Hauptplatz an der Ella-Kay-Straße wird gerade saniert und zu einem hockeygerechten Kunstrasenplatz umgebaut. Eine Maßnahme, die dem einzigen Hockeyverein Ostberlins seit der Wende unter den Nägeln brennt. Hinzu kommt die derzeitige Sanierung eines Platzes auf dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, die sich noch bis Ende April hinzieht sowie die ewige Posse um die Sporthalle in der Sredzkistraße, in der für die Rotation auch einige Hallenzeiten hatte.

 

Bezirksstadträtin blitzt bei Senat ab

 

Die Lage führt sogar dazu, dass der Verein inzwischen einen temporären Aufnahmestopp für Mitglieder durchsetzen musste und das Eintrittsalter des Clubs dauerhaft von vier auf fünf Jahre gesetzt hat. „Es ist sehr schade, weil Hockey im Prenzlauer Berg großes Interesse weckt“, sagt Deutschmann „wir waren der schnellst wachsende Verein Berlins“.

Gerade in Bezug auf die im Behördendeutsch „ungedeckten Sportflächen“ sieht Bezirksstadträtin Zürn-Kasztantowicz im Prenzlauer Berg schwarz. „Dafür ist einfach kein Platz mehr vorhanden“, stellt sie nüchtern fest. Lediglich in der Peripherie könnten neue Sportanlagen entstehen. „Aber selbst da bin ich beim Haushaltsentwurf für 2016/2017 krachend gescheitert“, so die SPD-Politikerin weiter „Meine Vorschläge für eine großflächige Sportstätte in Karow wurden vom Senat überhaupt nicht weiter verfolgt.“

 

Vereine zwischen Hoffnung und Misstrauen

 

Die Vereine setzen deswegen ihre Hoffnungen nun vor allem in die im Bau befindlichen Turnhallen in der Kniprodestraße. Die Arbeiten an den Hallen sollen im September beendet sein. Gemeinsam mit der Halle in der Sredzkistraße und der Schwimmhalle in der Thomas-Mann-Straße sollen sie laut Zürn-Kasztantowicz „zum Ende des Jahres“ für eine Entspannung der Lage sorgen.

Darüber hinaus sind noch zwei weitere Sporthallen im Prenzlauer Berg geplant, in der Dietrich-Bonhöffer-Straße, in der Rudi-Arndt-Straße und in der Scherenbergstraße. Doch wann dort die Bauarbeiten beginnen können, geschweige denn die Hallen nutzbar sind, könne heute niemand vorhersehen, so Zürn-Kasztantowicz.

Die Vereine sind daher misstrauisch, was die versprochene Entspannung angeht. „Ich sehe die Gefahr, dass sich die Politik jetzt auf der Situation ausruht“, befürchtet etwa Christoph Pisarz von Pfefferwerk .„Die Vereine haben sich jetzt mit der Situation einigermaßen arrangiert. Aber wir dürfen nicht dauerhaft die Leidtragenden sein.“ Deutschmann bläst ins gleiche Horn: Die Geflüchteten haben das Problem mit unseren Sportstätten nur verschärft, der Grund dafür ist aber, dass die Politik Sport nur als Luxus ansieht.“

 

Falls Euch dieser Text wichtig ist:

Den Platz und die Zeit, um solche Texte zu schreiben, haben unsere Autoren nur dank Prenzlauer Bergern wie Euch. Denn die Prenzlauer Berg Nachrichten sind eine komplett werbefreie Online-Zeitung, die allein von ihren Lesern lebt.

Wenn Ihr mehr Debatten, recherchierte Geschichten und Nachrichten aus nächster Nähe haben wollt, setzt ein Zeichen, unterstützt uns und werdet hier Mitglied.

Um uns besser kennen zu lernen, könnt Ihr hier unsere Wochenpost abonnieren (die gibt es in abgespeckter Version nämlich auch für Nicht-Mitglieder). Jeden Freitag bekommt Ihr dann einen kompakten Newsletter mit den Neuigkeiten aus unserem Kiez, inklusive eines freigeschalteten Artikels. Oder folgt uns hier auf Facebook.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar