Das Grundstück gehört den Anliegern, sagt das Gericht. Eine Enteignung ist aber weiter möglich.
Aus Sicht des Bezirksamt haben sich mal wieder Einzelne mit Partikularinteressen zum Unwohl des Gemeinwohls durchgesetzt; Anwohner an der Ecke Oderberger Straße/Kastanienallee sehen ihr Recht auf Eigentum und Ruhe verwirklicht. Das Urteil jedenfalls ist eindeutig, das gestern Abend vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg verkündet wurde: „Der Hirschhof ist keine öffentliche Grünanlage“. Ein einfacher Satz, der einen Schlussstrich unter eine der emotionalsten Auseinandersetzungen im ganzen Kiez ziehen soll. Ob das gelingt, bleibt auch nach dem Urteil fraglich.
Prinzipiell ist der Hirschhof ein einfaches Hinterhofgrundstück, umgeben von Wohnhäusern und Gemäuer und mit dem Charme eines wilden Gartens. Schwer wiegt allerdings die historische Bedeutung des kleinen Stückes Land. In den 80er-Jahren entwickelte sich der Hirschhof zu einem Treffpunkt nicht nur für Künstler, sondern auch für DDR-Dissidenten. Im Garten entstanden politische Diskurse und, ganz plastisch, ein metallener Hirsch, ein Spielplatz und ein kleines Amphitheater. Ein Platz für jene, die hinter wildem Gestrüpp einen Rückzugsort vor staatlicher Kontrolle suchten.
Lose Blattsammlung als Beweis verworfen
Der Hirschhof, ein historischer Ort – und damit ein öffentlicher. So sehen es das Bezirksamt und viele Prenzlauer Berger, die die Fläche nutzen wollen, genau wie den angrenzenden Teil im Häuserdreieck zwischen Oderberger Straße, Kastanienalle und Eberswalder Straße.
Der Hirschhof, ein Garten, der mit dem Kauf der angrenzenden Wohnhäuser Privatbesitz ist. So sehen es die Wohneigentümer, die gegen das Land klagten, auch im Interesse der Mieter, die sich einen stillen Hinterhof wünschten. Nachdem die Hausbesitzer das Grundstück bereits unzugänglich machten und der Bezirk mit Enteignung drohte nun also die Entscheidung des Gerichts. Der „rückwärtige Grundstücksbereich des Grundstücks Kastanienallee 10 ist keine öffentliche Grün- und Erholungsanlage im Sinne des Berliner Grünanlagengesetzes von November 1997″. Das sagte auch schon das Verwaltungsgericht Berlin im Juni 2010, das Land Berlin ging daraufhin in Berufung.
Im Prozess zeigte sich, dass Verwilderung nicht nur im Hirschhof festzustellen ist, sondern ganz offenbar auch in der behördlichen Dokumentierung der Besitzverhältnisse desselben. So habe das Land eine handschriftliche Liste, bestehend aus mehreren losen DIN-A-4-Blättern“ vorgelegt, die „weder einen Aussteller noch ihre Funktion erkennen ließen, zudem inhaltlich keine entsprechenden Rückschlüsse zulasse“. Das Land wollte mit diesen Papieren beweisen, dass schon zu DDR-Zeiten der Hirschhof als öffentliches Gelände deklariert war. Das Land scheiterte damit wohl an einer Formfrage. Denn zusätzlich heißt es im Urteil des OVG, dass „viel dafür spricht“, dass der Hirschhof vor der Wende öffentlich zugänglich war.
Revision so gut wie ausgeschlossen
Wie der Bezirk auf das Urteil reagieren wird, ist noch ungewiss. Bürgermeister Matthias Köhne (SPD) ist derzeit im Urlaub, seine Stellvertreterin Christine Keil (Die Linke) erfuhr erst durch Prenzlauer Berg Nachrichten vom Beschluss. Und zeigte sich bestürzt. „Ich finde es erschreckend, dass sich da wieder mal Einzelinteressen gegen die der gesamten Bevölkerung durchgesetzt haben“, sagte sie. Michail Nelken (Die Linke), Stadtrat für Stadtentwicklung, verwies ebenfalls auf Köhne, der jetzt eine offizielle Strategie festlegen müsse. Nelken erklärte, er halte das Urteil persönlich für einen „gesellschaftspolitischen Offenbarungseid“.
Mit einer Revision wird es aber wahrscheinlich nicht weitergehen. Diese Möglichkeit gibt das Urteil nämlich nicht, so OVG-Sprecherin Christiane Scheerhorn gegenüber dieser Zeitung. Nun hat das Land zwar noch die Möglichkeit, vor dem Bundesverwaltungsgericht die Revision einzuklagen, laut Insidern würde diese Klage aber mit großer Wahrscheinlichkeit abgewiesen.
Die juristische Auseinandersetzung um den Hirschhof jedenfalls geht weiter. So macht das Urteil keine Aussage zum Thema Enteignung, sagte Sprecherin Scheerhorn. Darüber wird derzeit nach Informationen von Prenzlauer Berg Nachrichten vor einem anderen Gericht gestritten. So klagen Eigentümer um den Hirschhof vor dem Berliner Landgericht gegen das Land. Dieses soll den Hirschhof endgültig freigeben und räumen. Das Land hat mit einer Gegenklage reagiert. Berlin beruft sich dabei auf ein „Erwerbsrecht nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz“. Die Enteignung droht dem Hirschhof also weiterhin.