Preußenschloss im Sand der Oderberger

von Redaktion 10. März 2011

Der Hirschhof weckt Erinnerungen. Zu DDR-Zeiten war er Treffpunkt der Opposition, jetzt beanspruchen ihn Hausbesitzer für sich. Ein Besuch.


Das Paradies hat eine Adresse, Oderberger Straße 19, und verbirgt sich hinter einer Bretterwand. Dahinter öffnet sich ein weiter Platz, gefüllt mit märkischem Sand. Früher stand hier eine Autowerkstatt. In dem Gebäude, in dem Reparaturaufträge empfangen wurden, entsteht ein Platzcafé. Der Sandstrand wird zum Spielplatz.

Doch das ist nicht der Grund des Besuchs. Eine kleine verfallene Mauer ist zu übersteigen, dann liegt er vor einem, der sagenumwobene Hirschhof, der Ort, den man sich als sommerliches Epizentrum der DDR-Opposition vorstellen muss. Links ist eine bunte Kinderrutsche aus den 90er Jahren zu sehen. Wo gibt es sonst noch einen Sandkasten, dessen Einfassung aus Ornamenten des Berliner Stadtschlosses besteht?

 

Das hier ist vermintes Gelände

Die These, dass hier Überbleibsel des Preußenschlosses im Sand der Oderberger Straße verbuddelt wurden, wird zwar immer wieder angezweifelt. Doch Wolfgang Krause, der uns bei diesem Besuch begleitet, ist sich sicher: „Sie stammen aus Ahrensfelde. Da lagen sie in den 80er Jahren neben einem Kuhstall.“ Krause muss es wissen. In den 80er Jahren war er beim Gartenamt Prenzlauer Berg, später wurde er Leiter des Grünflachenamts im Bezirk. Krause ist ein leiser Mann. Kurz vor seiner Pensionierung bereitet er eine Ausstellung über die Grüngeschichte von Prenzlauer Berg im Bezirksmuseums vor. Er genießt es förmlich, wieder an einer alten Wirkungsstätte zu sein.

Aber das hier ist vermintes Gebiet. Im Kern geht der Streit darum: Kann aus dem alten Hirschhof in Kombination mit dem neuen, größeren Hirschhof etwas ganz neues entstehen – die Symbiose aus dem hedonistischen Prenzlauer Berg der Nullerjahre und dem mythenumrankten Prenzlauer Berg der 80er Jahre? Wolfgang Krause hätte seine Freude daran, mit Liebe zum Detail zeigt er dem Besucher, was hier in den Spätjahren der DDR unter den Augen der Stasi, aber auch mit Billigung staatlicher Stellen entstand: Ein ganz eigenartiges Refugium, in dem prominente DDR-Oppositionelle wie Freya Klier oder Stephan Krawczyk in unmittelbarer Nähe zur Mauer eine Art sommerliche Schrebergartenwohngemeinschaft bildeten.

 

Der Hof scheint an den Blicken der Nachbarn zu Grunde zu gehen

Schaut man sich im Hirschhof um, dann bohren sich neben dem bekannten Hirschskelett Tische mit betoniertem Gemüse aus dem Boden, zwischen den Backsteinen der zerbröselnden Mauer schielen verblasste Keramikaugen durch Unkraut. Der Hirschhof macht einen traurigen, einen schattigen Eindruck, selbst an diesem sonnigen Vorfrühlingstag. Ist die Fläche der ehemaligen Autowerkstatt ein unbeschriebener Sehnsuchtsort voller hellem Sand, dann scheint der Hirschhof nebendran unter der Last der Geschichte zu leiden – oder auch an den Blicken seiner Nachbarn in den Mietshäusern ringsherum zu Grunde zu gehen.

Denn die Besitzer der umliegenden Häuser sind der Grund dafür, dass der Hirschhof eigentlich nicht mehr betreten werden kann. Die Zugänge von der Kastanienallee und der Oderberger Straße aus sind verschlossen. Man trifft sich vor Gericht, der Bezirk und die Hauseigentümer. War der Hirschhof zu DDR-Zeiten eine öffentliche Fläche? Wolfgang Krause sieht das so, er hat schon vor den Richtern in dieser Sache ausgesagt, aber die Hauseigentümer sind der Ansicht, es seien nie öffentliche Gelder in den Ausbau des Hinterhofs gezogen.

 

Die Kunst wirkt eher plunderhaft

Das ist eine besondere Ironie der Geschichte: Denn eigentlich, so erklärt Krause, war es das staatliche Gartenamt, das 1983 für eine Million Ostmark auf die Eingaben von Mietern hin den Hof sanierte. Das ging gut – so lange, bis einige Mieter aufschrieen, weil ihr alter Weinstock verschwinden sollte. Das war die Initialzündung. Die jungen Mieter von Prenzlauer Berg machten sich mit ihrem Wohnbezirksausschuss (WBA) selbstständig – und wussten um die Tatsache, dass die staatliche Wohnungsverwaltung sowieso in Teilen den Überblick verloren hatte. Sie brachten ihre eigenen Ideen ein.

In der Luft liegt Kohlegeruch, der in Prenzlauer Berg so selten geworden ist, dass er unvermittelt an die Vergangenheit erinnert. Vom heutigen Standpunkt her erscheint die künstlerische Gestaltung des Hirschhofs eher plunderhaft, unnötig verspielt. Doch Krause sagt: „Hier sind Ideen eingegangen, die sich von der 08/15-Gestaltung der DDR unterschieden haben.“ Verständlich aber würde der Mythos des Hirschhofs tatsächlich nur, wenn man ihn museal begleiten würde. Aus sich selbst heraus erklärt sich der „Paradiesgarten“ von Daniela Dahn nicht mehr.

 

Zur Not will der Bezirk enteignen

Von Anwohner übrigens ist hier nichts zu sehen. Beim Konflikt zwischen Hausbesitzern und Bezirk geht es offenbar gar nicht darum, dass diese den Hirschhof exklusiv nutzen wollen –  der Lärm der Nutzer war es wohl, der dem Hirschhof den Garaus machte. Im April geht die Verhandlung um das Grundstück in eine neue Runde. Zur Not, das hat der Bezirk angekündigt, will er die Fläche enteignen.

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