JAHRESRÜCKBLICK 2016: Wohnungsgenossenschaften sind eine Insel glückseliger Mieter. Doch wer nicht drin ist, kommt auch nicht mehr rein. Vor allem für Geringverdiener wird es damit immer schwerer, in Prenzlauer Berg wohnen zu bleiben.
WIEDERHOLUNG vom 26. April 2016:
Dass Peter Weber viel vom Selbstmachen hält, ist auch daran zu merken, dass man in seinem Büro in der John-Schehr-Straße an einer Tür Platz nimmt. Die Tür hat vier Beine und ist damit ein Tisch, und Weber erzählt nun ein wenig von den gemütlichen Zeiten, als man nicht nur Tische selbst gestalten konnte, sondern auch Mietpreise. In diesem Jahr wird Weber 20. Jubiläum feiern, so lange ist er schon Geschäftsführer der Selbstbau eG, einer Prenzlauer Berger Wohnungsbaugenossenschaft der ersten Stunde. Nach der Wende fing die Selbstbau eG an, heruntergewohnten Prenzlauer Berger Altbauten zu kaufen oder zu pachten und daraus die Schmuckstücke zu machen, deren Fronten sich heute in nichts von den schicken Fassaden im Kollwitz-Kiez und anderswo unterscheiden. Nur dass bei Selbstbau um die fünf Euro pro Kaltquadratmeter gezahlt werden, gerne auch mal weniger. Doch falschen Hoffnungen entzieht Weber, hier beim Gespräch am Türtisch, schnell jede Grundlage. Als Nichtgenosse heute eine Wohnung in der Genossenschaft zu bekommen, ist nämlich nahezu ausgeschlossen – und Genosse wird man nur mit Genossenschaftswohnung. „Das ist sehr traurig für Menschen mit wenig Geld, die hier in Prenzlauer Berg eine Perspektive suchen“, sagt Weber.
So ist es: Genossenschaften wie die Selbstbau, aber auch die Bremer Höhe, sind inzwischen eine Insel in Prenzlauer Berg. Eine Insel der glückseligen Mieter schickster und geräumiger Altbauwohnungen, die dafür Preise zahlen, die man in den mittleren 90ern noch als realistisch bezeichnen kann, heute nur noch als utopisch. Elf Häuser unterhält die Selbstbau in Prenzlauer Berg, im gesamten alten Ost-Berlin doppelt so viele, knapp 500 Wohnungen. Hinzu kommen noch rund 600 Wohnungen bei der Bremer Höhe und diverse Einzelhäuser von kleineren und Kleinstgenossenschaften. Es ist eine Parallelwelt, über die man bei mehr als 150.000 Prenzlauer Bergern kaum reden müsste – wenn sie nicht ex negativo zeigen würde, was in dem Stadtteil immer seltener werden wird: Bezahlbarer Wohnraum für Geringverdiener. Denn die Genossenschaften befinden sich hier eher auf dem Rückzug als auf dem Vormarsch. Und eine Renaissance des genossenschaftlich organisierten Wohnungsbaus scheint auch ausgeschlossen. Und wenn doch gebaut wird: Unter 9 Euro kalt ist nichts mehr drin. Schöner wird’s nicht.
Auch die Genossenschaften geraten unter Druck
Mieterhöhungen gehören für Prenzlauer Berger seit Jahren zum geübten Ritual. Kürzlich erreichte ein PBN-Redaktionsmitglied beispielsweise ein Vermieterschreiben mit diesen schönen Zeilen: „Sie wissen, dass die Mieten […] seit 2009 erheblich gestiegen sind. Daher bitte ich Sie freundlich, nach über sechs Jahren einer Mieterhöhung um (nur) rund 10 Prozent mit Wirkung ab 1.7.2016 zuzustimmen. Über Ihre positive Antwort würde ich mich sehr freuen.“ Dabei ist so etwas ja schon fast eine harmlose Kiste. In manchen Altbauten steigen durch energetische Sanierungen die Mieten um das doppelte. Immer wieder versucht die Lokalpolitik, oft aktionistisch, noch öfter erfolglos, einzugreifen: Zuletzt, als am Arnimplatz die Deutsche Wohnen GmbH massive Mieterhöhungen angekündigt hatte. Und auch Mieter der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag sind vor unangenehmen Überraschungen nicht gefeit: Wie jüngst im nordischen Viertel, wo Gewobag und Mieter wegen Mieterhöhungen vor Gericht gingen. Die Einschläge kommen näher, für alle. Zuletzt auch für die Selbstbau von Peter Weber.
Es ging um das Haus in der Rykestraße 13 – also jenes, das zusammen mit der benachbarten Nummer 14 im März 1990 der Grundstein für die Selbstbau eG war. Die Mieter schafften es damals, die Nummer 14 dem Eigentümer abzukaufen, mit den New Yorker Besitzern der 13 wurde 1993 ein 20-jähriger Pachtvertrag geschlossen. Beide Häuser sahen damals aus wie zwei zerfressene Zähne, heute leuchten die Fassaden. Man sieht ihnen die vier Millionen D-Mark an, die im Laufe der Zeit in die Sanierung flossen – zum allergrößten Teil waren es Fördergelder. Offizieller Mieter der Nummer 13 wurde 1993 die Selbstbau eG, die wiederum Mietverträge mit den Bewohnern abschloss, die damit offiziell Untermieter wurden. Bei Vertragsschluss wurde zudem vereinbart, dass nach Ablauf der Pacht, also 2013, der Eigentümer die abgeschlossenen Mietverträge übernimmt und eine „ortsübliche Vergleichsmiete“ erhebt. Peter Weber erinnert sich noch, wie die Zwischenmieterin Selbstbau seinerzeit die ersten Mietverträge abschloss. Mit per Hand ausgefüllten Standardfomularen aus dem Schreibwarenhandel. Mietpreis: Zwischen umgerechnet 1,80 und 2,86 Euro pro Quadratmeter.
Mieter müssen 21.000 Euro nachzahlen
Wenig überraschend knirschte es bei der Übergabe 2013 gewaltig. Während die Mieter davon ausgingen, dass die alten Mietkonditionen weiter gelten würden, setzten die Eigentümer als neue Vermieter eine eigene Berechnung an. Ortsübliche Vergleichsmieten kann man auf verschiedenen Wegen ermitteln. Laut Peter Weber wählte der Anwalt der Eigentümer eine vermieterfreundliche Variante, was 2013 zum Gerichtsprozess zwischen den einzelnen Mietern und den Eigentümern führte (die Selbstbau durfte nicht klagen, da sie ja kein Vertragspartner mehr war). Die ersten beiden Instanzen gaben den Mietern recht, die letzte, der Bundesgerichtshof, im Januar dann den Vermietern. Die Miete im Haus erhöhte sich dann laut Weber auf 7,50 bis 9 Euro nettokalt. Und zwar rückwirkend bis 2013.
Die Fassade der Rykestraße 13 und 14 (Foto: Grautmann)
21.000 Euro seien damit für jeden Mieter fällig geworden, das Geld sollte Ende März überwiesen werden – oder bis Ende April die Wohnung geräumt sein. 8 der 22 Parteien seien seit 2013 schon aus dem Haus ausgezogen, die anderen sehen sich, so Weber, nun teilweise Räumungsklagen gegenüber oder borgten sich die 21.000 Euro von Freunden und Bekannten. Aus dem romantischen Genossenschaftsprojekt von einst wurde damit binnen kurzer Zeit ein Mieterschreck, vor dem sich Genossenschaften bisher immer geschützt sahen.
Neue Genossenschaftswohnungen kosten neun Euro kalt
„Diese Konstellation ist zum Glück relativ selten“, sagt Peter Weber. Er meint den zwanzigjährigen Pachtvertrag – in den meisten der anderen 23 Projekte der Selbstbau gibt es entweder gekaufte Grundstücke oder 99-jährige Erbpachtverträge. Weber ist sichtbar traurig über die Entwicklungen in der Rykestraße 13, ist sich aber auch sicher, dass ähnliche Rückschläge erst mal nicht mehr zu erwarten sind. Für die anderen Bestandsmieter seiner Genossenschaft erwartet er eine sichere Zukunft. „Wenn wir uns nicht übernehmen und verantwortlich wirtschaften, geht das gut so weiter wie bisher“, sagt er. Verantwortlich wirtschaften heißt auch: Von neuen Projekten in Prenzlauer Berg werden die Finger gelassen. Schon allein deswegen, weil sich die Genossenschaft die aktuellen Preise gar nicht leisten könnte.
Verliert ein Bewohner seine Wohnung mit der Mini-Miete, wie jetzt in der Rykestraße 13, dann ist dieses Wohnparadies nicht mehr wieder zu erlangen. Denn die Wohnungen, die noch zu diesen Preisen vermietet werden, geben Mieter in aller Regel nicht auf. Und neue Wohnungen werden nicht hinzukommen. Wenn die Selbstbau eG, nun ja, selbst baut, kann sie das nur schwer für unter 9 Euro kalt tun, wie Weber berichte. Für Geringverdiener kommt so etwas nicht in Frage, da pro Quadratmeter auch noch 300 Euro Genossenschaftsanteile gekauft werden müssen – man sollte also durchaus 30.000 Euro gespart haben oder von der Bank bekommen, wenn man eine neue Genossenschaftswohnung beziehen möchte. Auch bei der Genossenschaft Ostseeplatz eG – sie hat 440 Wohneinheiten, die Hälfte davon in Prenzlauer Berg, gibt Vorstand Richard Schmitz eine Nettokaltmiete von 8,90 Euro an, fragt man ihn nach den Mietkosten für den altersgerechten Neubau am Ostseeplatz, der vergangenes Jahr fertiggestellt wurde. Der Mietschnitt von 5,20 Euro im Gesamtbestand der Ostseeplatz eG ergibt sich auch hier aus den Billigmieten des Altbestands.
Billig, aber nicht unbedingt sozial
Genossenschaften sind ein Mieterparadies, und sie sind eine geschlossene Gesellschaft. Denn auch, wenn manche Genossenschaftswohnungen gebunden sind für Menschen mit Wohnberechtigungsschein, kommt man nicht um die Feststellung umhin, dass sich Mieter hier Privilegien erarbeitet haben, die sie mit Händen und Füßen verteidigen – und damit all die anderen einkommensschwachen Mieter in Prenzlauer Berg außen vor lassen. Als jüngst von der Selbstbau eine Dreiraumwohnung in Prenzlauer Berg ausgeschrieben wurde, geschah das ausschließlich über den Genossenschaftsverteiler, berichtet Peter Weber, es kamen trotzdem 50 Bewerber. Wartelisten mache man für Außenstehende schon gar nicht mehr, sagt er, „das bringt nur Frustration“. Er weiß um die Sonderstellung der Genossenschaftler. „Aber die Hälfte unserer Mieter müssten ihren Kiez verlassen, wenn sie nicht bei uns wohnen würden.“
Aber es gibt eben auch die anderen, die durchaus mehr zahlen könnten. Zum Beispiel den Bundestagsabgeordneten Klaus Mindrup (SPD), der heute in einer Wohnung der Selbstbau eG wohnt und früher in einer der Bremer Höhe. Man kann ihm und anderen Gutverdienern in der Genossenschaft schwer vorwerfen, dass sie nicht freiwillig in teurere Wohnungen ziehen – sozialpolitisch ist die Mieterzusammensetzung der meisten Genossenschaften allerdings alles andere als logisch. Das zeigt sich auch daran, dass Genossenschaften in Prenzlauer Berg nicht immer nur von solidarischem Verhalten der Bewohner berichten können. Etwa dann, wenn es darum geht, eine Familie, deren Kinder inzwischen aus dem Haus sind, vom Umzug in eine kleinere Genossenschaftswohnung zu überzeugen, damit eine andere Familie mehr Platz bekommt. Oder wenn die Frage ins Haus steht, die Mieten der günstigsten Genossenschaftswohnungen zu erhöhen, um damit neue Wohnungen zu bauen. Mieter, so ist wiederholt zu hören, sind zu solchen Risiken nur ungern bereit. „Man kann den Leuten in den Genossenschaften heute nicht vorwerfen, dass sie sich damals vorausschauend verhalten haben“, sagt dazu der Bundestagsabgeordnete Mindrup im Interview.
Politik setzt nicht mehr auf Genossenschaften
Kein Wunder also, dass die Politik beim sozialen Wohnungsbau die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in den Blick nimmt, und der Ruf nach einer Wiederbelebung der Genossenschaften kaum zu vernehmen ist. Der wohnungs- und baupolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Andreas Otto, beklagte kürzlich eine „räumliche Spaltung in arm und reich“ in Stadtteilen wie Prenzlauer Berg. Städtische Wohnungsbaugesellschaften sollten deshalb zwei Drittel der Wohnungen an einkommensschwache Mieter vergeben, forderte er. Tatsächlich plant der rot-schwarze Senat derzeit, massiv in Berlin zu bauen. Mit Folgen auch für die Genossenschaften. Sie haben kaum noch Chancen, landeseigene Grundstücke zu kaufen, weil die den städtischen Gesellschaften vorbehalten sind. Die dann über die Mieten Gewinn erwirtschaften sollen, um ihn an den Landeshaushalt abzuführen. Beim gleichzeitigen Anspruch, soziale Mieten anzubieten, wird das zum Dilemma. Klaus Mindrup plädiert dafür, auch Genossenschaften zum Zuge kommen zu lassen. „So wird man den Bedürfnissen von Mittel- und Geringverdienern nun mal am besten gerecht.“
Selbstbau-Geschäftsführer Weber jedenfalls hat kein gesteigertes Interesse an Neuerwerbungen in Berlin. Aktuell schwärmt er von einem Projekt draußen in Brandenburg. Ein halbes Dorf steht da verlassen, auf einem alten Hof könnten für dutzende neue Genossenschaftler Reihenhäuser entstehen, gerade sitzt man bei der Selbstbau über Entwürfen, wie das aussehen könnte. Raus aus der Stadt, das wird wohl für Genossenschaften immer häufiger die Devise in den kommenden Jahren. Um Interessenten muss sich die Selbstbau dabei schon lange nicht mehr kümmern. „In aller Regel kommen potenzielle Mietergruppen mit Projekten, für die sie sich interessieren, zu uns.“ Wenn die Idee stimme, schaue er sich das gerne an. „Unser Hauptinteresse gilt aber der Erhaltung und Bewirtschaftung des Bestands.“
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