Günstig ist es in Schwedt

von Thomas Trappe 8. August 2016

SOMMERPAUSENSONDERSENDUNG: Zusammen mit anderen Mittelverdienern ein Mehrfamilienhaus kaufen, das ist in Prenzlauer Berg heute kaum möglich. Interessenten müssen sich immer weiter aus dem Zentrum herausbewegen – oder gehöriges Glück haben.

WIEDERHOLUNG vom 26. April 2016:

Alles richtig gemacht, Anfang der 90er: Jedenfalls jene schlaue Menschen, die die damals gar nicht so eindeutig als klug apostrophierte Entscheidung trafen, ihre Mietswohnung zu kaufen. Ungefähr 480 Mark pro Quadratmeter seien 1994 für Wohnungen beispielsweise in der Schwedter Straße bezahlt worden, erinnert sich der Jurist Ulf Heitmann. Er war damals Berater für Immobilienkäufer war und ist heute zusätzlich Geschäftsführer der Genossenschaft Bremer Höhe. 480 Mark, das entspricht inflationsbereinigt rund 45.000 Euro für eine 130-Quadratmeterwohnung. Heute könnte man sich für das Geld, aktuelles Beispiel, einen Tiefgaragendoppelstellplatz in Weißensee kaufen. „Die Menschen, die sich Ende 1993 so eine Wohnung kauften“, sagt Heitmann, „haben alles richtig gemacht“. Ein knappes Dutzend Wohnhäuser habe die kommunale Wohnverwaltung damals allein in der Schwedter Straße verkauft, erinnert er sich. 40 bis 50 Häuser seien es schätzungsweise im gesamten Stadtteil gewesen.

Prenzlauer Berg war damals ein in Teilen verfallender Berliner Ostbezirk. Dass hier ein paar Jahre später Betongold stehen könnte, war alles andere als gesetzt. Es erforderte also durchaus Mut zuzugreifen, als die WIP Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg Mietern einzelner Häuser anbot, diese gemeinschaftlich zu kaufen. Die WIP war ein Nachfolger der DDR-eigenen Kommunalen Wohnungsverwaltung und ging später in die städtische Gewobag auf. Die Angebote beschränkten sich auf die damaligen Sanierungsgebiete Kollwitz-, Helmholtz-, Falkplatz und Wins- und Bötzowstraße. Zwischen 20 und 80 Prozent der anfallenden Sanierungskosten wurden anschließend vom Land gefördert. Wer damals zugriff, zählt heute zweifelsohne zu den Gewinnern der Gentrifizierung in Prenzlauer Berg.

 

Seit fünf Jahren ist „eigentlich Pumpe“

 

Die 90er ermöglichten es also Menschen auch mit geringerem Einkommen, eine Immobilie in Prenzlauer Berg zu kaufen. Als 2000 die Sanierungsförderung endete, gab es kaum noch Möglichkeiten, zu moderaten Preisen zu kaufen. Das Baugruppen-Modell, das es bis dahin vor allem in Süddeutschland gab, hatte in Berlin noch nicht Fuß gefasst: Hier schließen sich Bauwillige zusammen, um ein Grundstück zu erwerben und darauf eine Mehrfamilienhaus zu bauen. 2004 ungefähr, sagt Heitmann, habe ein Baugruppenboom in Berlin eingesetzt. „In Prenzlauer Berg allerdings weniger. Hier gab es kaum noch Grundstücke, und vor allem keine günstigen.“

Wenn überhaupt, kamen die eher unattraktiven Lagen in Frage. Das galt für die Genossenschaft Innerstädtisch Wohnen, die 2009 das Grundstück in der Pappelallee 44 kaufte, um dort später ein Mehrgenerationenhaus zu bauen. Ebenso für die Leuchtturm eG, die zur gleichen Zeit das Schwesterobjekt in der Pappelallee 43 realisierte. Beide Häuser befinden sich direkt an der Ringbahn. Genau wie das von Ulf Heitmann bis 2010 betreute Baugruppenprojekt in der Kanzowstraße und das unter der Verantwortung des Mietshaussyndikats entstandene Hausprojekt M29 in der Malmöer Straße. Die letzten Grundstückskäufe liegen allerdings bei diesen Projekten auch schon mindestens fünf Jahre zurück. Seitdem, sagt Heitmann, ist in Prenzlauer Berg „eigentlich Pumpe“ für solcherart Projekte.

 

2200 Euro/qm sind realistisch – in Hohenschönhausen

 

Der Blick müsste inzwischen jenseits des S-Bahn-Rings gehen, sagt Heitmann, etwa nach Hohenschönhausen oder auch Hellersdorf. 2200 Euro pro Quadratmeter, alles inklusive, seien dann durchaus als Kaufpreis möglich. Kein Schnäppchen, aber für Familien mit mittleren Einkommen leistbar. Angekommen sei der Zeitenwandel bei vielen Interessenten aber noch nicht, sagt Heitmann. Viele fragten ihn immer noch, wo man in der Innenstadt günstig bauen kann, „weil sie sich nicht vorstellen können, weiter raus zu gehen“. Er habe dann eine Antwort, die er recht häufig gebe: „Preiswert ist es in Schwedt.“ Die Kleinstadt liegt weit hinter der Innenstadt – an der polnischen Grenze.

 

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