Beinahe täglich schickt das Landesamt für Statistik neue, bahnbrechende Erkenntnisse: Berlin hat weniger Verkehrstote, mehr Depressive, weniger Industriepleiten, mehr Streuobstwiesen. Nur eines fehlt: Zahlen über Prenzlauer Berg.
Seit unser Viertel vor mittlerweile 13 Jahren (ist 13 nicht eine Unglückszahl?) mit Pankow zusammengelegt wurde, ist es nicht nur politisch mit so eigenartigen Häuseranhäufungen wie Heinersdorf oder Malchow verbandelt, es existiert auch rein statistisch nicht mehr. Das Amt für Statistik Berlin Brandenburg steht offenbar nur auf das große Ganze und begibt sich möglichst selten in die Niederungen der Ortsteilebene. Will heißen: Zahlen über das kleine, aber feine Prenzlauer Berg gibt es kaum. Ist das schlimm? Aber ja! All die schönen Vorurteile, die über uns im Umlauf sind, lassen sich wissenschaftlich einfach nicht untermauern. Und wir selbst haben quasi keine Ahnung, wo wir leben.
Es sei denn, man ist findig wie ein Fuchs und setzt sich für die Lektüre des Statischen Jahrbuchs 2013 die Prenzlauer-Berg-Brille auf. Wo steht zwar Berlin oder Pankow drauf, ist aber Prenzlauer Berg drin? Ha, hier zum Beispiel: In der Tabelle mit dem schönen Titel „Wanderungen über die Grenze von Berlin nach Herkunfts- und Zielgebieten“. Die wichtigste Erkenntnis daraus: 2012 sind 7882 Menschen aus Baden-Württemberg zugezogen. Und obwohl auch eine Menge Leute ins Ländle abgehauen ist, bleibt ein Plus von 1063. Ganz klar, wo die alle wohnen, oder?
Viele Logopäden, wenig Musikschulen
Einfach lässt sich auch die Frage beantworten, wo Pankows 53 Logopäden sitzen (das sind mehr als in allen anderen Bezirken Berlins). Sie kennen doch sicher auch Eltern, die panisch werden, weil ihre eineinhalbjährigen Kinder noch nicht in ganzen Sätzen sprechen (möglichst in mindestens zwei Fremdsprachen) – oder gehören Sie gar selbst dazu? Es könnte natürlich auch sein, dass alle Einwohner in Karow oder Buch stottern. Diese Frage können wir allerdings nicht beantworten, da oben waren wir noch nie. Warum auch? Hebammen gibt es hier genug und wer einen Heilpraktiker braucht, muss sowieso nach Charlottenburg/Wilmersdorf.
Um die Kinder musikalisch zu bilden, sollte man sich übrigens mal in Lichtenberg umschauen. Dort gibt fast 15 Mal so viele Musikschulen wie in Pankow. Aber eigentlich brauchen wir in Prenzlauer Berg gar keine reinen Musikschule. Musikalische Früherziehung bietet mittlerweile jede halbswegs anständige Kita und davon haben wir rein statisch gesehen genug in Pankow, sagt zumindest die zuständige Bezirksstadträtin Christine Keil (Die Linke). Ob dort allerdings immer pädagogisch wertvoll gesungen und getrommelt wird, sei dahingestellt.
Hunde finden keine Bäume mehr
Hundefans muss man sagen: Pankow – und erst recht Prenzlauer Berg – ist nichts für Sie. Ziehen Sie nach Marzahn-Hellersdorf! Dort leisten sich beinahe doppelt so viele Einwohner einen treuen Begleiter als in Pankow. Liegt das vielleicht daran, dass es bei uns kaum mehr Straßenbäume zum anpinkeln gibt? Sie wissen schon, die werden dauernd und überall für den Bau von Luxuswohnungen gefällt. Tatsächlich: Der Bestand an Straßenbäumen in Pankow ist im Jahr 2011 um 72 Stück gesunken. Getroffen hat es ein gutes Duzend Kastanien, viele Linden und noch mehr Ahornbäume. Die Pappeln aus der Pappelallee interessieren das Statistikamt anscheinend nicht, sie werden überhaupt nicht erfasst.
Naja, die öffentliche Verwaltung kann ja ihre Augen auch nicht überall haben. Das versteht man bei den Personalsorgen, die an allen Ecken und Enden drücken. Vermutlich arbeiten auch noch alle 508 Beamten im Bezirksamt in der Fröbelstraße, und die mehr als 1800 normalen Arbeitnehmer irgendwo anders. Das würde erklären, warum vieles hier so lange dauert.
Mehr Mehrlinge, wenig Impfungen
Nun aber Schluss mit unfundierten Spekulationen. Eindeutig belegt ist, dass in Berlin immer mehr Menschen Mehrlinge bekommen und so für ein sattes Bevölkerungswachstum sorgen. Und wo laufen die kleinen Racker alle rum? Genau. Kann man nur hoffen, dass ihre Eltern nicht am Helmholtzplatz wohnen, dann werden die Kleinen nämlich nicht geimpft. Und das könnte sich im schlimmsten Fall schlecht auf die Bevölkerungszahl auswirken.
Dass von den aktuell 154 574 Einwohnern in Prenzlauer Berg jeder zweite Baby oder Kleinkind ist, stimmt natürlich trotzdem nicht. Das wusste das Institut für Bevölkerung und Entwicklung schon 2009. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Gleiches gilt für die Geburtenrate. Irgendwie blöd, wenn man das plötzlich nachprüfen kann.
Prenzlauer Berg ist ein „Berg“
Ganz genau haben die Behörden nur eine Frage beantwortet: Wie viele ausländische Bewohner hier leben, kann man bis auf die Teil-Ortsteil-Ebene (Prenzlauer Berg Nord, Nordost, West,…) hinunter nachlesen. Aber das interessiert ja wirklich nur Exil-Schweizer, die bei der Volksabstimmung in ihrem Bergland nicht mitmachen durften, weil sie schon zu lange Berlinern die Jobs wegnehmen.
Das Wort Prenzlauer Berg kommt auf den 576 Seiten der gedruckten Ausgabe des Statistischen Jahrbuchs übrigens genau einmal vor. Gemeint ist damit die neunthöchste „Bodenerhebung“ Berlins – von einem Berg sprechen bei 91 Metern über dem Meeresspiegel wohl nur Holländer – und die tauchen statistisch gesehen hier nun so gar nicht auf.
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