Wohin geht’s?

von Thomas Trappe 7. März 2016

Prenzlauer Berg und dem Bezirk Pankow wird eine enormes Bevölkerungswachstum vorhergesagt. Doch kann man sich auf solche Prognosen verlassen. Die Erfahrung sagt: Nein.

Vor 15 Jahren wäre die Welt heute noch in Ordnung gewesen. 360.000 Menschen würden laut damaliger Prognose heute im Bezirk Pankow leben, und nicht etwa 384.000, wie es nun tatsächlich der Fall ist. Schulplätze wären vielleicht nicht knapp gewesen, Kitas nicht chronisch ausgebucht, und in den Cafés am Kollwitzplatz hätte man auch am Sonntagmorgen leicht einen Platz gefunden. Gut, immerhin ist es nicht ganz so gekommen, wie man dann, offenbar etwas aufgescheucht, 2009 dachte, als man mit rund 392.000 Menschen im Bezirk rechnete. Dann wäre heute alles noch viel schlimmer. Womit sich die Frage aufdrängt, wie viele Menschen 2020 in Pankow leben werden. Die 400.000, von denen man noch 2009 ausging? Oder doch 414.000, die es laut aktueller Prognose werden sollen? Sicher scheint nur, dass die Vorhersage von 2004 nicht wahr wird, es sei denn, in den nächsten vier Jahren verlassen knapp 30.000 Menschen den Bezirk. Was zeigt: Die Geschichte Berliner Bevölkerungsprognosen ist eine voller Irrtümer.

Das wissen jene, die die Prognosen im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erstellen, am besten. Drei Varianten gab es daher immer bei den großen Prognosen der vergangenen 15 Jahre – Basis, Boom und Schrumpfung. Damit machten die Autoren deutlich, dass die Bevölkerungsentwicklung maßgeblich von wirtschaftlichen und anderen nicht vorhersagbaren Faktoren abhängig ist und ein Basisberechnung nur die „erkennbaren wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungstendenzen“ fortführen könne, wie es regelmäßig in den Vorbemerkungen zu den Prognosen hieß. Eingetreten ist für Berlin 2015 so die Variante „Boom“ von 2002, und selbst die wurde unterschätzt, zählt man die rund 80.000 Asylbewerber mit, die derzeit in der Stadt leben. Hingegen wurde nicht mal die unterste Schätzung der Prognose von 2009 erreicht. Legt man die Zahlen der mittleren Prognosen und die reale Entwicklung im Bezirk Pankow der letzten Jahre übereinander, sieht man, dass hier kaum eine Linie miteinander in Übereinstimmung zu bringen ist. Die Grafik gleicht einer orientierungslosen Regenwurmfamilie.

 

Und dabei geht es nur um relativ überschaubare Zeiträume. Schließlich ist die vorletzte Prognose kaum eine Legislaturperiode alt und verschätzt sich in der mittleren Variante schon um knapp 100.000 Menschen (wenn man die Asylbewerber berücksichtigt, sonst ist die Differenz noch größer). Es kann einem regelrecht schwindlig werden, schaut man auf die Zahlen und die Implikationen, die in den jeweiligen Prognosen für die Zukunft abgeleitet wurden. So war man 2002 davon überzeugt, dass der Optimismus der frühen 90er, Berlin werde in sehr kurzer Zeit sehr schnell wachsen, endgültig zu begraben sei. „Gegenüber den Wachstumserwartungen für Berlin, über die Anfang der 90er Jahre ein breiter Konsens bestand, ist die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung in den letzten Jahren deutlich zurückgeblieben. Nach der vorliegenden Bevölkerungsprognose ist auch künftig nicht mit größeren Einwohnerzuwächsen zu rechnen.“

Kaum waren diese Zeilen geschrieben, gab es die Trendumkehr, wie im Bericht von 2009 beschrieben. „Die Zahl der Einwohner Berlins wächst wieder seit dem Jahr 2004 mit steigender Tendenz[…]. Diese positive Entwicklung ist in erster Linie Folge des starken Anstieges der Zuzüge aus dem Ausland, aber auch aus den alten und neuen Bundesländern. Gleichzeitig haben sich die Fortzüge in das Umland gegenüber dem Hochpunkt des Jahres 1998 mehr als halbiert.“ Wer will da noch garantieren, dass die 16 Prozent Bevölkerungswachstum, die dem Bezirk Pankow in der neuesten Prognose bis 2030 bescheinigt werden, wirklich eintreten? Einerseits.

 

Einst war das hier Bangkok

 

Andererseits gibt es ja durchaus Entwicklungen, die über die Jahre immer beobachtet werden konnten und wohl auch ihre Gültigkeit behalten. So stand nie in Zweifel, dass die Innenstadtbereiche Berlins, und damit auch Prenzlauer Berg, immer viele Menschen anziehen werden. Auch dass der Bezirk Pankow und Prenzlauer Berg überdurchschnittlich beliebt bei Berliner Zu- und Umzüglern sind, wurde in allen Prognosen schon konstatiert und als wahrscheinlicher Trend, zu Recht, fortgeschrieben. 

156.000 Menschen leben heute in Prenzlauer Berg. Mietern, Eltern und Parkplatzsuchern mag das viel vorkommen – doch es ist ein Klacks, schaut man hundert Jahre zurück. Mehr als doppelt so viele Menschen wohnten damals in dem Stadtteil. Prenzlauer Berg war einer der am dichtest besiedelten Flecken der Erde, Zeitgenossen müssen sich gefühlt haben wie heute in Bangkok. Zu DDR-Zeiten war es dann ein leichtes, hier eine leerstehende Wohnung zu besetzen, und noch ein bisschen später war Prenzlauer Berg ein Geheimtipp für Immobilienmakler. Heute ist hier nichts mehr geheim. Außer, wie gehabt, die Zukunft.

 

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2 Kommentare

K. Münch 20. Oktober 2017 at 18:43

Sehr interessant! Macht immer wieder Freude Euch zu lesen. Leider ärgert mich der stady Zugang nach wie vor- straft er meine Herkunft aus einem anderen Stadtbezirk?

Antworten
Philipp Schwörbel 21. Oktober 2017 at 19:52

Wie meinst Du das? Funktioniert etwas nicht mit dem Steady-Zugang! Wir wollen doch niemand abstrafen, nur weil er … sagen wir mal…. in Pankow oder Weissensee wohnt!

Antworten

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