Halbzeit beim BMW Guggenheim Lab. „Mobilität der Zukunft“ ist ein Thema. Fragt sich, ob dabei auch über den Stau auf Prenzlauer Berger Fahrradwegen geredet wird.
In Science-Fiction-Romanen oder -Filmen sind die Städte voller fliegender Straßenkreuzer, lautloser Schwebebahnen oder Röhrensysteme, die den Menschen der Zukunft die Mobilität im urbanen Dschungel erleichtern. Vergeblich sucht man auf den Straßen dieser städtischen Utopien dagegen das Fahrrad. Auch das Guggenheim Lab, das seit Mitte Juni im Pfefferberg gastiert, hat den Anspruch, Visionen der urbanen Zukunft zu thematisieren. Die Macher des Labs sind zum Glück visionär genug, um das Fahrrad auch in der Stadt der Zukunft zu sehen: Innerhalb des Themenkomplexes Mobilität wurde dem Zweirad viel Platz eingeräumt.
„Ich ersetze eine Auto“, steht auf einem der Zweiräder unter dem Carbon-Quader des Guggenheim Lab im Pfefferberg. In die Kiste zwischen Vorderrad und Lenker passen schätzungsweise anderthalb Bierkisten, Maximallast sind 100 Kilogramm. Damit man dann auch in die Gänge kommt, hilft ein Elektromotor. Die elektrounterstützten Lastenräder sind Teil eines Workshops rund um das Thema „Dynamische Verbindungen“. Rachel Smith schwingt sich probeweise auf eines der Räder, sie ist Verkehrsexpertin im australischen Brisbane und im Berliner Guggenheim Lab zuständig für das Programm rund um den Themenkomplex Mobilität.
Der Traum vom „Cycling Super Highway“
Fragt sich natürlich, was das Beispiel Brisbane für Berlin leisten kann, schließlich sind die Australier nicht unbedingt bekannt für ihre Fahrradfreundlichkeit. „In einigen Gegenden Berlins ist die Infrastruktur für Fahrräder exzellent“, so zunächst auch die lobenden Worte von Rachel Smith, die aus Großbritannien stammt und derzeit in Berlin mit dem Fahrrad unterwegs ist. Und dann doch: Von ihrem derzeitigen Wohnort zum Lab muss sie regelmäßig über die Invalidenstraße. Hier gibt es kein Fahrradweg, dafür Straßenbahnschienen – eine Kombination also, die Berliner Fahrradfahrer gut kennen und oft genug verfluchen. Die Lösung von Rachel Smith: „Cycling Super Highways“. Will heißen: stadtweit gesonderte Fahrbahnen für Fahrräder, am besten durch eine Art Bordstein von den restlichen Verkehrsteilnehmern getrennt.
Ein ambitionierte Idee, zu der man gern auch die Meinung der Verkehrsplaner der Stadt gehört hätte. Genau dies warf bei der Diskussion am Vorabend auch eine Zuhörerin aus der Nachbarschaft ein, erzählt Verkehrsexpertin Smith und räumt ein, dass genau diese Verantwortlichen nicht anwesend waren. Die Aufgabe, die Entscheider zu überzeugen, hat das Lab erst gar nicht auf sich genommen, stattdessen soll diskutiert und mit neuen Ideen am inneren Schweinehund gearbeitet werden. Zwei Beispiele: In einem der Workshops entsteht ein „Stadtplan der ausredefreien Zone“. Die Teilnehmer schwingen sich auf ihre Räder und testen mit einer stoisch geradlinigen, aber nicht hektischen Fahrt, wie weit sie innerhalb von 30 Minuten kommen. Fazit soll am Ende sein: Innerhalb eines Kreises mit dem in 30 Minuten erradelten Radius gibt es keine Ausrede mehr, Fahrrad statt Auto oder Bus zu nehmen.
Die beste Strecke mittels Schwarm-Intelligenz
Das zweite Beispiel ist die „Dynamic Connections Bike Map“. Mittels einer dynamischen Karte sollen die besten Fahrradstrecken für jeden Fahrertyp ermittelt werden. Nach einer Selbsteinschätzung, die vom selbstbewussten bis hin zum nie-Radler reicht, kann jeder via Internet einzelne Strecken auf einem virtuellen Stadtplan beurteilen. Das Endergebnis soll ein Stadtplan mit den besten Fahrradstrecken sein. Schöne Idee, die sich sicherlich einfach auf Städte weltweit übertragen lässt. Dennoch an dieser Stelle der Hinweis auf den etwas behäbigen, aber seriösen Routenplaner Berlin-Brandenburg Bike (BBBike) vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub. Auf dieser Seite lässt sich schon jetzt relativ problemlos die beste Route mit dem Fahrrad durch die Stadt planen.
Die aktuell wohl populärste Zukunftsvision ist die integrierte grüne Mobilität: Das grüne E-Car wird mit Hilfe moderner Informationstechnologien mit dem Fahrrad und dem öffentlichen Nahverkehr vernetzt. Autokonzerne werden Dienstleister, der einzelne Kunde nutzt je nach Bedürfnis deren unterschiedlichen Mobilitätsangebote. Auch diese Konzepte werden im Lab diskutiert. Ben Hamilton-Baillie aus Bristol – einer der Gurus unter den Verkehrsplanern – propagierte außerdem die Idee des Verkehrs ohne Verkehrsschilder: Eine neue Schule der Verkehrsdesigner sagt nämlich, dass wir Stoppschilder und Ampeln gänzlich abschaffen sollten. Autos, Fahrradfahrer und Fußgänger mischen sich, nehmen so aber auch mehr Rücksicht aufeinander. Auch in Deutschland gibt es bereits Beispiele für Städte, die ohne Verkehrsschilder auskommen – allerdings etwas kleiner und verkehrsärmer als Berlin.
Kopenhagen zeigt, wie es geht.
Auf dem sogenannten Copenhagenize Index steht Berlin übrigens an fünfter Stelle, gleichauf mit Tokyo und direkt vor München. Dieses Ranking einer dänischen Beratungsfirma für Themen rund ums Fahrrad soll Aufschluss geben über die Fahrradfreundlichkeit einer Stadt. Wenig verwunderlich, dass die wohl bekanntesten Fahrradstädte Amsterdam und Kopenhagen auf dem ersten und auf dem zweiten Platz gelandet sind. Kopenhagen hat es sich tatsächlich zum Ziel gesetzt, den Anteil der Berufstätigen, die mit dem Rad zur Arbeit pendeln, bis 2025 auf 50 Prozent zu erhöhen. Mit sichtlichem Erfolg: Bereits seit einigen Jahren gibt es während der Hauptverkehrszeiten auf einigen Radwegen Engpässe. Daher hat die Stadt Kopenhagen in den letzten Jahren begonnen, besonders stark frequentierte Radwege erheblich zu verbreitern. Das sind doch mal Zukunftsvisionen!
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