In Berlin gibt es nur zwei Arten von Baustellen: Die, an denen gar nicht gearbeitet wird, und die, an denen vier Leute einem fünften bei der Arbeit zusehen.
Ja, ich schäme mich ein bisschen. Schließlich ist es in etwa so einfallsreich, einen Text über Berliner Baustellen zu schreiben, wie „zum Bleistift“ zu sagen oder sich bei der niederländischen Königin auf Staatsbesuch nach „lecker Mittagessen“ zu erkundigen.
Aber es gibt eben Dinge, die müssen ab und zu sein, und so auch die Beschwerde darüber, dass in diesem Stadtteil an allen Ecken und Enden aufgerissene Asphaltdecken herumliegen, die zwar weiträumig abgesperrt, aber ansonsten weitestgehend ihrem Schicksal überlassen wurden. Eine traurige Sache, für alle Beteiligten – schauen Sie sich nur die Bildergalerie an, und Sie wissen, wovon ich spreche.
Nehmen wir allein die Stargarder Straße. Um die Häuser in den Genuss von Fernwärme zu bringen, wird die Straße gerade aufgerissen, und zwar auf ihrer gesamten Länge an gefühlt 20 verschiedenen Ecken. Von denen 17 völlig verwaist daherkamen, als ich Anfang der Woche eine kurze Stippvisite dort durchführte. Nur an dreien wurde im Umkehrschluss also gearbeitet – indem vier Bauarbeiter sich damit beschäftigten, einem fünften beim Baggerfahren zuzusehen.
Baustellenüberfluss in Zeiten des Fachkräfemangels
Unlängst plauderte ich mit dem Pressesprecher von Vattenfall, die die Bauarbeiten zu verantworten haben, nett am Telefon über das Thema. Dabei erwähnte dieser, man könne nicht erwarten, dass durchgehend an einem der Löcher gebaut würde. Schließlich habe Vattenfall diverse Baustellen in der Stadt, die alle bespielt werden wollten.
Und ja – hören Sie die Schuppen, die da gerade von meinen Augen fielen? – natürlich, wie sollte man das erwarten können? Das wäre ja in etwa so, als würde ich erstmal diesen Text zu Ende schreiben, bevor ich mich 240 weiteren Anfängen widmete. Na klar, das wäre völlig absurd, zumal ich damit meinen Ruf als verkanntes Genie riskierte, das von einer Unvollendeten in die nächste stolpert.
Aber kommen wir zurück zu den Baustellen. Eine Zeit lang hatte ich ja den Eindruck, dass durchaus gebaut würde in dieser Stadt, nur eben nicht unbedingt dann, wenn ich vorbeikäme. Damals wohnte ich direkt gegenüber einer Bäckerei, die stets, wenn ich aus dem Fenster sah, überquoll von Bauarbeitern, die gerade Mettbrötchen mit Zwiebeln verspeisten. „Die Menschen arbeiten körperlich, kein Wunder, dass sie da alle halbe Stunde eine Frühstückspause brauchen“, dachte ich mir. Und irrte doch.
Denn natürlich spielt die Pause eine große Rolle im Leben eines jeden Asphaltaufreißers, Planierraupenfahrers oder Presslufthammerbedieners. Aber als Erklärung, warum die meisten der Baustellen in Prenzlauer Berg monatelang einsam und verlassen in der Gegend herum liegen, reicht das dann doch nicht aus.
Wo gebaut wird, da tobt das Leben. Möglicherweise.
Es ist wohl vielmehr der gute Ruf, den Berlin mit dieser Taktik des planlosen Straßenaufreißens verteidigen möchte. Als Stadt, die sich immer entwickelt. In der immer gerade alles anders wird. Wo sich noch etwas tut. Nur vielleicht nicht gerade jetzt, wenn man direkt draufschaut. Vielmehr zählt die Möglichkeit, dass etwas passieren könnte, irgendwann, in ein paar Tagen, oder schon gleich.
Die einen kaufen sich ein Fernrohr und starren stundenlang in den Himmel in der Hoffnung, eine Sternschnuppe zu sehen. Wir haben dafür Baustellen.
Für die Anwohner und Gewerbetreibenden ist das natürlich keine schöne Lösung. Sie haben den Dreck vor der Tür, die Kunden bleiben aus, und auch die Bauarbeiter, wenn sie denn kommen, haben wenig Bedarf an Latte macchiato und selbstbestickten Frühstücksbrettchen. Um den nötigen Gleichmut zu finden, dies alles zu ertragen, bleibt ihnen wohl nur der Besuch eines Yoga-Kurses. Oder eine Umschulung zum Bauarbeiter. So weiß man den anfallenden Stress immerhin produktiv umzumünzen.
Womit ich schließen möchte, jedoch nicht, ohne mir vorzustellen, wie die „Stoppt K21″-Aktivisten selbst die Bauarbeiten in der Kastanienallee übernehmen. „Hm, was sollte jetzt genau gemacht werden?“ „Ist die Bürgerbefragung eigentlich schon durch?“ „Habt Ihr den Betonmischer gesehen?“ – „Ach kommt, wir kaufen uns erstmal ein leckeres Mettbrötchen.“