Seit drei Turnhallen in Prenzlauer Berg Notunterkünfte sind, steht der Sportunterricht Kopf. Einige Schüler turnen in der Aula, andere sitzen Theoriestunden ab. Selbst der Bezirk verliert den Überblick.
Die Oberstufenschüler des Heinrich-Schliemann-Gymnasiums hat es schon zum zweiten Mal erwischt. Als ihre Sporthalle in der Wichertstraße Mitte September zur Notunterkunft für Flüchtlinge wurde, konnten sie noch in die Halle an der Winsstraße ausweichen. Inzwischen beherbergt die ebenfalls Flüchtlinge. Deswegen sind die Schüler erneut umgezogen: diesmal in die Max-Schmeling-Halle und auf den Tesch-Sportplatz an der Dunckerstraße.
Insgesamt fehlen in Prenzlauer Berg sechs Hallenteile, seitdem in drei Sporthallen Flüchtlinge wohnen. Nicht mal Bezirksschulrätin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) kann noch genau sagen, welche Schulen davon betroffen sind. „Die Schließung einer Halle hat nicht nur Auswirkungen auf die Schulen, die diese Halle genutzt haben, sondern auch auf die Schulen, in die der Sportunterricht dann verlagert wird“, sagt sie. Wenn eine weitere Halle geschlossen werde, setze sich der Prozess dominomäßig fort. Ihr Fazit: „Im Prinzip sind die meisten Schulen in Prenzlauer Berg mehr oder weniger betroffen.“ Konkrete Zahlen kann sie nur für ganz Pankow nennen: Bezirksweit fallen zurzeit 700 Stunden Sport pro Woche aus.
Keine Abiturzulassung ohne Sportunterricht
„Am dringlichsten ist jetzt die Versorgung der Oberstufenschüler“, sagt Zürn-Kasztantowicz. Ohne eine ausreichende Anzahl an Sportstunden wird nämlich keiner zum Abitur zugelassen. Die Schüler müssten spätestens nach den Weihnachtsferien wieder eine Turnhalle für ihren Sportunterricht zur Verfügung haben, denn auf dem Sportplatz werden sie witterungsbedingt nicht mehr lange trainieren können. „Inzwischen versuchen wir, auch private Hallen für den Sportunterricht anzumieten“, sagt sie. Das Land Berlin wolle prüfen, ob es sich an den Kosten beteiligen könne.
Die Bezirksschulrätin lässt außerdem klären, ob die Schulen alternativ mehr Schwimmunterricht erteilen könnten. Dafür könnten sie zum Beispiel die Schwimmhalle im Ernst-Thälmann-Park nutzen. „Unsere Anfrage liegt aber noch beim Senat“, sagt sie.
Umziehen im Klassenraum
Während es momentan noch gelingt, den Sportunterricht der Oberstufe aufrecht zu erhalten, muss in der Sekundarstufe I improvisiert werden. Simone Ley, Schulleiterin des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums, sagt, dass die Kinder nur noch eine Stunde pro Woche wirklich Sport treiben könnten. In der anderen Stunde haben sie jetzt Theorieunterricht. „Dabei haben unsere Schüler wegen des mathematisch-naturwissenschaftlichen Profils unserer Schule sowieso nur zwei Stunden Sport in der Woche“, sagt Ley.
Die Praxisstunden finden momentan in einer kleinen Halle auf dem Schulgelände statt, die zuvor nur noch von Kitas, Grundschulen und Vereinen genutzt wurde. Das sei aber bestenfalls eine Notlösung: „Der Platz in der Halle reicht nur für ein bisschen Gymnastik“, sagt Ley. Für richtige Bewegung, Ballspiele etwa, sei es dort zu beengt. „Teilweise ziehen sich die Schüler in einem freien Klassenraum um, weil die Umkleideräume viel zu klein sind“. So würden aus den verbleibenden 45 Minuten Sport pro Woche schnell noch weniger.
Was wird aus den Referendaren?
Gleichzeitig fragt sie sich, was aus den Referendaren mit dem Fach Sport werden soll. „Die Referendare müssen in den Sekundarstufen I und II unterrichtet haben, um ihre Staatsexamensprüfung ablegen zu können“, sagt sie. In der jetzigen Situation könne man das kaum noch gewährleisten. Ley sagt, sie würde nur noch ungern neue Sport-Referendare ausbilden, weil sie nicht garantieren könne, dass die Ausbildungsvoraussetzungen gegeben seien.
An der Grundschule an der Marie lässt sich der Verlust der Turnhalle an der Winsstraße noch ganz gut kompensieren. Das sagt Schulleiter Jürgen Stolze. „Einige Klassen gehen zum Sport in die Aula, andere nutzen den Schulhof oder den Spielplatz.“ Die größeren Schüler der Klassen vier bis sechs fahren zurzeit andere Hallen an, auch wenn sie dafür etwas länger unterwegs sind. Sie weichen in die Turnhalle der Heinrich-Roller-Grundschule und in die Sportanlage an der Rennbahnstraße in Weißensee aus. Stolze hat dazu eine klare Position: „Wir sehen die Notlage. Das hat für uns Priorität.“ Im Zweifelsfall dürfe dafür dann auch mal Unterricht ausfallen.
„Jetzt ist Teilen angesagt“
Eine Mutter, die zwei Kinder an der Schule hat, glaubt, dass auch die meisten Eltern die Situation mittragen. „Ich höre keinen großen Protest. Im Gegenteil: Viele Schüler und Eltern engagieren sich für die Flüchtlinge in der Halle.“
Stolze ist wichtig, die Verhältnismäßigkeit der Bedürfnisse im Auge zu behalten. Zwar sagt auch er, dass die momentane Situation keine Dauerlösung sein könne. Aber: „Uns geht es im Vergleich zu den Menschen in vielen anderen Ländern so gut. Jetzt ist einfach mal Teilen angesagt“.
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