Unsere Oderberger

von Juliane Schader 2. Juni 2015

Ob Flüchtlinge in der Kanalisation, Oppositionelle im Hinterhof oder Tänze im Schwimmbad, die Oderberger Straße hat in ihrer Geschichte Vieles gesehen. Eine Doku im Rbb zeigt heute, was genau.

Auch auf Farbbildern grau auszusehen ist eine besondere Fähigkeit. Der Prenzlauer Berg vor dem Mauerfall beherrscht sie vorbildhaft. Die Fassaden der Oderberger Straße? Graubraun. Der Trabi, der am Rand parkt? Graublau. Die Landschaft aus backsteinernen Schornsteinen, über die die Kamera schwenkt? Graurot. Aber das Leben, das war bunt, lautet die Botschaft der Dokumentation „Meine Oderberger Straße“, die heute Abend um 21 Uhr im RBB läuft (und bis zum 9. Juni noch in der Mediathek verfügbar ist). Die Fotografin Nadja Klier erzählt darin die Geschichte der Straße ihrer Kindheit, die auch ihre eigene ist.

Klier ist die Tochter der Regisseurin und DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier, die auch bei dieser Doku die Regie geführt hat. 1978 zogen beide gemeinsam in die Oderberger Straße 45. Freya studierte, feierte erste Erfolge als Regisseurin und suchte gleichzeitig Kontakt zur Friedensbewegung, während ihre Tochter zwischen bröckelnden Wänden und Mauerblick heimisch wurde. 1985 erhielt die Mutter Berufsverbot; drei Jahre später wurde die Familie aufgrund ihrer politischen Aktivitäten über Nacht in den Westen abgeschoben.

 

Vom Treffpunkt für Freigeister zum Privatbesitz

 

Heute, bald 30 Jahre später, begleitet die Kamera Nadja Klier auf ihrer Spurensuche in der Straße. In ihrem alten Hausflur trifft sie den Liedermacher Stephan Krawczyk, der für einige Jahre auch ihr Stiefvater war. „Die Zeit war belastet, aber mit diesem Haus geht eigentlich die Lebensfreunde einher“, erzählt er. Später sieht man ihn als jungen Mann in einer übervollen Kirche rezitieren: „Oh Partei, Du Druckverband. Auf den offenen Wunden. Unter Dir wird’s Vaterland auch weiterhin gesunden.“ Den Mut zu diesen Worten hätte er fast mit dem Leben bezahlt, weil die Stasi sogar einen Mordanschlag auf ihn und Freya verübte.

Sie steht gemeinsam mit DDR-Bürgerrechtlern am Zaun zum Hirschhof. Im Laufe der 1980er Jahren bauten diese den übergroßen Hinterhof Richtung Kastanienallee zum Treffpunkt, Kinderspielplatz und Veranstaltungsort aus. Heute ist ein Teil des Hofes privatisiert und nicht mehr zugänglich. So viel Symbolik muss man erst einmal verkraften.

Klier lässt derweil einen ehemaligen Spielkameraden die Kindheit zwischen Verfall und Bohème rekapitulieren: „Wir sind hier fröhlich über die Mauern geklettert – über die wir konnten. Die da hinten haben wir ausgelassen.“ Denn die Oderberger Straße war Grenzgebiet. Wo heute der Weg in den Mauerpark führt, war früher die Welt zu Ende. Dahinter kam nur noch eine Aussichtsplattform, von der aus Touristen und West-Berliner Richtung Osten schauten. Nach der Ausbürgerung fand sich auch Nadja Klier dort wieder, stundenlang auf ihr altes Leben starrend, ohne dorthin zurück zu können.

 

Die Mutter schweigt

 

Dies ist ein Moment im Film, in dem die persönliche Geschichte in den Vordergrund rückt. Ansonsten bietet sie eher ein loses Gerüst, um das sich die der Straße, aber auch die des Prenzlauer Bergs und der Opposition herumgruppiert. Die Tochter trifft Zeitzeugen, historische Fotos und Filmaufnahmen werden gezeigt, das Mythos vom Prenzlauer Berg wird beschworen. Nur die Mutter als Kronzeugin schweigt beharrlich. „Unsere Generation hat sich doch schon sehr oft geäußert zu dem, was geschehen ist. Ich finde es ganz wichtig, dass auch die junge Generation mal zu Wort kommt, dass sie aus ihrer Perspektive erzählen kann, wie sie es erlebt hat“, hat sie dazu dem RBB gesagt. Auch wenn diese Haltung durchaus ehrenwert ist –  eine Dokumentation, die eine ihrer Hauptpersonen so kategorisch zum Schweigen verdammt, hinkt ein wenig.

Vielleicht galt es aber auch einfach nur, den Schwerpunkt nicht noch stärker auf die DDR-Opposition zu verlegenen. Zwar stehen naturgemäß die knapp zehn Jahre im Zentrum, in denen die Kliers in der Oderberger Straße lebten. Doch die Dokumentation hat es sich zum Ziel gesetzt, auch alles davor und danach in 45 Minuten zu präsentieren.

 

Flüchtlinge, Mauerfall, Feuerwehr – so viel Zeit muss sein

  

Die rote Fahne am Turm hinterm Stadtbad, die die Nazis einfach nicht abgehängt bekamen. Die Kunststudenten, die durch die Kanalisation Flüchtlinge in den Westen schafften. Martin Luther King auf der Aussichtsplattform. Der alte Mann, der am 10. November 1989 unbedingt selbst mit einem Vorschlaghammer die Mauer einreißen wollte, die er 28 Jahre zuvor zu bauen gezwungen worden war. Die jungen Ladenbetreiberinnen, die in der Oderberger Straße gelandet sind, weil das Immobilienangebot dort das beste war. Das Stadtbad als Schwimm- und Kulturort, die Institution Feuerwache – auch das gehört alles zur Geschichte der Straße und wird daher gezeigt. Manches Detail auf dem Leben der beiden Kliers bleibt darüber auf der Strecke.  

Der Chronistenpflicht wird damit Genüge getan. Doch das Versprechen des Titels – das „Mein“ zur Oderberger Straße – wird darüber manchmal vernachlässigt.

Für jeden, der gerne anschaut, wie es früher dort aussah, wo er heute lebt, lohnt sich das Einschalten trotzdem. 

 

„Meine Oderberger Straße“ von Nadja und Freya Klier läuft am heutigen Dienstag, 2. Juni, um 21 Uhr im RBB und ist bis zum 9. Juni in der RBB-Mediathek verfügbar

 

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