Der Hilfsapparat

von Juliane Schader 4. Dezember 2014

Menschen mit Behinderung brauchen Unterstützung, auch finanziell. Die Kommunen können die stetig steigenden Kosten jedoch kaum noch tragen. Das Hilfssystem ist kompliziert und wenig transparent. Nun droht ihm der Kollaps.

Wir kriegen das schon wieder hin, lautet das Versprechen. Gerade fühlst Du Dich vielleicht noch ausgeschlossen. Aber wir helfen Dir, damit Du wieder ein Teil von uns wirst. Wir leisten „Eingliederungshilfe“.

Schon das ist ein Missverständnis.

Severin Höhmann sitzt in einem Café am Kollwitzplatz. Nicht weit von hier besucht sein Sohn die Helene-Haeusler-Schule, deren Elternsprecher Höhmann ist. Der 15-Jährige hat schwere Entwicklungsverzögerungen, spricht nicht und braucht permanente Begleitung.

Als er in der zweiten, dritten Klasse war, haben wir gemerkt: Wir schaffen das nicht mehr“, sagt sein Vater. Heute kommt zweimal in der Woche ein Betreuer und kümmert sich nachmittags um den Jugendlichen. Gemeinsam arbeiten sie an seiner Alltagskompetenz, üben, nur bei Grün über die Ampel zu gehen und mit Hilfe von Bilder-Karten zu kommunizieren. „Die meisten Eltern sind an der Grenze der eigene Belastbarkeit“, sagt Höhmann. Ohne Hilfe von außen würde es kaum gehen.

Das Angebot an solchen Hilfen ist groß. Es muss sie nur jemand bezahlen. Erste Anlaufstellen sind dafür in Deutschland Kranken-, Pflege- und Rentenkassen oder auch das Jobcenter. Doch vieles, was nötig ist, wollen diese nicht übernehmen. Dann kommen, je nach Alter, das Sozial- oder Jugendamt ins Spiel. Diese finanzieren Eingliederungshilfen, die Menschen mit körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung (wozu psychische Erkrankungen wie Psychosen oder Depression zählen) eine Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen sollen.

 

„Man muss Verschiedenheit akzeptieren“

 

Anders, als es der Begriff andeutet, handelt es sich dabei meist nicht um temporäre Hilfen, die mit einer erfolgreichen Eingliederung wieder eingestellt werden können. „Eine geistige Behinderung ist nichts, was man beheben kann. Man muss die Verschiedenheit, die Nicht-Leistungsfähigkeit akzeptieren“, meint Severin Höhmann. Daher werden diese Hilfen oft dauerhaft benötigt, etwa im Alltag in der eigenen Wohnung oder einem Wohnheim und bei der Fahrt zur oder während der Arbeit. Hinzu kommen Therapien, zeitlich begrenzte Betreuung oder spezielle Kurse, die den Weg zu einem regulär bezahlten Job ebnen (Weitere Informationen, wer Anspruch auf Eingliederungshilfen hat, wie das rechtlich geregelt ist und welche Alternativen es gibt, finden sich hier).

Darum kümmern sich private Sozialdienste, auch „freie Träger“ genannt. Die Kosten übernimmt der Bezirk. 2010 wurden in Pankow 69 Millionen Euro für Eingliederungshilfen ausgegeben. Für 2015 wird mit 85,6 Millionen Euro gerechnet. Das entspricht über zwölf Prozent des gesamten Haushaltsvolumens und einer Steigerung um 25 Prozent.

Auch die Zahl der Hilfebedürftigen hat zugenommen. Im vergangenen Jahr wurden in Pankow etwa 2800 Empfänger gezählt – knapp zehn Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor. Dieser Trend ist auch auf Landes- und Bundesebene zu beobachten (eine ausführliche Statistik gibt es hier).

„Natürlich muss sich die Gesellschaft fragen, wie viel Prozent vom Bruttoinlandsprodukt sie für diese Hilfen ausgeben will. Ich würde mir wünschen, dass das rechtzeitig diskutiert wird, bevor alles zusammenbricht und uns womöglich viel radikalere Einschnitte drohen“, sagt Lioba Zürn-Kasztantowicz.

Für Pankows Sozialstadträtin (SPD) sind die Eingliederungshilfen eine Herzensangelegenheit. Dies ist der Bereich, in dem sie im Bezirksamt von Friedrichshain-Kreuzberg arbeitete, bevor sie als Politikerin nach Pankow wechselte. Noch heute erinnert sie sich an den autistischen Jungen, der in ihrem Büro saß und mit einer außerordentlichen Fähigkeit Sachen sortierte. „Für manchen Betrieb wäre er sicher eine große Bereicherung gewesen“, meint sie.

Auch darum geht es bei der Eingliederungshilfe: die individuellen Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen zu erkennen, zu fördern und sie darüber in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Eine Idee, die niemand in Frage stellt. Doch die Kommunen sind kaum noch in der Lage, das Angebot zu finanzieren.

 

Zahl der seelischen Behinderungen nimmt zu

 

Die Suche nach den Ursachen für die Kostenzunahme beginnt bei den steigenden Fallzahlen. Lange wurden diese mit der „Euthanasie“ unter den Nationalsozialisten begründet. Eine ganze Generation von Menschen mit Behinderungen wurde damals daran gehindert, alt zu werden. Entsprechend stark war der Anstieg in den Jahren nach dem Krieg. Heute, fast 70 Jahre später, ist dieser Einfluss jedoch nur noch gering.

Dafür verdanken wir dem medizinischen Fortschritt, dass die Lebenserwartung auch bei Menschen mit Behinderung stark gestiegen ist. Auch Frühchen mit geringem Gewicht kommen heute eher durch, benötigen im Lauf ihres Lebens aber manchmal Hilfe. Zudem wird mittlerweile mit Behinderungen offener umgegangen. Die Hemmschwelle, Unterstützungen zu beantragen, ist damit gesunken.

Darüber hinaus werden immer mehr Menschen mit einer seelischen Behinderung diagnostiziert, zu denen dauerhafte psychische Probleme führen können. Zwischen 1997 und 2012 ist die Zahl der Fälle, in denen Menschen aufgrund einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig wurden, um 140 Prozent gestiegen, wie aus dem Gesundheitsreport 2013 der DAK hervorgeht.

„Die Forschung sieht da einen Zusammenhang mit Faktoren wie Arbeitslosigkeit, und Armut, Ausgrenzung und Vereinsamung“, sagt Reinald Purmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin. In diesem sind viele der sozialen Träger organisiert, die Eingliederungshilfen leisten. „Früher war die häufigste Ursache für Krankschreibungen Rückenschmerzen. Das kam von dem Versuch, trotz Stress und Druck aufrecht zu gehen. Seit ein paar Jahren führen psychische und psychiatrische Probleme diese Statistiken an. Jetzt versuchen die Menschen gar nicht mehr, aufrecht zu gehen.“

Die moderne Arbeitswelt sowie der Verlust persönlicher Netzwerke machen uns krank. Das schadet zuallererst den Menschen, treibt aber auch die Fallzahlen und damit die Belastung der Sozialkassen nach oben, lautet Purmanns Argumentation. Wer über die Kosten nachdenke, müsse dort ansetzen.

 

„Vor lauter Sparwahn kein Geld für Prävention“

 

„Hinter jeden Fall steht ein Mensch mit einem großen Problem. Aber wenn er kein Fall ist, gibt es kein Geld. Wir brauchen ein Budget für präventive Arbeit, bevor Menschen Fälle werden“, meint er. Statt Millionen in Eingliederungshilfen zu investieren, könnten mit einem Bruchteil des Geldes Stadtteilzentren, Seniorenangebote und andere Anlaufstellen unterhalten werden, die Menschen sozialen Halt und Beschäftigung bieten in Zeiten, in denen Familien über die gesamte Republik verteilt leben.

Gerade solche Angebote werden aber immer als erstes eingespart, wenn das Geld im Bezirk knapp wird, wie man in Pankow zuletzt an den beiden Seniorenfreizeitstätten Stille Straße und Herbstlaube beobachten konnte.

Als Beispiel erfindet Purmann die Geschichte einer alten Dame, die sich mit ihrer knappen Rente von 850 Euro wenig leisten kann und in ihrer Wohnung vereinsamt. Irgendwann beginnt sie, Stimmen zu hören und glaubt, die Nachbarin hätte ihr Gift in den Briefkasten gesteckt. Daraufhin kommt sie erst ins Krankenhaus, dann ins Pflegeheim und muss rund um die  Uhr betreut werden. „Nun kostet die Oma die Allgemeinheit viel mehr als 850 Euro Rente.“ Jemand, der sie zu Hause abholt und zu einem Stricktreff mit anderen Senioren gebracht hätte, wäre nicht nur besser für die Oma, sondern auch günstiger gewesen, meint Purmann. „Vor lauter Sparwahn bleibt aber nichts mehr für die Prävention.“ Letztendlich verursachten diese Einsparungen jedoch höhere soziale Kosten.

Erkrankungen verhindern, wo es geht – so mag sich ein Teil des Problems lösen lassen. Doch zehn Prozent mehr Betroffene in den vergangenen fünf Jahren erklären nicht den Anstieg der Kosten um 25 Prozent im gleichen Zeitraum.

Auch dafür gibt es mehr als eine Ursache. Zum einen haben sich die Standards verbessert. Mussten sich Menschen mit Behinderung früher in Wohnheimen auch mal zu sechst ein Zimmer teilen, gesteht die Gesellschaft ihnen heute viel eher ihr Recht auf Privatsphäre zu. Zum anderen wird seit einiger Zeit mehr Menschen ambulant zu Hause als stationär in Wohngemeinschaften geholfen. Auch das kann zu steigenden Kosten führen, wenn etwa eine 24-Stunden-Betreuung erforderlich ist.

Und noch etwas hat einen entscheidenden Einfluss auf die Kosten: wie viele unterschiedliche Hilfen eine Person erhält und wer sich darum kümmert.

 

Per Fragebogen wird ermittelt, wer welche Hilfen braucht

 

Wer Eingliederungshilfe beantragen möchte, wendet sich zunächst an das Bezirksamt. Dort wird nach einem standardisierten System ermittelt, in welchen Bereichen Hilfebedarf besteht. Gearbeitet wird dabei mit dem „Metzler-Fragebogen“, den Heidrun Metzler von der Universität Tübingen im Auftrag der Fachverbände der Behindertenhilfe entwickelt hat. In 34 Kategorien wird dort erfasst, ob man alleine einkaufen, sich waschen oder sein Geld verwalten kann. Auch Faktoren wie die Fähigkeit, sich zu orientieren oder soziale Beziehungen aufrecht zu erhalten, werden berücksichtigt.

Danach weiß das Amt, ob jemand Unterstützungen bei der Jobsuche, im Alltag oder auf dem Schulweg benötigt. In der Regel wird die Einschätzung einmal im Jahr überprüft. Erbracht werden diese Hilfen von besagten sozialen Trägern. Genau wie seinen Arzt kann man sich auch den Träger selbst aussuchen. „Besonders bei den stationären Angeboten sind die Kostenunterschiede oft sehr groß“, sagt Sozialstadträtin Zürn-Kasztantowicz.

Ein Platz in einer WG für Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung kann in Pankow bei großem Hilfebedarf zwischen 88 und 126 Euro pro Tag kosten, ein Betreuungstag in einer Werkstatt mal 74, mal 103 Euro. Die Betreuung in der eigenen Wohnung schlägt mit 114 bis zu 122 Euro zu Buche (eine Übersicht steht online). Wie viel die Träger verlangen, können sie weitestgehend selbst festlegen. Bezahlen muss in jedem Fall der Staat.

Auf diesen Aspekt ist vor ein paar Jahren bereits der Berliner Landesrechnungshof aufmerksam geworden. Damals wurde bemängelt, dass freie Träger in Berlin für Eingliederungshilfen viel mehr verlangten als in anderen Stadtstaaten üblich. In einer Prüfung der Einrichtungen vom Land Berlin wurde 2010 ermittelt, dass in Wohnheimen für gleiche Leistungen Preisspannen von bis zu 150 Prozent auftraten, die sich nicht erklären ließen. Daraufhin hat das Land versucht, dem entgegenzusteuern. Einheitliche Preise gibt es jedoch weiterhin nicht.

Ein weiterer Aspekt ist die Leistung selbst, und wer bestimmt, dass sie nötig ist.

 

Therapeutisches Reiten, Werkstätten, Theatergruppe

 

Das Haus in der Schönhauser Allee scheint in zwei Zeitzonen zu stehen. Die Fassade ist neu gemacht und gehört eindeutig ins Jahr 2014. Tritt man durch den Torbogen in den Hof, erwarten einen bröckelnder Putz und roher Backstein wie in den späten 80ern. Wer hier die Treppe bis unter das Dach nimmt, kommt in die hellen Verwaltungs- und Therapieräume von Prenzlkomm.

Der soziale Träger hat sich auf die Unterstützung von Menschen mit psychischen Behinderungen spezialisiert. Zum Angebot gehören eine therapeutische Wohngemeinschaft, ein Tageszentrum und Betreuung in der eigenen Wohnung und sowie vielfältige Therapiemöglichkeiten vom Reiten bis zur Theatergruppe. Zudem gibt es Werkstätten, ein Café und ein eigenes Gästehaus im brandenburgischen Tornow, um die Leute an die Arbeitswelt heranzuführen. Das Unternehmen hat 80 Mitarbeiter, die jedoch nicht alle in Vollzeit arbeiten. Sie kümmern sich um 200 „Klienten“, wie es hier neutral heißt. Finanziert wird alles über die Eingliederungshilfe.

Eine Holzwerkstatt in einem Betrieb für Menschen mit Behinderungen. (Foto: Ann-Kathrin John)

„Wir bieten therapeutische Betreuung verzahnt mit praktischen Angeboten“, erklärt Psychologin Cornelia Diebow. Eine junge Frau, die in der Schule gemobbt und von ihren Eltern nicht unterstützt wurde, lernt beim Pferdeprojekt, sich durchzusetzen und aus eigener Kraft ein Pferd dazu zu bringen, sich von A nach B zu bewegen. Ein Depressiver, der alleine den Weg zum Arzt nicht mehr schafft, wird dorthin begleitet und bekommt eine Beschäftigung in der Holz- oder Schneiderwerkstatt. Mit jemandem, der seinen Alltag nicht mehr meistert, werden auch einfach mal Papiere sortiert. Diebow sagt: „Wir bieten Beziehungen an – Beziehungen zu uns. Viele, die kommen, haben so etwas nicht mehr.“

Auch sie erzählt von Menschen, deren soziales Netz zerrissen ist oder die vor den komplexen Anforderungen im Alltag kapitulieren. Arbeitslose vereinsamen; wer Arbeit hat, geht darin unter. „Entweder man ackert oder man langweilt sich zu Tode“, meint sie. Früher hätten die Familien ihre Angehörigen aufgefangen. Heute werde das ausgelagert, etwa an soziale Träger wie Prenzlkomm.

 

„Natürlich wird da betrogen.“

 

Die Menschen, die hier anklopfen, wurden von Amt und Arzt mit einer Diagnose, einer Zuordnung in eine Hilfebedarfsgruppe und einer Vorstellung ausgestattet, was ihnen helfen könnte. Was für die einzelne Person funktioniert, und welche Maßnahmen sinnvoll sind, kann aber erst der Träger im ausführlichen Kontakt mit dem Klienten feststellen. Das ist ein Problem, denn Träger können das System ausnutzen und sich theoretisch mehr Hilfen bezahlen lassen, als nötig sind.

Immer wieder geraten soziale Einrichtungen in die Kritik, weil sie falsch abrechnen und sich auf Kosten ihrer Klienten oder Mitarbeiter bereichern. In Berlin sorgte der Fall der auf die Obdachlosenhilfe spezialisierten Treberhilfe für Aufsehen, deren Geschäftsführer sich einen Maserati und eine See-Villa bei Potsdam leistete, während er seine Angestellten unter Tarif bezahlte. Bekannt werden aber immer nur Einzelfälle; eine umfassende Kontrolle der Träger durch das Land oder den Bezirk erfolgt nicht. „Wir werten nicht aus, wie viel Kosten ein Träger verursacht. Dafür fehlt das Personal,“ sagt Pankows Sozialstadträtin. Auch das könnte ein Grund für die gestiegenen Ausgaben sein.

Axel Bielefeld sieht das locker. Aus Sicht des Linken-Politikers und Vorsitzenden des Pankower Sozialausschusses ist das System der Eingliederungshilfen so formalisiert, dass es keiner Kontrolle bedarf. In seinem Ausschuss seien diese daher auch noch nie groß Thema gewesen, sagt er. Jan Schrecker von den Piraten wird deutlicher. „Natürlich wird da betrogen. Das weiß auch jeder. Aber es ist ein schwieriges Thema, weil die Betroffenen ja die Unterstützung bekommen sollen, die sie brauchen“, meint er.

 

Interesse zu helfen, Interesse zu sparen

 

Allein in Pankow gibt es über 220 Einrichtungen, die Eingliederungshilfe anbieten. Das Amt schafft es einfach nicht, diese und ihre Kostenstrukturen regelmäßig zu überprüfen.

Zwar wurde in Berlin vor zehn Jahren das sogenannte Fallmanagement eingeführt. Seitdem gibt es im Sozialamt Mitarbeiter, die zumindest fachlich fortgebildet wurden, um mit den Fachkräften der freien Träger auf Augenhöhe nötige Hilfen diskutieren zu können. Unterstützt werden sie von Sachbearbeitern, die sich um die Verwaltungsarbeit wie die Dateneingabe ins Computersystem oder das Begleichen von Rechnungen kümmern. „Die Hilfen sollen dadurch passgenauer sein“, erklärt die Sozialstadträtin.

Allerdings kommen auf die fast 2800 Menschen, die in Pankow Eingliederungshilfen beziehen, nur elf Fallmanager, denen 22 Sachbearbeiter den Rücken freihalten.

Bei Prenzlkomm sind für 200 Klienten 80 Mitarbeiter beschäftigt. Sie sehen sich manchmal mehrmals in der Woche und arbeiten zusammen. Der Fallmanager tritt nur einmal im Jahr auf den Plan. Wenn er gerade krank ist, oder Urlaub macht, nicht einmal das.

„Es gilt immer, das Interesse zu sparen mit dem Hilfebedarf abzuwägen “, sagt Cornelia Diebow. Oft sei es schwer, verständlich zu machen, warum bestimmte Hilfen wichtig und richtig seien, zumal der Fortschritt von Klient zu Klient sehr unterschiedlich verlaufe. Sie habe kein Interesse, die Menschen im System zu halten und würde Hilfen auch absenken, wenn es möglich wäre.

Abhilfe schaffen könnte eine neutrale Instanz, die weder finanziell von der Höhe der Hilfen profitiert noch Sparvorgaben einhalten muss. Das würde allerdings noch mehr Verwaltungsaufwand schaffen. Dabei ist die Bürokratie schon jetzt ein Problem.

Sie fühle sich all dem hilflos ausgeliefert, erzählt eine junge Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Aufgrund einer psychischen Erkrankung ist sie auf Unterstützung angewiesen. Sie ärgert sich über die vielen Zuständigkeiten. Mal muss sie sich an die Krankenkasse wenden, mal ans Jobcenter, mal ans Sozialamt. Sie habe nicht den Eindruck, dass die Mitarbeiter dort richtig geschult seien. „Man könnte sehr viel Zeit und vermutlich auch Geld sparen, wenn das besser organisiert wäre.“

 

Bürokratie verschlingt zusätzlich Geld

 

Ähnlich sieht das auch Severin Höhnmann, der Elternvertreter der Helene-Haeusler-Schule. „Wenn man gut informiert ist, gibt es ein gutes, breites Angebot. Aber es ist zu zerstückelt und es gibt zu viele Ansprechpartner“, meint er. Manch einer kapituliere schlicht vor der Verwaltung. Zudem werde nicht offensiv über Fördermöglichkeiten aufgeklärt. „Der Bezirk hilft nicht; die Krankenkassen schon gar nicht.“ Die meisten Informationen bekommt seine Familie über die Schule.

Dabei verschlingt diese Bürokratie zusätzlich Geld. Als die Familie den Betreuer ihres Sohnes eine Zeit lang selbst organisierte und über das Amt finanzieren ließ, kostete das pro Stunde 15 Euro. Seit ein paar Jahren werden Hilfen jedoch nur noch über soziale Träger abgerechnet, da das Amt die zusätzliche Verwaltung an diese ausgelagert hat. Dadurch haben sich die Kosten verdoppelt.

Ein funktionierendes System, in dem Hilfebedürftige sich gut versorgt fühlen und Kosten transparent gehandhabt werden, sieht anders aus.

Wie genau, diskutiert derzeit die Bundesregierung, die 2016 ein Teilhabegesetz verabschieden will (mehr dazu hier). Es soll Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Handeln ermöglichen, die Zuständigkeiten vereinfachen und zudem die Kommunen finanziell entlasten. Bislang ist aber nicht absehbar, ob sich dadurch auch alle strukturellen Probleme beheben lassen.

„Es bedarf einer gesellschaftlichen Diskussion, bevor alles zusammenbricht“, sagt Sozialstadträtin Zürn-Kasztantowicz. „Man baut ein System für diese Gruppe, man baut eins für jene Gruppe – und damit ist dann für die allermeisten das Problem weg. So geht das aber nicht. Inklusion soll nicht nur die behinderten Menschen in die Gesellschaft führen, sondern vielmehr die Gesellschaft zu den behinderten Menschen.“

 

Weitere Informationen, wer Anspruch auf Eingliederungshilfen hat, wie das rechtlich geregelt ist und welche Alternativen es gibt, finden sich hier.

Zudem gibt es hier eine Infografik zu den steigenden Fallzahlen und Kosten. 

 

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe über den Pankower Bezirkshaushalt, die mit einer Förderung der Rudolf Augstein Stiftung ermöglicht wurde.

Bisher erschienen:

Wie funktioniert der Bezirkshaushalt überhaupt? Ein Erklärversuch mit Gifs.

Infografik, wofür Pankow 2014 Geld ausgibt. 

Text und Grafik, ob der Bezirk an der Parkraumbewirtschaftung verdient, sowie ein Interview mit einem Verkehrsplaner zur planerischen Idee hinter den Parkzonen. 

 

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