„Wir wollen nicht nur Blech vor der Tür sehen“

von Juliane Schader 18. November 2014

Manche halten die Parkraumbewirtschaftung für reine Schikane. Für Verkehrsplaner Thomas Richter ist sie ein sehr wirksames Mittel der Verkehrslenkung. Ein Interview über Parken im Kiez, in Hongkong und der Zukunft.

Mit der Parkscheinbewirtschaftung verdient der Bezirk Pankow Geld – doch das ist nicht sein Hauptanliegen. Worum es wirklich geht, kann Thomas Richter, Verkehrsplaner und Leiter des Fachgebiets Straßenplanung und Straßenbetrieb am Institut für Land- und Seeverkehr der TU Berlin, erklären. 

 

Herr Richter, wer ist eigentlich auf die Idee mit der Parkraumbewirtschaftung gekommen?

Parkraumbewirtschaftung gibt es in Deutschland schon seit vielen Jahrzehnten. Was ein bisschen neu ist, ist das Anwohnerparken, das die grundsätzliche Idee der Parkraumbewirtschaftung mit einer Bevorzugung der Anwohner verbindet. Das gibt es in Berlin seit etwa zwölf, fünfzehn Jahren.

 

Was sind die planerischen Ziele?

Diejenigen, die dort nicht wohnen, sollen mit Geld dazu überredet werden, nicht mit dem Auto, sondern mit anderen Verkehrsmitteln etwa zur Arbeit zu fahren. Und die Anwohner sollen bevorzugt werden, damit sie abends auch einen Stellplatz finden.

 

Werden diese Ziele erreicht?

Immer, wenn eine Parkzone eingerichtet wird, hat das Konsequenzen, denn wenn sie den ganzen Tag als Beschäftigter dort parken würden, wäre das auf die Dauer ziemlich teuer. Die Bewohnerparkzonen zeigen also Wirkung.

 

Das klingt nach einer Erziehungsmaßnahme.

So würde ich es nicht nennen. Es geht darum, mit Push- und Pull-Faktoren den Autofahrer sanft in den öffentlichen Nahverkehr zu bewegen. Da gehört die Parkraumbewirtschaftung als sehr wirksames Instrument dazu.

 

Ist eine solche staatliche Beeinflussung nicht gerade in einem Autoland wie Deutschland schwierig?

Das sehe ich überhaupt nicht. Zwar ist es richtig, dass Deutschland ein Autoland ist, aber unsere Städte sollen ja keine Autostädte werden. Die Leute wohnen da und wollen nicht nur das Blech vor der Tür sehen. Man muss eine gesunde Mischung finden zwischen einem Angebot an Stellplätzen und Straßenräumen voller Autos.

 

Neben dem Freihalten von Parkplätzen für Anwohner sollen die Straßen also auch für andere Nutzungen zur Verfügung gestellt werden?

Genau. Wenn sie immer mehr Stellplätze im öffentlichen Straßenraum abschaffen und zum Beispiel Quartiersgaragen für die Bewohner oder klassische Parkhäuser für die Einkäufer und Beschäftigten zur Verfügung stellen, dann können die Straßenräume umgestaltet werden.

Bei vielen Straßen würde sich beispielsweise anbieten, Radfahrstreifen zu bauen oder in die Begrünung reinzugehen. Bei einer klassischen Straße, die durchgehend beparkt wird, könnte man etwa alle vier Stellplätze einen Baum, ein paar Fahrradbügel oder Überquerungshilfen einrichten. Damit würde man nur ein Drittel der Stellplätze wegnehmen, und trotzdem hätte man dann eine deutlich bessere Straßenraumgestaltung.

 

Als Voraussetzung für eine solche Umgestaltung nennen Sie den Bau zentraler, großflächiger Parkmöglichkeiten. Dafür ist in einem Altbauquartier wie Prenzlauer Berg aber wenig Platz.

Natürlich. Quartiersgaragen kommen eher in Betracht, wenn man über Neubau nachdenkt.

In den Altbaugebieten gibt es historisch bedingt wenige Stellplätze. Wenn sie so ein klassisches Mietshaus mit Hinterhaus haben, dann wohnen da vielleicht 40, 50 Personen mit 20 Autos. Aber wenn sie die Fläche vor dem Haus berechnen, dann passen da fünf oder sechs hin. Das passt sowieso nicht zusammen. Da muss man sich etwas einfallen lassen.

 

Da es schon an den Parkplätzen für Anwohner mangelt, müssen zumindest die Autos von Besuchern ferngehalten werden, und das funktioniert nur über Gebühren?

Geld ist immer eine sehr wirksame Methode. Das wirkt meist deutlich besser als Appelle.

Allerdings muss man auch denjenigen, die viel bezahlen müssen, Alternativen anbieten. Parkraumbewirtschaftung funktioniert nur dann, wenn man die Möglichkeit hat, mit dem öffentlichen Nahverkehr oder vielleicht auch mal mit dem Fahrrad zu fahren. In Berlin geht das, denn der öffentliche Nahverkehr ist, wenn er denn fährt, wirklich gut.

 

Von vielen wird die Parkraumbewirtschaftung nicht als ein Mittel der Verkehrslenkung, sondern als vom Staat gern genommene weitere Einnahmequelle wahrgenommen.

Das Anwohnerparken ist keine Einnahmequelle, weil die Anwohner selbst nur einen geringen Beitrag jedes Jahr bezahlen müssen, um so einen Ausweis zu bekommen. An den Bußgeldern von Falschparkern verdient man mehr. Aber die Parkraumbewirtschaftung muss ja auch überwacht werden, um diese lenkende Wirkung zu bekommen, und das Personal muss bezahlt werden.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das die Parkraumbewirtschaftung einer der ganz großen Einnahmeposten ist. Vielmehr müssen die Kommunen, die sie einführen, die Wirtschaftlichkeit nachweisen, damit am Ende der Aufwand für die Überwachung nicht deutlich größer ist als das, was man an Geld einnimmt.

 

In Prenzlauer Berg hat die Parkraumbewirtschaftung zu Verdrängungseffekten geführt. Zunächst gab es sie nur im Süden. Dann haben die Leute einfach eine Straße weiter geparkt, woraufhin auch dort Parkraumbewirtschaftung eingeführt wurde. Jetzt ist eine dritte Erweiterung im Gespräch. Geht das so weiter, bis die Stadtgrenze erreicht ist?

Die Einführung erfolgt bewusst schrittweise. Solange Verdrängungseffekte beobachtet werden, muss man entsprechend erweitern.

 

Konkret sieht die Bewirtschaftung in Prenzlauer Berg derzeit so aus, dass alle 100 Meter ein Parkscheinautomat steht und 150 Menschen im Drei-Schicht-System auf der Straße unterwegs sind, um Falschparker zu kontrollieren. Gibt es dazu alternative Modelle?

Jein. Es wird zukünftig sicher Modelle geben, bei denen man sich per App für einen Stellplatz einbucht und die Kontrolle dann nur noch vorbeifahren und die Kennzeichen abgleichen muss –  ähnlich wie bei den Maut-Brücken. Das muss aber auch umgesetzt und finanziert werden.

 

Bislang bedeutet Parkraumbewirtschaftung auch eine permanente Präsenz von Ordnungspersonal im Kiez. Manche fühlen sich schon an die Stasi erinnert. Macht man sich als Planer darüber Gedanken?

Natürlich macht man sich Gedanken; ich sehe das aber nicht als Problem.

Im Straßenverkehr wird man ständig überwacht. Wenn Sie bei Rot über die Ampel oder zu schnell fahren, dann werden Sie auch geblitzt und mit ihrem Kennzeichen erfasst. Das ist ja nichts anderes. Solange sie ihren Parkschein ordnungsgemäß gezogen haben, werden sie ja nicht weiter behelligt.

Außerdem ist es gut, dass die Kontrolleure sichtbar sind, denn dann ist auch der Druck da, dass man nicht irgendwo illegal parkt. Manche fühlen sich auch sicherer, wenn Ordnungshüter auf der Straße unterwegs sind.

 

Nun ist der Mangel an Parkplätzen ja kein besonderes Berlin-Problem. Wie gehen andere Städten damit um? Gibt es Alternativen zur Parkraumbewirtschaftung?

Weltweit betrachtet sind andere Städte da viel rigoroser. In Hongkong fahren zum Beispiel fast alle mit dem Taxi oder dem öffentlichen Nahverkehr, weil es einfach kaum Stellplätze gibt, und die sind so teuer, dass sich das keiner leisten kann. In New York ist das genauso. Es lohnt sich einfach nicht, mit dem eigenen Auto zur Arbeit zu fahren und es dort den ganzen Tag stehen zu lassen.

 

Aus planerischer Sicht ist die Parkraumbewirtschaftung, wie sie hier durchgeführt wird, also weltweit die beste bekannte Methode?

Um das Ziel zu erreichen – möglichst wenig Autos in den Straßenräumen abzustellen – ist das sicherlich richtig.

 

So wie Sie es erklären, ist die Parkraumbewirtschaftung für die Anwohner ein Gewinn. Trotzdem stößt das Konzept oft auf wenig Gegenliebe. Zuletzt wurde im Sommer per Bürgerentscheid gegen eine Parkzone in der Köpenicker Altstadt gestimmt. Wie erklären Sie sich das?

Wenn sie eingeführt wird, wehren sich immer viele dagegen, weil damit viele Fragen aufkommen, insbesondere: Was macht mein Besuch? Der muss dann ja einen Parkschein ziehen. Aber auf der anderen Seite erhöht das die Chance, am Abend selbst einen Stellplatz zu finden. Deswegen werden Parkzonen auch nur dort eingeführt, wo Parkplatznot vorhanden ist. Wo eh immer Stellplätze frei sind, macht es wenig Sinn.

 

Was entgegnen Sie jemandem, der sagt: Ich bin auf mein Auto angewiesen; ich muss jeden Morgen mit ihm zu meinem Arbeitsplatz in Prenzlauer Berg fahren, und diese Parkraumbewirtschaftung kostet mich Unmengen?

Normalerweise ist keiner gezwungen, mit seinem Auto zu fahren, weil er Alternativen hat – dazu gehören die öffentlichen Verkehrsmittel und das Fahrrad sowie mittlerweile auch Carsharing- oder Bike-Sharing-Modelle. Eine Ausnahme ist es, wenn jemand schwerbehindert ist oder man das Auto während der Arbeitszeit braucht, aber dann muss der Arbeitgeber ja auch einen Stellplatz zur Verfügung stellen.

Das ist meistens eher im Kopf oder im Gefühl. Wenn man mal ganz richtig drüber nachdenkt, ist kaum jemand auf sein Auto wirklich angewiesen.

 

Wie viel Geld der Bezirk Pankow mit den Parkzonen verdient, steht in dieser Infografik und dem dazugehörigen Artikel

 

 Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe über den Pankower Bezirkshaushalt, die mit einer Förderung der Rudolf Augstein Stiftung ermöglicht wurde.

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