Da staut sich was zusammen

von Juliane Schader 19. Mai 2014

Drei Jahre Bauzeit für einen 700 Meter langen Tunnel unter dem Mauerpark – muss das sein? Nein, meint Ralf Steeg. Der Ingenieur kennt eine Alternative. Am Osthafen ist sie schon im Einsatz.

Ralf Steeg ist gerade erst zurück von einer Motorbootfahrt über die Themse. Für ein paar Tage war der Berliner in London, allerdings nicht zum Urlaub. Wenn Steeg Motorboot fährt, dann macht er das beruflich. Schließlich verdient der Ingenieur mit seinem Fachwissen über Wasser und dessen Verbleib in der Stadt sein Geld. „Ich kann mir ein Leben ohne Mischwasserkanalisation nicht mehr vorstellen“, sagt er.

Mischwasserkanalisation? Davon war hier schon des Öfteren die Rede. Sie ist das Modell, zu dem sich vor über 150 Jahren die Stadtplaner entschlossen, die das mit den stark wachsenden Städten in Zeiten der Industrialisierung regeln mussten. Damals galt es, das verschmutzte Wasser sicher vor die Tore der Stadt zu bugsieren – auch um die weitere Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Die Planer entschlossen sich, es nach römischem Vorbild über unterirdische Rohre aus der Stadt auf die Rieselfelder zu leiten und das Kanalsystem auch gleich zum Auffangen des Regenwassers zu nutzen. Ab- und Regenwasser wurden also vermischt. So erklärt sich der Name.

 

Bis zu 40 mal jährlich läuft die Kanalisation in die Flüsse

 

Alles gut und schön. Nur ein Problem gab es: Bei starkem Regen war das System überfordert. Damit das Wasser nicht einfach aus den Gullis spritzte, sorgte man stattdessen dafür, dass die Kanalisation in die Flüsse überlaufen konnte. Dieses Prinzip gilt bis heute – mit der Folge, dass regelmäßig Abwasser in Spree und Panke landet.

Klingt nach einem Umweltverständnis von 1870, passiert aber laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auch heute noch 30 bis 40 mal pro Jahr. Allerdings arbeiten die Wasserbetriebe seit Jahren daran, das zu ändern. Antrieb bietet die europäische Wasserrahmenrichtlinie, an die sich auch Berlin halten muss.

Die Lösung ist die Schaffung von Stauraum, in dem bei Starkregen das Wasser zwischengespeichert werden kann, bis wieder genug Platz in den Kanälen ist, um es gesteuert Richtung Klärwerk zu pumpen. An der Storkower und der Greifswalder Straße sind die Wasserbetriebe in Prenzlauer Berg schon aktiv. Darüber hinaus planen sie für elf Millionen Euro einen 700 Meter langen Stauraumkanal unter dem Mauerpark zu bauen, der jedoch auf Kritik stößt: Drei Jahre lang soll der stark genutzte Park dafür zur Baustelle werden. Die engagierten Bürger halten das für nicht praktikabel.

 

„Zu teuer, dauert zu lange, hält nicht einmal“

 

Hier kommt nun Ralf Steeg ins Spiel. Denn der Ingenieur ist der Meinung, am Mauerpark viel günstiger und schneller Wasserspeicherplatz schaffen zu können als die Wasserbetriebe.

„Das Problem ist, dass derartige unterirdische Speicher immer Einzelanfertigungen sind“, erklärt er. Das sorge für einen sehr langen Planungsvorlauf. Zudem sei es ein Fehler, diese aus Beton zu bauen, der vom Abwasser zersetzt werde. „Was da geplant wird, ist zu teuer, dauert zu lange und hält nicht einmal.“

 

Luri Watersystems

Das System besteht aus einzelnen Modulen aus Glasfaser, die zusammengesteckt werden können. Abbildung: Luri watersystems

 

Doch er belässt es nicht bei der Kritik – eine Alternative hat er schon in der Schublade: ein Baukastensystem aus Glasfaserrohren, die sich flexibel zusammenstecken lassen, wobei die Rohre sowohl horizontal als auch vertikal verlaufen können, und die sowohl über als auch unter der Erde einsetzbar sind. Erarbeitet hat das System Steegs Firma gemeinsam mit der TU Berlin, gefördert vom Bildungsministerium für Wissenschaft und Forschung.

 

Ein halbes Jahr Bauzeit, bis zu zwei Millionen Euro günstiger

 

Im Mauerpark könnten zwei miteinander verbundene Rohrsysteme zum Einsatz kommen. Konkret kann man sich das als zwei Röhren vorstellen, auf denen jeweils senkrecht weitere Röhren stehen. Da somit auch in die Höhe gestaut wird, ist das System bei Weitem nicht so lang wie der von den Wasserbetrieben geplante Stauraumkanal. Steeg rechnet mit zwei Baugruben von jeweils 25 mal 25 Meter Größe und 20 Metern Tiefe. „Wir würden untersuchen, ob man das System unter der neuen Parkfläche bauen könnte.“ Der Parkbetrieb bliebe von den Arbeiten weitestgehend verschont. „Wir kalkulieren am Mauerpark mit einem halben Jahr Bauzeit und Einsparungen bis zu zwei Millionen Euro.“

Dass die Glasfaserröhren praxistauglich sind, das beweisen sie seit zwei Jahren am Osthafen. Dort wurden sie zu einer Insel auf der Spree montiert und fangen das Schmutzwasser direkt an einem der Überlaufpunkte in den Fluss ab.

 

700 Meter Tunnel unter dem Mauerpark, 25 Kilometer Tunnel unter der Themse

 

Bis es soweit war, musste Steeg jedoch dicke Bretter bohren. Daher lässt er sich auch jetzt nicht davon abschrecken, dass die Wasserbetriebe erklären, ihre Planungen seien schon zu weit fortgeschritten, um noch auf ein zudem kaum erprobtes System umzuschwenken. „Gebaut werden soll frühestens 2016; da ist noch mehr als genug Zeit“, meint Steeg. „Am Osthafen haben wir gezeigt, dass wir so etwas realisieren können. Die Anlage am Mauerpark wäre nur eine Weiterentwicklung.“

Und jetzt? Wartet Ralf Steeg erstmal ab. Das hat ihn letztendlich auch bei seinem schwimmenden Wassertank in der Spree zum Erfolg geführt. In der Zwischenzeit berät er unter anderem eine Bürgerinitiative in London, wo man mit den gleichen Problemen kämpft wie in Berlin. Dort soll ein Stauraumkanal direkt unter der Themse gebaut werden, der jedoch mit seinen 25 Kilometern Länge und 4,2 Milliarden Pfund Kosten die Variante im Mauerpark in den Schatten stellt. Vielen Londonern ist das deutlich zu gigantisch. Von Steeg erhoffen sie sich praktikable Alternativen.

 

 

 UNSER FREUNDESKREIS: Werden Sie Mitglied im Freundeskreis der Prenzlauer Berg Nachrichten und stärken Sie damit die Unabhängigkeit Ihrer Lokalzeitung! Mehr Infos hier.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar