Wildblumen

Mehr Bäume, weniger Beton

von Julia Schmitz 29. Juni 2022

Klimakrise und Artensterben sind längst keine theoretischen Konstrukte mehr. Was kann Pankow dagegen tun? Ein Gespräch mit dem Grünen-Bezirksverordneten Axel Lüssow.


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Umweltschutz & Nachhaltigkeit“


Herr Lüssow, wie sieht es in Pankow in Sachen Biodiversität und Artenschutz aktuell aus?

Axel Lüssow: Aus verschiedenen Gründen nicht gut. Und diese verschiedenen Gründe addieren sich leider alle. Es gibt die allgemeine Klimakrise: Es ist sehr trocken, was den Bäumen und Pflanzen sehr zu schaffen macht; der Druck auf die Lebensräume steigt. In Pankow gibt es zu dem eine besonders hohe Bautätigkeit und im Bezirksamt ist die Personalsituation in Hinblick auf den Naturschutz aktuell sehr angespannt. Zusätzlich kommt man an die privaten Flächen wie Kleingärten, Parkplätze oder Hinterhöfe nur sehr schwer ran. In Prenzlauer Berg gibt es eine sehr dichte Bebauung, die teilweise durch Fassaden- oder Dachbegrünung ausgeglichen werden kann. Aber das sind häufig nicht die Lebensräume, die die vorhandenen Tierarten brauchen, und auch keine Erholungsflächen für Menschen.

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Was braucht es, um Biodiversität zu erhalten und zu fördern?

AL: Auf Pankow bezogen braucht es vor allem im Amt für Umwelt- und Naturschutz ganz dringend mehr Personal. Dieses arbeitet den Bebauungsplänen des Bezirksamts zu und prüft Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen – diese sind meistens im Außenbereich im Norden Pankows, oder gar in Brandenburg. In anderen Bezirken Berlins gibt es etliche kleine Projekte zur Erhaltung der Biodiversität, zum Beispiel auf den Grünflächen. Das ist in Pankow aus diesem Grund aber momentan unvorstellbar. Generell muss man immer abwägen zwischen dem Bau- und Nutzungsplan der vorhandenen Flächen und dem sogenannten Landschaftsprogramm. Eigentlich stehen sich da zwei Seiten gegenüber. Die Naturschutzplanung ist absolut unterentwickelt. Auf den Grünflächen des Bezirks könnte das Straßen- und Grünflächenamt zum Beispiel eine Staffel-Mahd durchführen, also nicht das komplette Gras gleichzeitig mähen. Das erhält Lebensräume für Insekten, und je höher das Gras, desto niedriger die Temperatur am Boden, haben Messungen ergeben.

 

Was wären denn mittel- und langfristige Lösungen, vor allem auf politischer Ebene?

AL: Da muss ich noch einmal auf den Personalmangel im Bezirk zurückkommen. Es braucht dringend mehr Mitarbeiter*innen, vor allem im Freilandartenschutz, damit auch der Innenstadtbereich mehr abgedeckt werden kann. Das wird allerdings offenbar erstmal nicht passieren. Durch den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag werden Hunderte Stellen gleichmäßig auf die zwölf Bezirke aufgeteilt. Davon gehen auch Stellen an den Bereich Klima und den von Stadtentwicklung und Grünflächenamt. Es sieht aber aktuell so aus, dass beim Artenschutz in den Ämtern nichts ankommt. Wir müssen die ganzen Konzepte umsetzen, die bisher nur auf dem Papier stehen. Man kann zum Beispiel die gesamte Bauplanung von Anfang an auf Artenschutz ausrichten, das heißt “Animal Aided Design” und bezieht auch die Umgebung der Gebäude ein. Bei rechtzeitiger Planung ist das nicht teuer, aber für eine naturnahe Grünflächenpflege braucht es mehr Investitionen vom Land Berlin und mehr Kompetenz in den Ämtern und Firmen.

 

Und was für Maßnahmen gibt es in Pankow bereits und wo gibt es Verbesserungsbedarf?

Es gibt eine Biotopverbundplanung, also die Verbindung verschiedener Rückzugsräume für Flora und Fauna miteinander. Die wurde aber seit 2016 nicht mehr aktualisiert. Das soziale und grüne Infrastruktur-Konzept (SIKo), welches auch ausreichend Grünflächen in die Stadtplanung integriert, hat das Bezirksamt zur gleichen Zeit ebenfalls nicht mehr fortgeschrieben. Pankow ist dem Bündnis der „Kommunen für biologische Vielfalt“ beigetreten, es gibt die “Strategie biologischer Vielfalt”, die “Charta für das Berliner Stadtgrün” und das “Handbuch gute Pflege”. Das Problem ist: Wenn, wie oben erwähnt, zwischen Bauen und Naturschutz abgewogen wird, gewinnt fast immer das Bauen. So lange diese beiden Bereiche nicht auf Augenhöhe stehen, wird es mit der Biodiversität und dem Artenschutz vermutlich immer weiter abwärts gehen.

Leider wurde das Baurecht 2005 geändert und zwar dahingehend, dass Bauherren immer mehr Verantwortung selbst tragen: Sie müssen in Eigenregie prüfen, ob an ihrem Gebäude Vögel wie Spatzen, Mauersegler oder Fledermäuse eventuell ihre Nester haben. Sie sind dann verpflichtet, Gutachter ihrer Wahl zu beauftragen, die nachschauen, welche Tiere das sind und ob es Ersatzmaßnahmen geben muss. Und dieses System funktioniert überhaupt nicht! Viele Bauherren wissen das gar nicht oder wollen es nicht so genau wissen, Standards für Gutachten sind erst jetzt in der Entwicklung. Die Folge sind Rechtsunsicherheit und sogar Baustopps, und ein Rückgang von Nestern und geschützten lokalen Lebensräumen wie Sträuchern.

 

Im Sommer 2018 hat Pankow den Klimanotstand ausgerufen, trotzdem wurden seitdem erst wenige Projekte umgesetzt. Liegt das nur an der Langsamkeit der Bürokratie?

AL: Bei den Ämtern gibt es, positiv ausgedrückt, eine gewisse Beständigkeit. Aktuell bin ich zum Beispiel mit Mitarbeiter*innen im Gespräch darüber, was eigentlich die Definition einer „hochwertigen Grünanlage“ ist. Die Grünflächen werden in in mehrere Kategorien eingeteilt und die Pflege entsprechend finanziert. Es sollte also auch entsprechend viel Geld in den Artenschutz gehen; es können zum Beispiel Totholzhecken angelegt oder eben weniger gemäht werden. Das ist bei den Ämtern aber noch nicht angekommen. Das Grundproblem beim Klimanotstand ist, dass er aufgeteilt ist in zwei Bereiche: Zum einen gibt den Klimaschutz, zum Beispiel durch das Einsparen von Treibhausgasen beim Verkehr, durch weniger Tierhaltung oder durch energetisches Sanieren. Wie schaffen wir es, dass sich die Erde nicht mehr weiter erwärmt, als sie es ohnehin schon tut? Zum anderen gibt es die Klimaanpassung, die leider oft vernachlässigt wird. Dazu gehört die grüne Infrastruktur zur Kühlung der Stadt und als Lebensraum für Flora und Fauna.

 

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

AL: Der Biotopverbund geht zum Beispiel Bahnstrecken entlang, auch an der Greifswalder Straße. Wenn dort eine Schule gebaut werden soll ist es wichtig, dass diese nicht direkt an den Gleisen steht und direkt dort auch kein sieben Meter breiter Fahrradweg verläuft. Es muss ein Grünzug übrigbleiben, damit bestimmte Artenpopulationen sich austauschen können. Sonst kommt es zu einer genetischen Verarmung und Verinselung, die zum Aussterben der Arten führen kann. Berlin hat eine höhere Artenvielfalt als die Agrar-Wüste im Brandenburger Umland. Im Bezug auf die Grünflächen im Bezirk sollte man schauen, dass diese ebenfalls nicht isoliert, sondern miteinander vernetzt sind – zum Beispiel durch mehr Begrünung von Straßen-, Dächern und Fassaden und „pocket parks“. Dadurch wird es auch kühler in der Stadt. Das heißt aber auch, dass teilweise dort Bäume und Büsche gepflanzt werden müssen, wo jetzt Autos stehen.

 

Stattdessen lässt das Straßen- und Grünflächenamt Pankow immer mehr Bäume fällen.

AL: Genau. Das ist ein Punkt, der mit Klimakatastrophe zusammenhängt. Es ist immer trockener und etliche Baumarten unserer Gegend sind darauf nicht eingestellt. Das ließe sich zum Beispiel durch Regenwassermanagement lösen: Das Wasser, welches auf den Dächern landet, geht meistens direkt in die Kanalisation – und diese läuft auch noch in Seen über. Denn die Extremwetter durch den Klimawandel sind neben Dürrephasen auch mehr Starkregenfälle. Man könnte Regentonnen an die Fallrohre stellen und das Wasser sammeln. Die meisten Menschen, die aktuell die Straßenbäume gießen, nutzen dafür ja größtenteils Grundwasser oder Leitungswasser. Aber davon haben wir immer weniger. Die Speicherung von Regenwasser in Zisternen, Leitungen und Versickerungsflächen würde allerdings einen Straßenumbau erfordern. Denn selbst wenn man einen Baum dorthin pflanzt, wo vorher ein Parkplatz war, ist das eine Baumaßnahme. Für die braucht es den entsprechenden politischen Willen. Die zuständige Stadträtin von Mitte, Almut Naumann (Grüne), hat angekündigt, dass sie in dieser Wahlperiode ein Viertel der Parkplätze in ihrem Bezirk entsiegeln will. In Pankow habe ich sowas leider noch nicht gehört.

 

Warum ist Biodiversität überhaupt so wichtig beziehungsweise ihr Verlust gefährlich?

AL: Die Artenvielfalt stellt einen Genpool dar, den wir in Zukunft dringend brauchen werden. Wenn immer weniger Arten existieren, ist das eine Verarmung des gesamten Ökosystems – was irgendwann zum Beispiel komplette Nahrungsketten wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lässt. Positiv ist, dass Vögel und Artenvielfalt allgemein unheimlich wichtig für eine lebenswerte Stadt sind. Stichwort Klimagerechtigkeit: Gerade Menschen mit niedrigem Einkommen können sich selten oder nie Urlaub leisten, und auch keine Klimaanlage, weshalb es besonders wichtig ist, dass die Grünfläche und auch kleine Grünanteile erhalten bleiben. In Studien wurde zum Beispiel ein Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und Vogelstimmen nachgewiesen. Natur beruhigt. Schaut man sich die Versorgung mit öffentlichen Grünflächen in Berlin an, ist diese aber defizitär – und als Zielgröße soll pro Person ohnehin nur die Fläche eines Fiat Panda zur Verfügung stehen.

 

Wir haben viel über Politik gesprochen. Aber was kann jede*r Einzelne tun?

AL: Wer einen Garten oder Kleingarten hat, kann ökologisch wirtschaften. Es gibt die Möglichkeit, Baumscheibenpatenschaften zu übernehmen und diese biodiverser zu bepflanzen. Immer mehr Menschen melden sich außerdem bei mir und den Ämtern, weil sie bei den Grünflächen mithelfen wollen. Wir brauchen mehr Bürgerinitiativen, die sich zusammenschließen und schauen, wie sie ihren Kiez mehr begrünen, entsiegeln und aufwerten können. Dieses bürgerliche Engagement kann viel bewirken, und ich unterstütze das gerne mit Beratung und über die BVV durch Anfragen und Anträge.

 

Axel Lüssow ist Bezirksverordneter der Grünen in Pankow und Sprecher der LAG Tierschutzpolitik.

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