Die Bezirksverordneten weigern sich, Nicolas Seifert zum Stadtrat zu wählen. Die AfD weigert sich, einen anderen Kandidaten aufzustellen. Die Bildung des Bezirksamts ist damit blockiert. Und jetzt?
Spätestens seit letzten Mittwoch ist klar, dass die Bezirkspolitik in Pankow vor einem verwaltungsrechtlichen Dilemma steht: Gemäß des Stärkeverhältnisses der Parteien in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat die AfD das Recht, einen Stadtrat im Bezirksamt zu stellen und dafür einen Kandidaten vorzuschlagen. Das hat sie getan, nämlich den 42-jährigen Unternehmensberater Nicolas Seifert. Die Bezirksverordneten müssen den vorgeschlagenen Kandidaten mit einer einfachen Mehrheit wählen. Das haben sie nicht getan. Und zwar gleich fünf mal hintereinander. Danach wurde die Wahl abgebrochen und auf die nächste Sitzung der BVV am 14. Dezember vertagt.
AfD könnte Stadratsposten verlieren
Die Entscheidung der Verordneten scheint also unumstößlich. Sie wollen, dass die AfD einen anderen Kandidaten vorschlägt. Die aber hält an Seifert fest. „Und wenn wir 20 Mal mit ihm antreten müssen“, sagt Ronald Gläser, Pressesprecher und Vorsitzender der AfD. Also ist vorerst die Bildung des Bezirksamts blockiert. Denn solange es keinen vierten Stadtrat gibt, ist das Pankower Bezirksamt nicht vollständig konstituiert. Die anderen Bezirksamtsmitglieder müssen die Arbeit des fehlenden Stadtrats übernehmen. Also was nun?
Michael van der Meer (Linke) ist als Bezirksverordnetenvorsteher der Mann, der sich um die Lösung des Schlamassels kümmern muss: „Im Verwaltungsgesetz kollidieren zwei Regeln miteinander“, sagt er. Gemeint sind einerseits die Vorschrift, dass die BVV die Mitglieder des Bezirksamts, also Bürgermeister und Stadträte, wählt. Andererseits besagt der nächste Paragraph, dass die Posten der Mitglieder entsprechend des Stärkeverhältnisses in der BVV verteilt sind und die Wahl auf Vorschlägen basiert. Van der Meer zufolge ist die erste Regel eine Muss-Regel und wiegt deshalb schwerer als die zweite, die nur eine Soll-Regel ist. Und tatsächlich heißt es im Gesetzestext: „Das Bezirksamt soll auf Grund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend ihrem nach dem Höchstzahlverfahren (d‘Hondt) berechneten Stärkeverhältnis in der Bezirksverordnetenversammlung gebildet werden.“
„Wenn die AfD trotz mehrfacher Ablehnung keinen anderen Kandidaten vorschlägt, missbraucht sie ihr Vorschlagsrecht und verhindert die Bildung des Bezirksamts“, sagt van der Meer. Unter diesem Umstand könnte der Bezirksverordnetenvorsteher der Fraktion das Vorschlagsrecht für den Stadtratsposten entziehen. Es fiele dann im Pankower Fall nach erwähntem Höchstzahlverfahren an die Linke, die mit 13 Sitzen die stärkste Fraktion bildet. Van der Meer ist kein Freund dieser Option: „Darauf habe ich gar keine Lust, das wäre ja meine eigene Partei. Das würde ich nicht einfach so im Alleingang beschließen.“ Er wolle außerdem keine Rechte beschneiden, so van der Meer.
Protest gegen die AfD bei der BVV-Sitzung am 16. November (Foto: Anja Mia Neumann)
Senatsinnenverwaltung soll helfen
Um sich rechtliche Rückversicherung zu holen, wendet sich van der Meer jetzt gemeinsam mit dem Rechtsamt im Bezirk an die Senatsinnenverwaltung. Sie ist die Rechtsaufsicht der Bezirke und soll per Eingriffsrecht entscheiden, was jetzt weiter passiert. Die AfD hätte andererseits die Möglichkeit, beim Verwaltungsgericht Klage einzureichen und so beispielsweise weitere Wahlgänge mit Nicolas Seifert durchzusetzen, so van der Meer. Sollte irgendwann Senatsverwaltungsanweisung gegen Verwaltungsklage stehen, könnte das Steckenbleiben der Bezirksamtsbildung möglicherweise sogar in die zweite Runde gehen.
Ein weiteres rechtliches Problem besteht laut van der Meer darin, dass es bisher keine Vergleichsfälle für das Pankower Bezirksamts-Dilemma gibt. „Die bloße Androhung, das Vorschlagsrecht zu entziehen, hat bisher ausgereicht, um die Parteien zum Umschwenken zu bewegen.“ Nicht so in der aktuellen Situation. Der Vorsitzende der Pankower AfD-Fraktion Stephan Wirtensohn weist in einer Erklärung den Einwand vieler Bezirksverordneter zurück, Seifert sei für das Amt als Stadtrat nicht qualifiziert. Der Kandidat verfüge über Berufserfahrung in nationalen und internationalen Unternehmen und Institutionen der öffentlichen Hand. Außerdem müsse das Amt des Stadtrats auch Quereinsteigern offengehalten werden. Andererseits steht im Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Bezirksamtsmitglieder: „Zum Mitglied eines Bezirksamtes darf nur gewählt werden, wer die erforderliche Sachkunde und allgemeine Berufserfahrung vorweist.“ Auch die Qualifikation für einen Stadtratsposten ist also ein Stück weit Auslegungssache.
Verhärtete Fronten
„Ich habe den Eindruck, der Fraktionsvorsitzende Wirtensohn ist fremdbestimmt“, sagt Bezirksverordnetenvorsteher van der Meer. Er habe ihm im persönlichen Gespräch schon einmal kommuniziert, dass er den Vorfall, bei dem Seifert einen als Clown verkleideten ZDF-Reporter angriff, als „höchst unglücklich“ betrachte. Möglicherweise sei Wirtensohn selbst der Nominierung eines anderen Kandidaten nicht völlig ablehnend gegenüber gestanden. Van der Meer äußerte die Vermutung, Wirtensohn sei bei dieser Entscheidung von der Parteibasis zurückgepfiffen worden. Unabhängig von der Nominierung bedauert van der Meer das wiederholte Schweigen von Nicolas Seifert selbst. Der habe sich gegenüber den anderen Fraktionen nicht zum Clown-Vorfall erklärt: „Mit einer Entschuldigung hat ja niemand gerechnet, aber zumindest mit irgendeiner Stellungnahme.“ Auch, dass Seifert während der langwierigen Wahlgänge in der letzten BVV-Stizung kein einziges Mal das Wort ergriffen habe, sei bedauerlich.
Vorerst stehen sich in Pankow also weiterhin verhärtete Fronten gegenüber. Man halte „natürlich“ weiterhin an Seifert als Kandidaten fest, sagt die AfD. Van der Meer hält dagegen: „Ich habe nicht vor, einen weiteren Wahlgang mit Nicolas Seifert zuzulassen.“ Weitere Erkenntnisse kann jetzt nur die Senatsinnenverwaltung bringen. Bezirksverordnetenvorsteher van der Meer hofft, dass die AfD doch noch einlenkt und einen anderen Kandidaten vorschlägt: „Die AfD ist mit einem signifikanten Stimmenanteil in die BVV gewählt worden. Deshalb soll sie auch ein Mitglied des Bezirksamts stellen und mitarbeiten. Es geht auch darum, den Willen des Volkes anzuerkennen.“ Trotzdem sei die Partei verpflichtet, einen wählbaren Kandidaten aufzustellen..
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