Die Nicht-Wahl des AfD-Stadtrats in Pankow

von Anja Mia Neumann 8. Januar 2017

JAHRESRÜCKBLICK 2016: Wenn Clowns im Publikum sitzen und der AfD-Kandidat auch im fünften Wahlgang nicht zum Stadtrat gewählt wird – dann tagt wieder Pankows Bezirksverordnetenversammlung.

WIEDERHOLUNG VOM 17. November 2016:

Zweiter Wahlgang, dann Nummer drei und vier und letztlich noch ein fünfter: Nicolas Seifert von der AfD gibt nicht auf. Er will Pankows Stadtrat für Umwelt und Ordnung werden und seine Fraktion hat ihn am Mittwochabend ganze vier Mal auf den Plan gerufen – vergeblich. Schon im ersten Wahlgang vor drei Wochen war er mit 41 Nein-Stimmen von insgesamt 55 krachend gescheitert. Und auch jetzt fiel er durch: zum zweiten, dritten, vierten und fünften Mal. Deutlicher geht es kaum mehr.

Kandidat Seifert ist 42 Jahre alt, Unternehmensberater und Eishockeyspieler und hat etwas gegen Clowns. Das zeigte er eindeutig vor einem Jahr, als er sich auf einer AfD-Demo von einem verkleideten heute-Show-Reporter so provozieren ließ, dass er ihm die Perücke vom Kopf riss und ihn wegschubste. Seine Reaktion darauf heute: „Dies war eine Diffamierung von und Propaganda gegen AfD-Wähler, die als Satire und Berichterstattung getarnt war.“ Entschuldigung: Fehlanzeige. Und so saßen am Mittwoch jede Menge verkleidete Clowns im Publikum der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), ausgestattet mit Anti-AfD-Reimen und Plakaten. Souverän ging Seifert damit nicht um und flüchtete letztlich zu seinen Parteigenossen auf die Bänke vor der Absperrung. Für die Presse zu sprechen war er nicht.

 

AfD-Sprecher: Zustände wie in der Türkei und nicht wie in Pankow

 

Dafür äußerte sich AfD-Pressesprecher Ronald Gläser auf Anfrage der Prenzlauer Berg Nachrichten: „Wir halten an Seifert fest – und wenn wir 20 Mal mit ihm antreten müssen.“ Einen Ersatzkandidaten gebe es nicht. Voraussichtlich schon ab der nächsten BVV-Sitzung im Dezember werde die AfD rechtlichen Beistand hinzuziehen. „Die Zustände in diesem Land erinnern mich eher an Erdogan als an Pankow. Hier werden Oppositionelle eingeschüchtert.“ Gläser hoffe, dass die anderen Parteien noch zur Besinnung kommen und sich zumindest bei Seiferts Wahl enthielten.

 

Offene Fragen und eine Wirkung wie ein Zweitligisten-Trainer

 

Seifert ist nicht nur wegen des Reporter-Clown-Angriffs umstritten, sondern hat nach Meinung der allermeisten Entscheider der BVV bisher so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Er brach mit der Tradition, sich frühzeitig in den Fraktionen vorzustellen – weil er im Urlaub war. Bei seiner Vorstellungsrede wollte er mit seinen Manager-Fähigkeiten punkten und lieferte Begründungen für seine Qualifikation wie: „Einer muss es ja machen.“

Und auch bei der anschließenden Runde durch die Parteien konnte er anscheinend alles andere als punkten: AfD-Kandidat Seifert wirke wie „ein Trainer, der einen Zweitligisten vor dem Abstieg bewahren möchte und dann weiterzieht“, sagt Roland Schröder (SPD) am Mittwoch. Matthias Zarbock von der Linken zählt die aus seiner Sicht offenen Fragen auf: Hat er eine realistische Vorstellung vom Amt? Ausreichend Kenntnisse dafür? Und die persönliche Eignung?

 

Acht AfD-Verordnete plus eins

 

Die Antwort darauf war für die meisten Bezirksverordneten: Nein. In den ersten Wahlgängen gibt es noch acht Ja-Stimmen für Seifert (Hintergrund wohl: In Pankows BVV sitzen acht AfD-Verordnete) und 36 Nein-Stimmen, dann sogar 38 Nein-Stimmen. In den letzten beiden Wahlgängen bleibt das Ergebnis: 9x Ja, 37x Nein und 9 Enthaltungen. Das heißt: Ein Abtrünniger einer anderen Partei hat Seifert letztlich doch sein Vertrauen ausgesprochen.

Sollte der Vertrauensvorschuss für Seifert allerdings in diesem Tempo weitergehen und die AfD auf ihren Kandidaten beharren, kann es Monate dauern, bis die AfD in Pankow einen Stadtrat hat. Denn so lange keiner gewählt ist, übernehmen die anderen Stadträte seine Aufgaben. „Tatsächlich war es nicht der Clownangriff, sondern seine desolate Vorbereitung auf das Amt“, schreibt Gregor Kijora (SPD) als Begründung auf Twitter.

Zwischendrin hatte die AfD – wohl genervt vom Publikum – versucht, die Öffentlichkeit aus dem Saal auszuschließen. Minutenlang mussten Presse und Besucher vor verschlossenen Türen ausharren bevor es wieder hinein ging. Der Bezirksverordnetenvorsteher Michael van der Meer (Linke) mahnte zur Mäßigung der Demonstranten – die Sprechchöre verstummten daraufhin, aber die Clowns blieben.

 

Kühne bleibt CDU-Stadtrat, Bürgermeister Benn zitiert einen DDR-Liedermacher

 

Ansonsten war die Tagesordnung der BVV übersichtlich an diesem Mittwochabend, schließlich agierte Pankows Bezirksamt noch immer in Rumpf-Besetzung von drei Menschen. Nummer vier kam nach der Nicht-Wahl des AfD-Stadtrats am Mittwoch hinzu: Torsten Kühne von der CDU wird Stadtrat für Schule, Sport, Gesundheit und Facility Management (34 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen, 19 Enthaltungen).

Und der frisch vereidigte Sören Benn (Linke), Pankows neuer Bürgermeister, berichtete zum ersten Mal aus dem Bezirksamt. Dafür bemühte er ein Zitat des DDR-Liedermachers Gerhard Schöne, das möglicherweise als sein Leitspruch im Amt herhalten könnte: „Mit dem Gesicht zum Volke. Nicht mit den Füßen in ’ner Wolke.“

 

 

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