Es wird eng

von Thomas Trappe 7. März 2016

Wie sieht Prenzlauer Berg in Zukunft aus? Wo liegen die Chancen des Bevölkerungswachstums, wo die Risiken? Eine Annäherung in Schlaglichtern.

Klare Ansage in der jüngsten Berliner Bevölkerungsprognose. Pankow wächst bis 2030 nach der mittleren Prognose um 16 Prozent. Der Bezirk Pankow ist damit beim Wachstum Spitzenreiter unter den Berliner Bezirken. Der Stadtteil Prenzlauer Berg allerdings hat damit wenig zu tun, glaubt man der Prognose. Zwischen fünf und zehn Prozent betrage in dem Stadtteil das wahrscheinliche Wachstum, heißt es dort. Das entspräche bei knapp 160.000 Einwohnern einem Zuwachs von 8.000 bis 16.000 Prenzlauer Bergern. Das stärkste Wachstum, mehr als 30 Prozent, wird für den nördlichen Stadtteil Buch erwartet. 25 bis 30 Prozent für das nördliche Weißensee und Heinersdorf. 20 bis 25 Prozent für das nördliche Pankow. 15 bis 20 für das südliche Pankow und schließlich 10 bis 15 Prozent für das südliche Weißensee. Die Tendenz also ist deutlich: Je Innenstadt, desto weniger Wachstum. Von den rund 61.000 bis 2030 zu erwartenden Neu-Pankowern werden damit, jedenfalls laut Prognose, drei Viertel nicht in Prenzlauer Berg wohnen. Oder, wie es der Prenzlauer Berger Stadtentwicklungspolitiker Andreas Otto (Grüne) im Interview sagte: Das größte Potenzial zur Nachverdichtung gibt es im Norden des Bezirks.

Das unabhängige Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung legte kürzlich seinen Bericht „Berlin 2030 – Grundzüge einer smarten Wachstumsstrategie“ vor. Der Bericht fußt großteils auf gleichen Daten wie die aktuelle Berliner Bevölkerungsprognose und konstatiert, dass der Süden Prenzlauer Bergs, also die jetzt schon hochverdichtete und teure Gegend des Stadtteils, geringere „relative Wanderungsgewinne“ haben werde, Buch hingegen hohe. 

Trotzdem: Zurücklehnen kann man sich in Prenzlauer Berg ob dieser Entwicklung nicht. 8000 bis 16000 neue Menschen, das sind zwei bis viermal so viele, wie es heute Flüchtlinge und Asylbewerber im ganzen Bezirk gibt – deren Unterbringung in Wohnraum bekanntlich alles andere als problemlos läuft. Wie also wird sich Prenzlauer Berg in den kommenden Jahren entwickeln, entwickeln müssen? Wo wird es eng, wo muss nachgesteuert werden? Nähern wir uns dem Thema in Schlaglichtern.

 

Die Ausgangslage

 

Berlin ist ein „Nachzügler unter den Metropolen“, heißt es in der Studie des Berlin-Instituts, im weltweiten Vergleich wegen seiner geringen wirtschaftlichen und industriellen Schlagkraft „zweite Liga“. Noch, denn in den vergangenen Jahren habe die Stadt einen hoffnungsvollen Weg eingeschlagen. Ein globaler Megatrend, die Digitalisierung, sei „vermutlich der größte Treiber von Veränderungen in Berlin“. Die höchste Dichte an IT-Professoren in ganz Deutschland und eine ausgeprägte „digitale Forschungslandschaft“ machten Berlin zum „wichtigsten Zentrum der Informationstechnologie in Deutschland“. Und Prenzlauer Berg kann hier durchaus mit Mitte mithalten, wenn es um einen zukunftsträchtigen Bereich geht, um nur ein Beispiel zu nennen: Medizintechnik und Bioinformatik. So hat auf dem Gelände der alten Bötzow-Brauerei vor zwei Jahren Otto Bock, einer der wichtigsten globalen Akteure in der Medizintechnik, eine „Denkwerkstatt“ eröffnet, um unter Startups der Medizin- und Bioinformatikbranche in den Stadtteil zu locken. Und in Buch, also in Fahrweite, befindet sich in der ehemals größten Klinikstadt Europas ein Forschungsstandort der Charité, die hier unter anderem mit biomedizinischen Unternehmen zusammenarbeitet.

Maßgebliche Experten und Entscheidungsträger bescheinigen Berlin im Allgemeinen und den medizinischen Zentren der Stadt beste Chancen, ein Motor der digitalen Wirtschaft in der Stadt zu sein. Davon können zwar alle Stadtteile profitieren – jedoch besonders die, die attraktiv auf Akademiker wirken und verkehrstechnisch gut angebunden sind. Prenzlauer Berg wäre bei jener Zielgruppe sicher nicht die letzte Wahl. Die zentrale Lage und eine gute ÖPNV-Anbindung wurde auch in unserer Umfrage mit am häufigsten genannt, geht es um die Vorzüge Prenzlauer Bergs als Wohnort.

 

Wohnen

 

92 Prozent der Leser, die an unserer Umfrage teilnahmen, gingen davon aus, dass die Wohnungsknappheit das drängendste Problem der kommenden Jahre sein werde. „Zu voll“ sei es hier, sagte ein Leser in der Umfrage, fast alle Befragten sorgten sich um die steigenden Mieten, viele um einen wahrgenommen ungebremsten Zuzug und die Verdrängung Alteingesessener. Tatsächlich lebten in Prenzlauer Berg vor rund hundert Jahren schon einmal doppelt so viele Menschen wie heute, doch als Referenz taugt das kaum: Schließlich haben sich sowohl die Ansprüche von Bewohnern als auch die der Stadtentwicklungspolitik geändert. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung setzt beim Wohnungsbau auf Großprojekte – sei es am Thälmannpark, im Mauerpark oder in den Kleingartenanlagen, deren Schutzfrist bald ausläuft. Reichen wird das nicht, vor allem scheint es nur bedingt geeignet, Wohnraum auch für jene zu schaffen, die nicht so viel Miete zahlen können.

Kleinteiligere Lösungen müssten her, sagen dazu unter anderem die Berliner Grünen im Abgeordnetenhaus, die in einer Studie 2014 darlegten, dass in ganz Berlin durch Dachgeschossausbauten, Aufstockungen und Umnutzungen 90.000 neue Wohnungen entstehen könnten. Doch auch dies würde aller Voraussicht nicht reichen, den Bedarf an neuen Wohnungen in Prenzlauer Berg zu decken. Wahrscheinlicher ist ein Ausweichen auf Stadtgebiete außerhalb des S-Bahnrings, wie es ja auch vom Berlin-Institut und der Senatsverwaltung vorhergesagt wird. „Alles innerhalb des Rings wird unbewohnbar werden, da es in Berlin scheinbar zu viele wirklich reiche Menschen gibt und Vermieter ihr Angebot an der Nachfrage orientieren“, sagte ein Leser in der Umfrage. Er kenne Wohnungsbesichtigungen mit 70 Teilnehmern, bei denen eine Normal-Doppelverdienerfamilie keine Chance mehr hätte.

 

Verkehr

 

Die Stadt wird sich also Richtung Norden ausdehnen, jetzt noch ländliche Gebiete werden urbanisiert. Prenzlauer Berg als Wirtschaftsstandort und Prenzlauer Berg als Wohnstadt für Menschen, die anderswo in der Stadt arbeiten – zwei Tendenzen, die für eine erhebliche Erhöhung des Verkehrsaufkommens sorgen werden. Welcher Art der Verkehr sein wird, ist kaum vorhersagbar. Fest steht nur, dass die derzeit rot-grün dominierte Kommunalpolitik auf eine Zurückdrängung des individuellen Autoverkehrs zielt, mal mehr, mal weniger entschlossen. Parkraumbewirtschaftung gewinnt an Bedeutung, Stellplätze für Autos werden weniger. Zu viele Autos gäbe es heute, sagte ein Teil unserer Befragten, zu viele Parkplätze, ein anderer. Das Thema Verkehr birgt damit zuerst einmal Konfliktpotenzial, wie die Diskussion um den Ausbau der A100 zeigt, die irgendwann über die Storkower Straße erreicht werden soll. Ob das Straßennetz Prenzlauer Bergs tendenziell ausgebaut wird, ist damit sehr fraglich – noch fraglicher ist, ob man damit nicht auf einen Verkehrsinfarkt zusteuert.

Viele Kommunalpolitiker setzen auf einen Bedeutungsgewinn des Fahrrads. Stellplätzen für diese räumt der Pankower Stadtrat für Stadtentwicklung, Jens-Holger Kirchner (Grüne), inzwischen mehr Bedeutung ein als Autoparkplätzen – dies ist vor allem eine politische Botschaft. Doch auch Fahrräder brauchen Platz und sichere Wege. Meistens läuft dies auf Ressourcenkämpfe mit Fußgängern oder Autofahrern hinaus, bestens zu beobachten in der Kastanienallee oder in der Schönhauser Allee. „Vielleicht wird die Schönhauser wirklich gestaltet“, hofft ein Leser und bringt damit zum Ausdruck, was Viele als notwendig ansehen, um den Verkehr in den Griff zu kriegen: Eine radikale Neuausrichtung, die sich zum Beispiel auch in autofreien Bereichen niederschlagen könnte.

Der Verkehr wird sich erhöhen, in welchen Gefährten auch immer. Größere Straßenbahnen, schnellere Takte, mehr Busse – das sind sicher noch die am einfachsten zu lösenden Probleme. Schwerer wird es, wenn bauliche Strukturen angepasst werden müssen. Seien es Tram-Haltestellen, die ausgebaut werden müssen, oder auch komplette S-Bahn-Stationen, man denke nur an die zu Stoßzeiten überfüllte Schönhauser Allee. Und dass die U2 in Pankow enden muss, also dort, wo das Bevölkerungswachstum in den kommenden Jahrzehnten erst richtig anfängt, könnte irgendwann in Frage gestellt werden.

 

Kitas, Schulen, Turnhallen

 

Dass mehr Geld in die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur investiert werden muss, darin sind sich unsere Leser einig. Kein Wunder, denn der Bezirk hat eine der höchsten Quoten, geht es um nicht schulpflichtige Kinder, die in einer Tageseinrichtung betreut werden. Bei der Suche nach einem Kitaplatz bereuen manche Prenzlauer Berg Eltern, jemals Kinder bekommen zu haben, im Bezirksamt betont man hingegen, dass doch alle Kinder versorgt werden könnten. Entscheidend ist aber, welche Qualität die Betreuung hat. In seiner Studie weist das Berlin-Institut darauf hin, dass Berlin neben den anderen ostdeutschen Bundesländern den niedrigsten Betreuungsschlüssel der Republik hat. Ein Erzieher kommt hier im Schnitt auf sechs zu betreuende Kinder, in Baden-Württemberg sind es nur drei. Vor allem gut verdienende Eltern könnten hier verstärkt auf die Idee kommen, Elterninitiativkitas ins Leben zu rufen, um ihre Kinder nicht in kommunale Kitas geben zu müssen, die mitunter nur als Notlösung verstanden werden.

Bei den Schulen gibt es bereits jetzt massiven Sanierungsstau, an Berichte über unzumutbare Schultoiletten hat man sich inzwischen gewöhnt. „Sind die Schulen für wachsende Schülerzahlen gewappnet“, fragt sich ein Leser in unsere Umfrage – und nach derzeitigem Stand kann man das kaum bejahen. Man baut im Bezirk dem akut wachsendem Bedarf hinterher, gerne mit Not-, Übergangs- und Containerlösungen. Vor allem in Prenzlauer Berg fehlt es schlicht an Platz für neue Gebäude, mehr Platz ist in den Randlagen. Eine Leserin berichtete kürzlich der Redaktion, dass sie ihr Kind im Nachbarbezirk auf ein Gymnasium schicken muss, weil es in Pankow keine Möglichkeit für sie gegeben habe. Eine Herausforderung bei der Schulplanung der Zukunft wird es also sein, eine möglichst wohnortnahe Versorgung zu gewährleisten. Gleiches gilt für die Turnhallen, die jetzt schon nicht mehr ausreichend Platz für Vereine und Schulen bieten – selbst, wenn hier keine Flüchtlinge untergebracht würden.

 

Grünflächen

 

Parks und Grünanlagen stehen in Prenzlauer Berg doppelt unter Druck. Weil immer mehr Menschen Erholung suchen. Und weil bei der Suche nach freien Flächen zuerst hierher geschaut wird. Etwa der Park am Planetarium, wo ein neuer Schulcampus entstehen soll. Auf der Werneuchener Wiese ist eine Feuerwache geplant, am Thälmannpark sollen neue Wohnhäuser entstehen. Im Mauerpark lässt sich studieren, was diese Entwicklung bedeutet. Ein Nachmittag an einem Sommerwochenende hier hat mit Erholung im Grünen nichts zu tun, am Montagmorgen gleicht der Park einer Müllkippe im Anfangsstadium. Gleichzeitig wird der Park in den kommenden Jahren durch eine Bebauung im Norden erheblich verkleinert, was zu noch mehr Publikum, weniger Park- und sicher auch zu weniger Wohnqualität in der unmittelbaren Nachbarschaft führen wird.

Dass Lösungen für dieses Dilemma gefunden werden, ist schwer vorstellbar. Grün und Erholungsfläche kann man nicht verdichten, effiziente Nutzung ist bei Grünflächen ein Widerspruch in sich, man kann Parks nicht in die Höhe bauen. Das Zukunftsszenario für Prenzlauer Berger Grünflächen ist damit recht einfach zu beschreiben: Es wird aller Voraussicht nach weniger. Sehr viele Leser beklagten in der Umfrage das fehlende Grün, verbunden mit Lärm und Schmutz der Innenstadt. Für manche Leser führt das zu einer ganz eigenen Bevölkerungsprognose für Prenzlauer Berg. „Nette Leute ziehen ins Grüne und sind dann weg“, fasst ein Leser die Stimmung in seinem Umfeld zusammen.

 

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Lesen Sie hier weitere Texte zu unserem Themenschwerpunkt Wachstum

Die Ergebnisse unserer Leserumfrage

Zur mangelnden Verlässlichkeit Berliner Bevölkerungsprognosen

Das Interview mit dem Prenzlauer Berger Stadtentwicklunspolitiker Andreas Otto

 

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