Park im Ohr

von Juliane Schader 22. Juni 2015

Durch den Ernst-Thälmann-Park spazieren kann man jederzeit. Doch dabei auch durch die Zeit zu wandeln und Anwohnern, Architekten und Zeitzeugen zu lauschen, ist nur beim B_Tour-Festival ab Freitag möglich.

Dieser Hund klingt sehr real und ist doch nicht zu sehen. Irgendwo hinter mir muss er sein, ich höre es genau. Doch die Kindergruppe und das Blätterrauschen vorhin kamen ja auch nur vom Band. So langsam sollte ich mich daran gewöhnen, dass diese moderne Technik wirklich einiges kann.

Ich stehe im Ernst-Thälmann-Park und schaue auf die Hundewiese und die sie begrenzenden Plattenbauten. In der Tasche habe ich einen kleinen MP3-Player, im Ohr meine Kopfhörer. Über diese lasse ich mir gerade von Anwohnern erzählen, wie es war, in den 1980er als erste Bewohner in diese Neubausiedlung im Herzen der Altbauruine Prenzlauer Berg zu ziehen. Nicht unspeziell sei diese zusammengewürfelte Nachbarschaft gewesen, meint eine Frauenstimme, und erzählt von einer Mieterkonferenz, auf der gefordert wurde, die Wäsche nicht oberhalb der Balkonbrüstung aufzuhängen – wie sähe das denn aus! Aber der Park sei wunderbar gewesen, meint jemand anderes. Und was für eine Erleichterung, dass das alte Gaswerk endlich weg und der Wohnsiedlung gewichen sei! Vogelgezwitscher und Kinderlachen unterstreichen diese Einschätzung.

 

DDR-Hymne am Denkmal, Dornröschen am Teich

 

Eine halbe Stunde ist es her, dass Lisa Albrecht mir den Player mit dem Audio-Spaziergang durch Raum und Zeit in die Hand gedrückt hat. Seitdem habe ich vor dem Theater unterm Dach gestanden und dem Gaswerk bei der Arbeit zugehört, dessen letzte Überreste der Backsteinbau darstellt. Archivaufnahmen haben dokumentiert, wie es stillgelegt und abgerissen wurde; ein Architekt hat erklärt, dass der Klinker an den Eingängen und Loggien der Hochhäuser eine Reminiszens an die verschwundenen Industriebauten darstellt. Vor dem Denkmal hat die Nationalhymne der DDR mit Erich Honeckers Park-Eröffnungsrede von 1986 um die Wette gedröhnt; am Teich hat ein Kinderchor das Lied von Dornröschen und der wachsenden Hecke gesungen. Ich bin derweil durch den Park gewandert und habe die Gegenwart vor Augen und die Geschichte im Ohr in Einklang zu bringen versucht.

Dass ein paar Geräusche eine ganze Dimension neu aufzumachen verstehen, ist wirklich beeindruckend.

 

Die begehbare Masterarbeit als Teil des B_Tour-Festivals

 

Seit vergangenem Herbst hat Lisa Albrecht an dem Werk gearbeitet. Die Studentin hat Zeitzeugen, Anwohner und Politiker (sowie, Offenlegung: mich) interviewt, Geräusche im Park aufgezeichnet und das Ganze am Computer zusammengebastelt. Die moderne Technik macht es möglich, dass die Geräusche dreidimensional wirken. Das sorgt dafür, dass alles so echt klingt, während man durch den Park spaziert.

Im Juli wird Albrecht ihre „Hör-Spuren“, wie sie das Projekt genannt hat, als Masterarbeit im Fach Europäische Medienwissenschaft an der Uni Potsdam verteidigen. Schon am kommenden Wochenende kann man ihnen im Rahmen des B_Tour-Festivals folgen.

 

Lisa Albrecht im Thälmann-Park (Foto: jw)

Auf das Thema sei sie eher durch Zufall gestoßen, erzählt Albrecht später. Die Prenzlauer Bergerin wollte gerne einen Ort in ihrem Kiez mit einer Audio-Tour neu erfahrbar machen. Wie viele Schichten es am Thälmann-Park (siehe Info-Box rechts) zu dokumentieren galt, hat sie dann im Laufe der Arbeit gemerkt. Erst dann ist ihr auch bewusst geworden, dass sie einer Familientradition folgt: Ihr Vater hatte in den 1980ern seine Diplomarbeit ebenfalls über das Areal geschrieben: Wie man die drei alten Gasometer an der Prenzlauer Allee sonst noch nutzen könnte, lautete sein Thema damals (ein Artikel über sein Projekt findet sich hier).

 

 Papa und die Proteste

 

Folgerichtig ist es auch der Papa, den ich höre, während ich später auf der kleinen Plattform an den S-Bahngleisen stehe und auf das Planetarium und die Wiese davor schaue. Er erzählt, wie die DDR-Führung sich 1984 doch zur Sprengung der drei historischen Gasspeicher entschloss, und wie die Prenzlauer Berger erstmals gegen eine Entscheidung von oben offen vorgingen.

Am Ende der Tour, nach gut einer Stunde, darf Tim Florian Horn, der Chef des Planetariums, noch berichten, welche Pläne er für das nun seit 25 Jahren am Ort der Gasometer stehende Gebäude hat, welches gerade saniert wird.

Zum einen ist der große Bogen damit geschlagen. Zum anderen verlässt man den Park in dem Wissen, dass dessen Geschichte weitergeht.

 

Wer die Tour durch den Thälmann-Park ebenfalls laufen möchte, hat dazu am Freitag, 26. Juni um 11 und 17 Uhr, am Samstag, 27. Juni um 17 Uhr und am Sonntag, 28. Juni um 14 Uhr Gelegenheit. Karten kosten 9, ermäßigt 7 Euro und können hier geordert werden. Treffpunkt ist an der Ecke Danziger/Greifswalder Straße.

Wer weitere Touren des Festivals besuchen möchte, kann auch Kombitickets zu 21/18 Euro (drei Touren) bzw. 30/25 Euro (fünf Touren) buchen.

Weitere Informationen gibt es auf der Website des Festivals.

Achtung: Für die Thälmann-Park-Tour muss man Kopfhörer mitbringen. Außerdem ist der Park nicht an allen Stellen barrierefrei. Mit ein wenig Ortskenntnis lassen sich die Stufen jedoch meiden. 

 

Wenn Sie den Erhalt der Prenzlauer Berg Nachrichten sichern und Mitglied werden wollen, bitte hier entlang. Vielen Dank!

Wenn Sie schon Mitglied sind, können Sie den Link unten im Kasten teilen und diesen Artikel so Ihren Freunden zum Lesen schenken.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar