Stadt der Autos

von Juliane Schader 8. Mai 2014

Weil einst die Autolobby einen sehr guten Job machte, gehören die Straßen heute den Autos. Doch es ist an der Zeit, dass Fußgänger und Radler ihr Recht einfordern. Warum nicht am Helmholtzplatz?

Der autofreie Monat im Helmholtzkiez kommt doch nicht – zumindest nicht in der bisher geplanten Form. Man hatte kaum Zeit, die Idee zu überdenken, da hatten die Mitglieder des Bezirksamts, die nicht Jens-Holger Kirchner sind, den Vorstoß des grünen Stadtrats schon wieder einkassiert. In der geplanten Größe und an diesem Ort werde das nichts.

Selten hat man Matthias Köhne (SPD), Pankows Bürgermeister, öffentlich so deutlich werden hören: „Pankow ist kein Versuchslabor für Öko-Phantasien“, schrieb er auf seiner Facebookseite, an anderer Stelle sprach er von „Zwangsbeglückung“. Plötzlich blühte auch sein brach liegender Twitter-Account auf. Ganz offensichtlich war Köhne mehr als erbost, von Plänen für seinen Bezirk aus der Zeitung zu erfahren.

Sonst hält sich Pankows Bürgermeister gerne medial im Hintergrund und überlässt Kirchner die Bühne bereitwillig. Diesmal war dieser aber wohl zu weit gegangen.

 

Wem gehört die Straße?

 

Diesem Machtgerangel fällt nun eine Idee zum Opfer, die zu überdenken sich durchaus lohnt. Denn letztendlich geht es ja um die Frage „Wem gehört die Straße?“, die man in einem Kiez voller Carsharer, Fahrrad- und Lastenradfahrer durchaus mal stellen kann.

Etwa einhundert Jahre ist es her, da war die Straße noch Fußgängern, Kutschen und Straßenbahnen vorbehalten, die sich die Fahrbahn teilten. Heute nennt man es „shared space“ und findet es unheimlich revolutionär. Damals war das die Normalität.

Als die ersten Automobile auftauchen, wurden sie zunächst als Fremdkörper abgelehnt, zumal sie eine tödliche Gefahr für alle anderen Verkehrsteilnehmer darstellten. Politiker, Polizei und Anwohner setzten sich gemeinsam ein für Bannmeilen für Autos, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Parkverbote. So berichtet es zumindest am Beispiel Nordamerikas Charles Montgomery in seinem Buch „Happy City“, in dem er sich auf Spurensuche begibt, wie eine Stadt ihre Bewohner zufriedener machen kann.

 

Lobby-Erfolg der Autoindustrie

 

Doch die Besitzer und Hersteller der Autos wollten sich nicht so einfach verdrängen lassen. Stattdessen schlossen sie sich zu einer Autolobby mit dem schönen Namen „Motordom“ zusammen und starteten eine äußerst erfolgreiche PR-Kampagne.

Innerhalb kürzester Zeit gelang es, dass die Schuld an den Verkehrsunfällen nicht länger den Autos zugeschrieben wurde, sondern den Fußgängern. Statt als gefährliche Dreckschleudern galten jene bald als Inbegriff der Freiheit und Unabhängigkeit und damit als motorisierte Version des amerikanischen Traums. Den rückständigen Fußgängern blieb dagegen nur der Rückzug auf den abgegrenzten Bereich des Bürgersteigs.

 

Fußgänger Helmholtzplatz

Heute haben Autos – wie hier am Helmholtzplatz – Vorfahrt. Foto: Juliane Wiedemeier

 

Die Art der Straßennutzung, wie wir sie kennen, war geboren. Niemand käme heute mehr auf die Idee, Frauen nicht wählen zu lassen, Pickelhauben zu tragen oder seine Kinder prügelnd zu erziehen. Aber die Straßenordnung aus dieser Zeit haben wir beibehalten.

 

Zwei Drittel der Berliner haben gar kein Auto

 

Natürlich gibt es tausend gute Gründe dafür, ein Auto zu haben. Aber auch sehr viele, die dagegen sprechen, gerade in einer Stadt wie Berlin mit einem ausgebauten Radwegenetz, bis in die Nacht fahrenden Bussen und Bahnen und vielen Carsharing-Angeboten.

Schon jetzt besitzen in Prenzlauer Berg relativ wenige Menschen ein Auto. Berlinweit hat das Statistische Bundesamt im vergangenen Jahr 328 Wagen pro 1000 Einwohner gezählt – so wenig wie in keiner anderen Stadt Deutschlands. Warum also nicht hier einmal ausprobieren, wie es wäre, einmal den zwei Dritteln der Berliner Vorfahrt zu gewähren, die kein Auto haben?

Natürlich müsste man Lösungen etwa für die Belieferung von Geschäften finden. Und natürlich können solche Entscheidungen nicht über den Kopf der Bürger und ihrer politischen Vertreter hinweg gefällt werden. Aber so, wie man irgendwann begann, die Atomenergie oder die Gefahren des Rauchens zu hinterfragen, kann man doch auch einmal darüber nachdenken, ob Autos noch das optimale Fortbewegungsmittel für die Großstadt im Jahr 2014 sind.

 

Die guten Erfahrungen von Bogotá

 

Nur mal überlegen, nur mal ausprobieren. Viel mehr sollte die Idee des autofreien Monats doch gar nicht sein.

(Und natürlich Werbung für Elektroautos. Aber die kann man sich dann eigentlich auch sparen.)

Die Sache mit der autofreien Stadt ist übrigens längst erprobt, um noch einmal aus „Happy City“ zu zitieren. Im Jahr 2000 hat etwa der damalige Bürgermeister der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá einen autofreien Tag ausgerufen. Über 800.000 Autos sollten auf ihren Parkplätzen verbleiben, und jeder glaubte, dass die Stadt daraufhin im Chaos versinken würde. Statt dessen kamen alle zur Arbeit und in die Schulen, der Smog lichtete sich und erstmals seit Jahren starb an diesem Tag niemand auf den Straßen Bogotás.

Kurz darauf stimmten die Einwohner dafür, das Experiment jährlich zu wiederholen. 2015 sollen zudem in der Hauptverkehrszeit Autos im Stadtzentrum verboten werden.

 

 

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