Der Helmholtzkiez goes 21. Jahrhundert – und zwar nicht mit dem Auto. Stadtrat Kirchner möchte Fahrzeuge mit herkömmlichen Motoren für vier Wochen aus dem Quartier verbannen.
Der Kiez rund um den Helmholtzplatz soll im Mai 2015 für Autos mit herkömmlichen Motoren gesperrt werden. Vier Wochen lang dürfen dort dann nur noch Elektroautos fahren. Die rund 20.000 Einwohner müssen ihre konventionellen Fahrzeuge ausquartieren oder gleich in der Garage lassen. Zurück geht diese Idee auf Jens-Holger Kirchner, den Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, der Prenzlauer Berg im Rahmen eines „Eco Mobility Fesitvals“ zum weltgrößten „Schaufenster für emissionsfreie Mobilität“ umwandeln möchte.
„Das ist kein verspäteter Aprilscherz, sondern ein ernst gemeintes Angebot“, sagt Kirchner, jeden Satireverdacht ausräumend. Das Ziel sei, Mobilität einen Monat lang anders zu praktizieren. Zeitgemäßer. Nämlich so: Die rund 3.500 Autos mit Verbrennungsmotor im Kiez sollen 600 elektrischen Carsharing-Fahrzeugen Platz machen. Die einzigen vorgesehenen Ausnahmen sind Autos von Schwerbehinderten sowie Rettungsfahrzeuge.
Wo sonst, wenn nicht hier?
Wer sein ausquartiertes Auto dennoch nutzen möchte, der muss einen kleinen Ausflug auf sich nehmen: Alternative, bewachte Parkplätze seien am Jahn-Sportpark, am S-Bahnhof Greifswalder Straße und in der Fröbelstraße geplant, genau wie ein elektrischer Shuttlebus. Ferner solle die Straßenbahnlinie 12 öfter verkehren – oder die Anwohner steigen gleich auf E-Bikes und Lastenräder um, die sie auf den frei gewordenen Straßen testen können. „Ich sehe das als Herausforderung an uns alle“, sagt Kirchner. Prenzlauer Berg sei bereits sehr fortschrittlich was Mobilität angeht, viele Menschen nutzten ohnehin Fahrrad, Bus und Bahn. Und so folgert Kirchner: „Wo sonst kann man so ein Konzept ausprobieren, wenn nicht hier?“
Fast der ganze Helmholtzkiez soll für einen Monat autofrei sein (Lizenz: ODdL / Openstreetmap)
Das sieht Bezirksbürgermeister Matthias Köhne allerdings anders. Er hatte am Wochenende aus dem Tagesspiegel über das Vorhaben seines Stadtrats erfahren. Erst am heutigen Dienstag wollte Kirchner das Bezirksamt in einer Sitzung über die Festivalpläne informieren, die er bereits seit Monaten zusammen mit einer eigens dafür gegründeten Veranstaltungsgesellschaft entwickelt hatte. „Ich halte es für ausgeschlossen, dass vier Wochen lang so massiv und ohne Not in den Alltag der Bürger eingegriffen wird“, sagt Köhne. Kitas, Geschäfte, Anwohner – zu viele seien betroffen.
Eine Form von Zwangsbeglückung
Für Kirchner ist es ein Mobilitätsexperiment in einem dafür prädestinierten Kiez, für Köhne eine inakzeptable Form von „Zwangsbeglückung“, wie er unlängst bei Twitter mitteilte. Für welche Sichtweise man sich auch entscheidet: Das Konzept hat noch viele offene Fragen. Etwa, wie der Gewerbeverkehr im Kiez abgewickelt werden soll. Oder, wie weit das abgasfreie Gebiet eigentlich reichen wird. Kirchner stellt sich eine stufenweise Ausweitung vor: „In der ersten Woche würden wir mit dem Helmholtzplatz beginnen“, sagt er, letztlich solle das Gebiet von der Stargarder und Danziger Straße sowie Prenzlauer und Schönhauser Allee begrenzt werden. Eine Dimension, die wiederum für Köhne ausgeschlossen ist. „Das steht alles noch zur Diskussion“, sagt Kirchner.
Und diese Diskussion beginnt heute nicht nur im Bezirksamt und im Verkehrsausschuss der BVV, wenn dort erstmals das „Eco Mobility Festival“ vorgestellt wird, sondern auch mit den Bürgern vor Ort. In der Schliemannstraße 34 eröffnet ein Festivalbüro, das Anwohnern und Gewerbetreibenden als Anlaufstelle dienen soll. Betrieben wird es von einer gemeinnützigen GmbH, die zur Umsetzung des Festivals gegründet wurde, als Veranstalter tritt der Bezirk Pankow auf. Die Festivalidee stammt indessen vom weltweiten Städtenetzwerk Iclei und wurde im vergangenen Jahr bereits in der südkoreanischen Millionenstadt Suwon umgesetzt. Das Motto lautete auch dort: „Eine Nachbarschaft, ein Monat, keine Autos.“ Nach Angaben des Veranstalters kamen über eine Million Besucher.
Nachtrag: Das Bezirksamt hat die Idee mittlerweile wieder einkassiert. Die anderen Stadträte waren von der Idee wohl nicht so begeistert wie Jens-Holger Kirchner.
NEWSLETTER: Damit unsere Leserinnen und Leser auf dem Laufenden bleiben, gibt es unseren wöchentlichen Newsletter. Folgen Sie uns und melden Sie sich hier an!