Die Kunst des Überlebens als Künstler

von Christiane Abelein 26. November 2013

Ina Roß wohnt seit 20 Jahren in der Greifenhagener Straße. In einem Café dort hat sie ein Buch geschrieben, das gefühlt für mindestens die Hälfte der Prenzlauer Berger interessant sein könnte.

Dieser Satz trifft mitten ins Herz: „Journalisten sind keine Künstler“. Soll heißen: Wir von den Prenzlauer Berg Nachrichten, wir sind keine Künstler. Das behauptet zumindest Ina Roß, Dozentin für Kulturmanagement und Marketing an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Eigentlich hätte Frau Roß ja gerne, dass wir unseren Lesern ihr Buch vorstellen. Aber sorry, so kann ich einfach nicht arbeiten!

Erst mal hinsetzen, zehn Mal ruhig durchatmen. Na gut, ich schiebe die verletzte Pseudo-Künstlerseele beiseite. Das Buch heißt „Wie überlebe ich als Künstler?“, es soll eine „Werkzeugkiste“ sein für alle, die sich selbst vermarkten wollen. Kaum ist das 190 Seiten-Ding aufgeklappt, springt mir ein Totenkopf entgegen, schief und krumm ziert er das Kapitel „Wie nutze ich als Künstler Facebook?“. Große Zeichenkunst kann der Leser auch in den anderen Kapiteln nicht erwarten. Ina Roß hat sich entschlossen, ihr Buch selbst zu illustrieren, da sehen – wie sie selbst sagt – Drohnen schon mal aus wie fliegende Untertassen.

 

Strichmännchen statt Powerpoint

 

Warum aber macht die Autorin es dann selbst? Weil sie den Do-it-yourself-Gedanken ihres Buches ernst nehmen wollte. Und weil sie die Erfahrung gemacht hat, dass das Unperfekte manchmal Zugänge erleichtern kann. „Als es an der Ernst-Busch hieß, da kommt jetzt ne Kulturmanagerin, da hatten sich viele eine Powerpoint-Frau im Kostümchen vorgestellt – und erst einmal Angst.“ Stattdessen kam eine Strichmännchen-Frau in Jeans und das Eis war bald gebrochen. Nach und nach besuchten ihre Sprechstunde sogar Studierende und Absolventen, die keine Vorlesung bei ihr besucht hatten, und baten um Rat, wie sie ihre tolle Idee denn nun an die Öffentlichkeit bringen könnten. Deshalb das Buch.

Dass Roß weiß, wovon sie spricht, beweist sie im Café Monelli in der Greifhagener Straße. Dort hat sie wochenlang an dem Text geschrieben, „wie eine Beamtin von 10 bis 17 Uhr“, mit großen Kopfhörern, damit sie niemand störte. „Für die italienischen Besitzer der Cafés muss ich gewirkt haben wie eine typische Deutsche, die auf ihre Arbeit fixiert und total unsozial ist, weil ich nie reden wollte“.

 

Knien vor dem Großkritiker

 

Diesmal ist das ganz anders. Roß sprudelt sofort los, Fragen erübrigen sich ob des Redeschwalls. Die Marketing-Expertin zählt sofort all die Besonderheiten ihres Buches auf: die Strichmännchen (natürlich); die Sprache, die ganz ohne Anglizismen und Marketing-Fachausdrücke auskomme; den Ton, der nach Plauderrunde am Küchentisch klingen soll; und die Interviews mit Experten, darunter eines mit dem Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier von der FAZ. „Den habe ich wochenlang bekniet, damit er mitmacht. Ich habe alle Register gezogen und ihm geschmeichelt, dass er den Künstlern an Kreativität in nichts nachsteht und so.“ Ina Roß hat also eigentlich nichts anderes getan, als sie ihren Studenten rät: sich selbst geschickt verkauft. Und das, obwohl sie Stadelmeiers Zunft eher für die „alte Welt“ des Kunstmarketings hält.

Die „neue Welt“, das sind Facebook, Twitter und Co. In der neuen Welt ist der Künstler nicht mehr von einigen wenigen Großkritikern abhängig, es gibt ja so viele Plattformen, kleine Blogs und Online-Magazine. Das heißt aber auch: Der Künstler hat es selbst in der Hand, ob seine Arbeit wahrgenommen wird oder nicht. Selbstmarketing, das gehöre heutzutage zum Gesamtpaket Künstler dazu. Ja, diese Haltung berührt die große philosophische Frage von der Reinheit der Kunst, und wir könnten uns jetzt hier auslassen darüber, dass Dürer und Cranach gar nicht verstanden hätten, warum Kunst und Vermarktung nicht zusammengehören und dass die Vorstellung von Kunst als Berufung eine romantische Idee und die Sache mit dem Marketing ein viel älterer Hut ist. Was uns aber viel mehr interessiert ist: Was macht derjenige, der nicht so der „Poser-Typ“ ist und trotzdem gute Kunst macht? Roß zuckt die Schultern: „Es ist nichts Schlechtes, ein Hobby zu haben oder Hausmusik zu machen. Aber Künstler sein, das ist ein harter Kampf.“

 

Weiterlesen im Teil 2 „Die Künstler von Prenzlauer Berg“ und zu den Kommentaren

 

 

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