Die Kunst des Überlebens als Künstler (2)

von philipp 26. November 2013

Die Künstler vom Prenzlauer Berg

 

Ein Kampf, den viele in Prenzlauer Berg kennen. „Gefühlt sind hier alle Kreative“, meint Roß, die in der Nähe der Gethsemanekirche wohnt, und die Veränderung des Kiezes miterlebt hat. „Wenn ich mich heute im Prater mit an einen Tisch setze und frage, was die Leute beruflich machen, arbeiten acht von zehn Leuten an irgendwelchen Projekten“. Roß hatte also immer vor Augen, für wen sie ihren Ratgeber schrieb: für die vielen Künstler der freien Szene. Auch wenn sie weiß, dass gerade die Einsteiger, die ihren Rat am dringendsten brauchen, heute nicht mehr in Prenzlauer Berg wohnen und arbeiten, sondern in Neukölln oder im Wedding. „Das war noch anders, als ich hier hergezogen bin.“

Das war vor 20 Jahren. Die gebürtige Thüringerin kam – wie so viele andere auch – zum Studium und ist geblieben. Ihre Wohnung ist noch preiswert, weil sie einen alten Mietvertrag hat („Der Vermieter ärgert sich dumm und dämlich darüber“), aber sie liegt jetzt plötzlich in einer Art „gated community“: Die Gethsemane-Höfe haben eine eigene Homepage und werben mit „exklusiven Eigentumswohnungen“ und einer „ganz besonderen Lebensqualität“. Hier hat die Gentrifizierung voll zugeschlagen.

 

Das Prenzlauer-Berg-Modell

 

Damit verändern sich auch die Menschen in Prenzlauer Berg. Roß ist sicher nicht alleine mit der Beobachtung, dass viele Bewohner wieder in konservativen Familienmodellen leben. Da gehen die Väter zur Arbeit und die Mütter bleiben zuhause. „Nur dass sie nicht wie früher Hausfrauen sind, sondern an Projekten arbeiten.“ Die Dozentin selbst findet das übrigens gar nicht verwerflich. Wenn man erst um die 40 Mutter werde, habe man ja schon eine berufliche Karriere gehabt. „Und Frauen haben sowieso eine andere Auffassung von Glück. Da geht es nicht so sehr um das große Auto oder das dicke Konto“.

Die 43-Jährige Nicht-Mutter setzt sogar noch eins drauf und behauptet: Die Menschen hier teilen ihren Wohlstand auch gerne. Ihr Buch sei nach dem Prenzlauer-Berg-Modell entstanden. Kennen Sie nicht? Soll heißen: Viele Leute haben Material, Texte und Ideen zur Verfügung gestellt und zwar kostenlos.

 

Facebook als Selbstversuch

 

Gratis bekam die Autorin noch etwas anderes: die Kommentare der Facebook-Nutzer. Ina Roß nutzte „Wie überlebe ich als Künstler“ als Selbstversuch und eröffnete für ihr Vorhaben noch in der Entstehungsphase eine Facebook-Seite. Dort präsentierte sie die ersten Strichmännchen (was sonst) und ließ ihre Fans an den unterschiedlichen Entstehungsphasen teilhaben. Als sie zehn Tage vor der Abgabe Tee über ihren Computer schüttet und der erst mal „leblos an der Heizung“ trocknen musste, verkaufte Roß Facebook das Unglück als Anekdote. Und siehe da: Es kamen ein paar aufmunternde Sätze zurück. Facebook als Motivations-Medium. Gratis, aber nicht umsonst.

Wichtiger ist aber eine andere Funktion der sozialen Medien: Sie dienen Künstlern, Roß (und auch uns) als kostenlose Werbeplattform. Die „Freunde“ der Marketing-Expertin wissen deshalb schon seit Tagen, dass es hier bei den Prenzlauer Berg Nachrichen einen Text über die Dozentin geben wird. Ist ja nicht schlimm. Jetzt sind sie aber auch verpflichtet, diese Geschichte nicht nur bis zum bitteren Ende zu lesen (das kurz bevor steht), sondern auch unsere Facebook-Seite zu liken und jeden einzelnen Text zu kommentieren!

 

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