Die Schlichtung zwischen Grünen und Bürgern ist gescheitert. Die Grünen stellten stattdessen eine Anwohnerbefragung in Aussicht – doch dafür gibt es in der BVV vermutlich keine Mehrheit.
„Herr Doktor Motte!“, sagt Stadtrat Jens-Holger Kirchner, als die Veranstaltung in die entscheidende Phase eintritt, „ich möchte noch etwas zu ihrem Punkt sagen“. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass zwischen den anwesenden Bürgern und den Vertretern der Grünen Welten liegen. Sechs Wochen lang hatten beide Seiten versucht, doch noch einen Kompromiss zu finden zum Umbau der Kastanienallee. Gleich zu Beginn der vierten Schlichtungsrunde am Donnerstagabend kam dann der Paukenschlag: „Die Papiere der beiden Seiten könnten unterschiedlicher nicht sein“, sagt Heiner Funken, der von den Kontrahenten gewählte Schlichter.
Auch für Andre Nunes, der die Verhandlungsführung auf Seiten der Anwohner übernommen hatte, ist klar: „Ein Kompromiss ist in der Sache nicht möglich.“ Deutlicher als je zuvor wurde offensichtlich, welche Positionen sich gegenüberstehen: Hier die Grünen und das Bezirksamt, die einen Fahrradstreifen in der Kastanienallee möchten. Dort Gewerbetreibende und Anwohner, die genau das ablehnen. Vom Flair der Straße war nur noch am Rande die Rede, stattdessen berichteten die Teilnehmer von Erlebnissen beim Durchfahren der Kastanienallee.
Die Stimmung wurde zunehmend gereizter
Auch wenn ein Kompromiss in der Sache nicht möglich sei, könne man sich doch auf ein gemeinsames Verfahren einigen, meinte dann Sebastian Mücke als Vertreter der Gewerbetreibenden. An die Grünen richtete er die Forderung, eine Anwohnerbefragung mitzutragen – und darin zwei Alternativen zur Abstimmung zu stellen: Den Verzicht auf einen Fahrradstreifen und eine Kompromissvariante mit Fahrradstreifen und abgeschrägten Bürgersteigen, auf die sich die Grünen seit der letzten Schlichtungsrunde verständigt hatten. „Wenn die Fronten verhärtet sind, dann sollte man die Mehrheit entscheiden lassen“, sagte Andre Nunes. Doch die Grünen argumentierten, die Grundlage für eine solche Abstimmung sei nicht mehr gegeben: In der letzten Schlichtungsrunde habe man vereinbart, nur eine Anwohnerbefragung durchzuführen, wenn zuvor ein gemeinsamer Kompromiss gefunden worden sei. Die Befragung habe „Rückendeckung“ geben sollen gegenüber der BVV, sagte Volker Ratzmann, Wahlkreisabgeordneter der Grünen. Das sei nicht gelungen.
Die Stimmung in der Runde wurde zunehmend gereizter. „Tragen die Grünen einen Kompromiss mit, wenn sich daraus ergibt, dass es keinen Fahrradstreifen gibt?“, fragte Sebastian Mücke in die Runde. Ansonsten sei die Schlichtung eine Farce. „Politische Spielchen bitte nur mit den anderen Parteien, aber nicht mit den Bürgern“, sagte er. Stefanie Remlinger, Fraktionschefin der Grünen in der BVV, warf den Anwohnern im Gegenzug eine „erpresserische Haltung“ vor. Sie wollten die Grünen mit der Forderung nach einer Anwohnerbefragung an einem „wunden Punkt“ treffen, weil die Partei zwar für Bürgerbeteiligung sei, inhaltlich den Verzicht auf den Fahrradstreifen aber für falsch halte.
Die Grünen wollen einen „Bürgerantrag“ einbringen
Nach etwa zwei Stunden erregter Diskussion unterbrach Schlichter Funken die Debatte und gab beiden Seiten die Möglichkeit zu getrennten Gesprächen. Wie bereits in vorangegangenen Runden zeigte sich dann, dass die Grünen als Partei den organisierten Anwohnervertretern in Verfahrensfragen deutlich überlegen sind. „Wir wollen eine Anwohnerbefragung“, sagte Grünen-Kreischefin Daniela Billig. „Wir wollen damit aber gleich in die BVV gehen.“
Stefanie Remlinger erläuterte damit, was genau gemeint ist: In die nächste Sitzung der BVV am kommenden Mittwoch werde ein Dringlichkeitsantrag eingebracht, formal zwar von einem grünen Bezirksverordneten, inhaltlich aber als „Bürgerantrag“. Das Instrument des Bürgerantrags ist in Pankow als einzigem Berliner Bezirk vorgesehen. Die BVV müsste einer Beratung des Antrags mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Eine einfache Mehrheit würde dann ausreichen, um eine Anwohnerbefragung abzuhalten. Verbindlich wäre die Befragung nicht. Remlinger argumentierte aber: „Keine Partei wird es im Zweifelsfall durchhalten, gegen das Ergebnis zu sein.“
Die SPD lehnt ein neues Verfahren ab, Linke verweist auf BVV-Beschluss
Damit haben die Grünen zwar ihren Versuch aufgegeben, eine gemeinsame Linie mit den Bürgern zu finden, die Einbeziehung der anderen Parteien könnte ihnen jedoch dabei helfen, nicht länger alleinige Zielscheibe der Proteste zu sein. Ein Antrag auf Anwohnerbefragung dürfte in der BVV aber so gut wie chancenlos sein, zumal Remlinger am Mittwoch keine geschlossene Zustimmung der Grünen-Fraktion zusichern konnte. Die SPD hat bereits klar gemacht, dass sie einem entsprechenden Antrag nicht zustimmen wird. „Aus unserer Sicht wird die überregionale Bedeutung der Flaniermeile mit der Kompromissvariante angemessen anerkannt“, erklärte die Vorsitzende der SPD-Fraktion in der BVV Pankow, Sabine Röhrbein. „Wir hätten uns in Einzelfragen auch andere Lösungen vorstellen können, respektieren jetzt aber die im Beteiligungsverfahren entwickelten Variante“, so Röhrbein weiter.
„Wir hatten bereits ein Bürgerbeteiligungsverfahren“, sagte Wolfram Kempe, Fraktionschef der Linken, auf Anfrage der Prenzlauer Berg Nachrichten. „Diejenigen, die das Gespräch mit den Grünen gesucht haben, konnten sich bisher in dem Beteiligungsverfahren nicht durchsetzen.“ Besser wäre es im übrigen, die Einwohnerschaft von ganz Pankow über den Umbau abstimmen zu lassen, wenn es denn ein erfolgreiches Bürgerbegehren geben sollte. Eine Prognose über den Ausgang der BVV-Abstimmung wollte Kempe nicht abgeben. Er machte allerdings deutlich, dass er den Straßenumbau für richtig hält: „Die Situation in der Kastanienallee ist für Radfahrer unhaltbar.“ Die CDU-Fraktion wollte sich zu dem Antrag nicht äußern.