Am Schliemann-Gymnasium herrschte heute Ausnahmezustand, als gäbe Justin Bieber ein Konzert. War aber nur Geschichts-Unterricht mit Angela Merkel.
Dem Andrang auf dem Pressepodest nach zu schließen fängt heute Edward Snowden am Heinrich-Schliemann-Gymnasium als Geschichtslehrer an. Das Spalier aufgeregter Schüler, die Handykameras im Anschlag, deutet eher auf ein Spontankonzert von Justin Bieber hin. Und dann fährt eine schwarze Limousine in der Dunckerstraße vor und den Schulhof betritt Angela Merkel. Die Fotografen der großen deutschen Medien knipsen, als sähen sie sie heute zum ersten Mal. Ein Schüler kreischt, aber wohl eher ironisch.
Zu verantworten hat den Auflauf das Jugendmagazin Spießer, das schon seit mehreren Jahren Prominente an deutschen Schulen Vertretungsstunden abhalten lässt. Angela Merkel ist heute hier, um über den Mauerbau zu unterrichten, der sich zum 52. Mal jährt. Eigentlich wäre dies eine gute Gelegenheit, mit ihr übers Saunieren zu sprechen. Schließlich saß sie genau da, in der Sauna am Thälmannpark, als die Mauer fiel. Doch Zeit ist dafür leider nicht.
Als gäbe es noch ein Königshaus
Langsam bahnt sich die Kanzlerin den Weg über den Schulhof zum Gebäude, immer entlang der Schnur, mit der als Ordner gekennzeichnete Schüler die Grenze zwischen Mitschülern und Merkel-Tross markieren. Sie schüttelt Hände und lässt sich einen riesigen Strauß weißer Blumen überreichen, von denen ein Journalist behauptet, es seien Gladiolen. Dann noch schnell ein Fototermin mit Marlene, Charlotte und Elisabeth, den Drillingen aus der Unterstufe. Und dann verschwindet der ganze Trupp hinter dem Portal und mit ihm der kurze Eindruck, in Deutschland gäbe es doch noch ein Königshaus.
„Für sie war’s das jetzt“, verkündet ein Mann vom Bundespresseamt. Die Fotografen klappen ihre mitgebrachten Leitern wieder zusammen. Die Schüler genießen die letzten freien Minuten, bis für sie der Schulalltag weitergeht. Denn der Unterricht mit der Kanzlerin ist den 15 Mitgliedern des Geschichts-Grundkurs der 12. Klasse vorbehalten.
Clara hält noch ein wenig die Schnur fest, die man ihr als Ordnerin in die Hand gedrückt hat. Ein wenig enttäuschend sei die ganze Aktion schon gewesen, meint sie. „Halt Wahlkampf.“ Zudem findet sie es ärgerlich, dass nicht der Geschichts-Leistungskurs, dem sie angehört, nun mit Frau Merkel in der Klasse sitzt. „Vielleicht haben sie geglaubt, der Grundkurs stellt weniger kritische Fragen.“
Demonstrieren kommt nicht so gut
Mira aus der 5. Klasse ist hingegen total aufgeregt. Immerhin hat ihr Merkel eben die Hand geschüttelt und sogar gefragt, welches Fach sie denn als nächstes habe. Dann ruft irgendwer über den Hof „Wir sollen doch keine Interviews geben“, und das war es dann wirklich.
Vor der Schule stehen zwei sogar in Prenzlauer Berg auffallend große Autos, Polizisten und drei Jungs mit einem Transparent. „Geld für Bildung statt für Wahlkampf“ steht darauf. „Wir sind von der anarchosyndikalistischen Jugend“, erklärt einer. Neue Geräte und junge Lehrer seien viel nötiger als ein Besuch von Frau Merkel, findet er. Nein, Schüler der Schliemann-Schule seien sie nicht, aber mit denen befreundet. „Ich glaube, das käme nicht so gut, würden die selbst demonstrieren. Daher machen wir das.“
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