Das bleibt nicht so!

von Juliane Schader 23. Juni 2015

Was macht den Prenzlauer Berg lebenswert? Es ist der Raum zwischen den Häusern: Parks, Plätze, Straßen. Wie sie genutzt werden, wird sich ändern, denn der Bezirk wächst. Szenario gefällig?

Vielleicht ist es Ihnen noch nicht aufgefallen. Doch es sind nicht nur die schönen Altbauwohnungen und die zentrale Lage, die Prenzlauer Berg so lebenswert machen. Es ist der öffentliche Raum – die Stadtplätze, die Caféstühle auf dem Bürgersteig im Sommer, der Mauerpark, die Spielplätze, die freundlich bepflanzten Baumscheiben.

Schon jetzt ist der Andrang dort recht groß, und das wird nicht besser: Bis 2030 soll Pankow laut einer Prognose 440.000 Einwohner zählen; derzeit sind es knapp 385.000. Der Bezirk liegt damit im stadtweiten Trend.

Der Senat hat beschlossen, sich dieser Herausforderung zu stellen und im Herbst des vergangenen Jahres einen Masterplan erstellt, wie man auf den Zuwachs an Berlinern reagieren kann. In größerer Runde lässt er nun dessen einzelnen Aspekte unter Beteiligung der Bürger diskutieren; Stadtforum nennt sich das Format. „Wem gehört er öffentliche Raum?“ war die Frage, die gestern im Tempodrom auf dem Programm stand. Ein guter Grund, mal vorbeizuschauen.

Was sich bei der Diskussion über die Zukunft des öffentlichen Raums in Pranzlauer Berg lernen ließ? Zehn Dinge:

 

1. So geht es nicht weiter.

„Wir haben mehr Berliner, mehr Touristen, mehr Märkte, mehr Demos… Der Platz reicht nicht für alle diese Aktivitäten.“ So formulierte es Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). Seine Botschaft: Wenn es immer mehr Berliner gibt, die ebenfalls die vorhandenen Parks und Straßen und Flussufer nutzen wollen, dann können wir nicht so weitermachen wie bisher. Wer schon da ist, muss sich damit auf Veränderungen einstellen.  

 

2. Der öffentliche Raum gehört allen. Wirklich allen.

Der Kinderspielplatz am Helmholtzplatz ist überbelegt? Könnte man da nicht einfach die Trinker verdrängen und deren Ecke… nein! Das ist nicht die Lösung. Eine lebendige Stadt macht aus, dass es Räume gibt, die allen offenstehen. Alles andere ist eine Gated Community – googlen Sie das, das ist das Gegenteil von der Stadt, die Sie mögen. 

 

3. In diesem Sinne: Auch den Menschen mit Behinderungen und Alten.

Schon mal versucht, mit einem Rollstuhl oder Rollator den Humannkiez zu durchqueren? „Die altersgerechte Umgestaltung Berlins ist eine Jahrhundertaufgabe“, meint Senator Geisel. Wer sich mal den demographischen Wandel angesehen hat, der weiß: Es ist höchste Zeit, das anzugehen, denn selbst Prenzlauer Berger altern.

 

4. Jemand muss Platz machen. Vermutlich das Auto.

„Wir können es uns nicht mehr leisten, hektarweise Fläche vorzuhalten, um dort an 23 Stunden am Tag privates Blech abzustellen.“ Das sagte Jens-Holger Kirchner, Pankows grüner Stadtrat und ein Freund klarer Worte. Im Hinterkopf hatte er dabei die Debatte um die geplante Neubausiedlung an der Michelangelostraße, wo 1500 Wohnungen auf Parkplätzen entstehen sollen. Einfach Parkplätze streichen und das Beste hoffen reicht allerdings nicht.

Dieses schlechte Handyfoto soll einen Eindruck vermitteln, wie so ein Stadtforum aussieht. (Foto: jw) 

5. Unsere Einstellung muss sich ändern.

Sie lieben Ihr Auto und sind darauf angewiesen? Ja, gut. Aber haben Sie schon einmal gesehen, wie lebenswert Ihre Straße plötzlich erscheint, wenn an einem Sommertag einmal kein Wagen dort durchrauscht oder parkt? Das sei eine bewusstseinsverändernde Erfahrung, meint zumindest Helle Søholt, Geschäftsführerin der Gehl Architects aus Kopenhagen. Ihr Büro ist weltweit an der Umgestaltung von Städten beteiligt, wobei es immer eine klare Richtung gibt: Weniger Platz für Autos und mehr Platz für Menschen. Am Ende seien alle zufriedener, erzählte sie.

Beispiel gefällig? Der New Yorker Broadway. Diesen haben die Gehl Architects ab 2007 umgestaltet. Vorher waren 90 Prozent der Fläche Autos vorbehalten, in denen sich jedoch nur knapp 10 Prozent der Menschen befanden. Die restlichen 90 Prozent durften sich auf den 10 Prozent Bürgersteig drängen. Indem die Fläche für Fußgänger erweitert wurde, stieg nicht nur deren Anzahl, sondern auch die Autos kamen flüssiger durch, weil nicht permanent jemand auf die Fahrbahn sprangen. Zudem sank die Zahl der Unfälle um 63 Prozent.

 

6. Entwicklung wird gemacht.

Nach dem gleichen Prinzip wie in New York habe auch die Umgestaltung der einstigen Auto-Stadt Kopenhagen zur Fahrradhochburg funktioniert, erzählte Søholt: Mit der Veränderung des Angebots habe sich auch das Verhalten verändert. „Aber es waren bewusste politische Entscheidungen, die dazu geführt haben. Das ist nicht alleine passiert.“

 

7. Wir sind schon mittendrin.

Die aktuellen Verkehrszahlen in Berlin zeigen, dass der Anteil des Autoverkehrs in den vergangenen Jahren erstmals unter 30 Prozent gerutscht ist. „Der Radverkehr nimmt seit Jahren zu. Das passiert nicht nur trotz den Senats“, sagte Senator Geisel. In anderen Worten: Wer Radwege baut, wird Radverkehr ernten. Da sei aber definitiv noch Luft nach oben, meinte Geisel.

 

8. Experimente wagen!

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Straßen etwas sind mit Autos in der Mitte und Radfahrern und Fußgängern am Rand und dass der Mauerpark als Kultursteppe funktioniert. Aber nur weil das gerade so ist, muss das nicht so bleiben (siehe auch Punkt 1). Wie man zum Beispiel die Schönhauser Allee weiterentwickeln könnte, darüber machen sich in dieser Woche Mitarbeiter aus Bezirk und Senat gemeinsam mit den Gehl Architects Gedanken.

 

9. Wir müssen Verantwortung übernehmen.

Das Gute am öffentlichen Raum: Er gehört uns! Das Schlechte an einer Pleite-Stadt wie Berlin: Damit dieser Raum lebenswert ist, müssen wir uns selbst einbringen. „Liebe sieht anders aus als der Mauerpark am Montagmorgen“ erklärte Pankows Stadtrat Kirchner; Senator Geisel prägte den Spruch: „Was im öffentlichen Raum kaputtgehen kann, geht auch kaputt.“ Doch wenn etwas gegen Vandalismus und Vermüllung hilft, dann sind es Engagement und Beteiligung. Komplett aus der Verantwortung stehlen kann sich die Politik damit aber nicht. Zum Glück scheint Geisel das klar zu sein: „Wer sich keinen Garten leisten kann, braucht diesen öffentlichen Räume. Es ist unsere verdammte Pflicht, das anzubieten“, sagte er.

 

10. Wir müssen reden.

So viele Möglichkeiten, so viele Interessen, ein Problem: „Ein gemeinsames Planungsziel zu finden ist am schwierigsten.“ Das sagte Stadtrat Kirchner, und er spricht aus Erfahrung. Angesichts der wachsenden Stadt und den steigenden Ansprüchen an den öffentlichen Raum ist jedoch klar: Sich zurückzulehnen und darauf zu beharren, dass alles bleibt, wie es ist, reicht nicht. Kompromissbereitschaft ist die Voraussetzung dafür, dass es hier auch 2030 noch lebenswert ist. 

 

Über Anregungen, Ideen, Widersprüche und Diskussion freuen wir uns in den Kommentaren.  

 

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