Die Mauerparkaktivisten stellen Fragen an Verwaltung und degewo. Es antworten die Anwälte der Groth Gruppe. Die Bürgerwerkstatt spricht von „skandalösen Vorgängen“.
Der Kampf um die Bebauung im nördlichen Teil des Mauerparks war von Anfang an ein Kampf um die Meinungshoheit – mit wohl klarem Lautstärkevorsprung bei den Bebauungsgegnern (zum Dossier Mauerpark). Die Opposition zur Bebauung war dabei nie einheitlich, ihre Argumente sind teils sachlich, teils schrill. Die Groth Gruppe, Investor des Bebauungsprojekts, hat davon jetzt offenbar genug. Wie die Bürgerwerkstatt in der gerade stattfindenden Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung der Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Mitte publik machte, hat die Groth Gruppe Anwälte eingeschaltet, um die Bürgerwerkstatt zu disziplinieren. In dem Schreiben (liegt vor) wird die Bürgerwerkstatt aufgefordert, „wieder zu einer sachlichen Wahrnehmung“ zurückzukehren. Soll heißen: Gleich mehrere Aussagen nicht zu wiederholen.
Das Schreiben der Berliner Anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. hat die Aufforderungen in fünf Themenbereiche unterteilt, in denen sich die Bürgerwerkstatt künftig zurückhalten soll. So sei er erstens nicht hinnehmbar, dass behauptet werde, das Planungsverfahren zur Bebauung wäre „überfallartig“ über die Bühne gegangen. „Es ist schlechter Stil sich immer dann als ‚übergangen‘ hinzustellen, wenn man sich bei politischen Entscheidungen in der Sache nicht hat durchsetzen können“, heißt es im Schreiben. Zweitens wird moniert, dass die künftigen Wohnungssuchenden „missachtet“ würden. „Jeder Verzicht auf weitere Wohneinheiten“ würde in Berlin „Wohnmöglichkeiten vorenthalten“. Die Forderung der Bürgerwerkstatt seien daher „unangemessen“.
Drittens wird ein die „Unsachlichkeit Ihres Menschenbildes“ beklagt. „In Ihren Schreiben an Senator Müller stellen Sie die ‚für den Aufschwung der Berliner Wirtschaft unentbehrlichen kreativen Köpfe‘ dem ‚exklusiven Lebensstil‘ der ’neuen Anwohner‘ gegenüber.“ Das sei eine „böswillige Unterstellung“ und entbehre jeder Grundlage. Viertens soll die Bürgerwerkstatt nicht mehr wiederholen, dass das zu bebauende Gebiet eine „gated community“ werde, also für Durchgangsverkehr gesperrt würde. Fünftens und letztens geht es um die Aussage, dass die Wohnqualität der benachbarten Mieter der kommunalen degewo-Wohnungen beeinträchtigt würde – „obwohl Sie wissen, dass das Gegenteil der Fall ist“.
Die Briefe der anderen
Das Schreiben endet nicht mit der Drohung juristischer Konsequenzen, doch beim strengen Tonfall kann durchaus von einem Warnschuss gesprochen werden. „Obwohl Sie eine mit öffentlichen Mitteln finanzierte Einrichtung sind“, heißt es, mache die Bürgerwerkstatt „unhaltbare Aussagen. Wir müssen Sie deshalb aus anwaltlicher Sicht bitten, wieder zu einer sachlichen Wahrnehmung der Ihnen als Sprecher der ‚Bürgerwerkstatt‘ gestellten Aufgaben zurückzukehren.“ Das Schreiben ist brisant – doch weit brisanter ist für die Bürgerwerkstatt, wie es zustande kam.
Die Anwälte nämlich antworten zwar auf Schreiben der Bürgerwerkstatt; jedoch gingen diese Briefe nach Aussagen der Bürgerwerkstatt persönlich an den Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Müller, und an den Vorstand der degewo. Für Alexander Puell, Sprecher der Bürgerwerkstatt, eine ungeheure Indiskretion. „Ist es möglich, dass die degewo AG in der Öffentlichkeit eine aktive Unterstützung der Baupläne der Groth Gruppe ablehnt und zeitgleich dem Investor Unterlagen von Bebauungskritikern zuspielt werden?“ Weder von der degewo noch von der Senatsverwaltung gebe es bis jetzt eine Antwort an die Bürgerwerkstatt, so Puell.
„Bedrohung der Meinungsfreiheit“
„Können sich Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt noch zu Stadtentwicklungsprozessen äußern oder machen Sie sich schon durch eine eigene pointierte Meinung strafbar?“, fragt Puell sich nun. Und Rainer Krüger, ebenfalls Sprecher der Werkstatt, hält es für einen „einmaligen Vorgang, dass ein vom Senat selbst gewolltes Bürgerbeteiligungsgremium statt einer zu erwartenden Antwort des zuständigen Senators auf ihren Brief ein Schreiben von Rechtsanwälten des Investors erhält.“ Im Ausschuss sprach er „von skandalösen Vorgängen“ und einer „Bedrohung der Meinungsfreiheit“.
Die Groth Gruppe war beim Ausschuss nicht vertreten, das Anwaltsschreiben wurde an die Bezirksverordneten verteilt. Krüger erklärte zudem, dass er am heutigen Mittwoch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zugesichert bekommen habe, dass das Anwaltsschreiben nicht von ihr initiiert worden sei. Hagen Streb, CDU-Verordneter, bezeichnete den Brief der Anwälte als „unschön“. Das darin geforderte „Sachlichkeitsgebot sei in diesem Fall gar nicht anwendbar“. Er empfahl der Bürgerwerkstatt, auf das Anschreiben der Anwälte mit einem Gegenschreiben der eigenen Anwälte zu reagieren.
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