Der größte kommunale Kita-Träger Berlins verlängert Verträge von Erzieherinnen nicht – obwohl es die Kita-Leitungen empfehlen. Das soll einzig an den Krankheitstagen liegen. Eltern sind aufgebracht.
Fast 19 Tage im Jahr sind Erzieherinnen und Erzieher in Kindergärten pro Jahr krank. Das hat im vergangenen Jahr die Techniker Krankenkasse anhand ihrer Daten ermittelt. Das ist zwar viel, wohl aber nicht übermäßig verwunderlich: Kitas sind ein Hort für Bakterien und Viren und die Arbeit als Erzieher zählt nicht gerade zu den nervenschonendsten.
Ein paar Krankheitstage über diesem Durchschnittswert sollen den Jobverlust für mehrere Erzieher bedeutet haben. Und zwar jenen, die vom Kigäno Eigenbetrieb Kindergärten NordOst, dem größten Träger kommunaler Kindergärten Berlins (neben Pankow noch Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf), angestellt waren.
Ihre Verträge wurden nicht verlängert, weil sie zu oft krank waren: Das vermuten Eltern der betroffenen Kindergärten – allein in Prenzlauer Berg sollen es drei Kitas sein – und berufen sich auf Gespräche, die sie mit Zuständigen des Eigenbetriebs NordOst führten. Sie glauben, dass kaufmännische Rechenspiele auf dem Rücken ihrer Kinder ausgetragen werden.
Kita-Leitungen empfehlen die Erzieher als gut und engagiert
Der Hintergrund: „Der Eigenbetrieb Kindergärten NordOst schließt alle Arbeitsverhältnisse zunächst befristet für 24 Monate.“ Das bestätigte der kaufmännische Kigäno-Leiter Robert Ehrenpfordt den Prenzlauer Berg Nachrichten. Danach wird geprüft, ob es weitergeht.
In Zeiten, in denen es Berlin an gut ausgebildeten Erziehern mangelt und gar Kopfprämien für Erzieher im Gespräch sind, sollte die Befristung keine große Hürde sein. Sollte man meinen. Trotzdem liegt laut Ehrenpfordt die Quote der Nichtentfristungen bei „unter zehn Prozent“. Das klingt nach wenig, lässt sich aber auch so formulieren: Rund jeder zehnte neu eingestellte Erzieher vom Kigäno verliert seinen Job.
Natürlich gibt es Angestellte, die gehen wollen oder nicht geeignet sind. In vielen Fällen soll es aber anders gewesen sein: Die Kita-Leitungen nahmen die betroffenen Erzieher als gute und engagierte Kräft wahr und gaben eine Empfehlung zur Weiterbeschäftigung. Und auch die Erzieher selbst wollten bleiben. Hinderungsgrund für die Entfristung: einzig die Zahl der Krankheitstage?
„Es gibt hier eine Missachtung der Bedürfnisse der Kinder.“
„Sollte das stimmen, ist das ein Skandal“, sagt Anatol Stefanowitsch, Elternvertreter in der Kita Schivelbeiner Straße um die Ecke vom Arnimplatz. Er meint, dass der Kita-Träger seinem pädagogischen Auftrag so nicht gerecht werde. „Kitas sind keine Aufbewahrung und keine Spielstunde, es gibt einen Bildungsauftrag. Es liegt nahe, dass es hier um eine kaufmännische Entscheidung geht.“ Bindungen seien für Kinder sehr wichtig – und nicht verständlich, warum gute Erzieherinnen, die von Eltern, Kindern und Kollegen geliebt und geschätzt werden, gehen müssten.
Eine Personalpolitik, die sich auf Krankheitstage stütze, sei besonders bei Kindergärten fatal, meint Stefanowitsch. „Erzieher werden dann einen Teufel tun, sich krank zu melden.“ Und kommen stattdessen mit Grippe und Magen-Darm-Erkrankungen in die Kitas, wo sie wiederum die Kinder anstecken. „Es gibt hier eine Missachtung der Bedürfnisse der Kinder.“
Dass es dem Eigenbetrieb NordOst nicht nur um die Bedürfnisse der Kinder geht, wird aus einer Pressemitteilung deutlich, die der Betrieb zur Neueinstellung des aktuellen kaufmännischen Geschäftsführers veröffentlicht hatte: „Berlins größter Träger für die kommunalen Kindergärten in Pankow, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf gehört seit seiner Gründung zu den wirtschaftlich stabilsten der fünf Eigenbetriebe. „Das wird auch so bleiben!“, ist sich Ehrenpfordt sicher. Als studierter Betriebswirt … hat er sich besonders auf kommunale Wirtschaftsbetriebe spezialisiert“, heißt es auf der Webseite.
Controlling mit Kennzahlen in öffentlichen Verwaltungen
Wie genau sich Ehrenpfordt auf kommunale Wirtschaftsbetriebe spezialisiert hat, zeigt eine seiner Veröffentlichungen: „Kennzahlen in der öffentlichen Verwaltung“ von der Universität der Bundeswehr Hamburg. „Die Arbeit setzt sich mit einer relativ neuen Thematik auseinander, nämlich dem Controlling mit Kennzahlen in öffentlichen Verwaltungen“, steht in der Beschreibung.
Ob es stimmt, dass die Krankheitstage bei Kigäno ein entscheidendes Kriterium bei der Verlängerung von Erzieher-Verträgen sind – dazu möchte sich Ehrenpfordt nicht äußern. Er verweist auf „betriebsintern bekannte Verfahren zum Entfristungsvorgang von Beschäftigten“, die es seit 2012 gebe, und bittet um Verständnis, „dass wir zu konkreten Personalmaßnahmen aus datenschutzrechtlichen Gründe keine Stellung beziehen können“. Nur so viel: Es gehe um fachliche, persönliche, soziale sowie methodische Kompetenzen.
Vater Stefanowitsch will sich damit nicht abfinden. Er hat sich mit Eltern anderer Kitas zusammengeschlossen. Mittlerweile gibt eine Facebook-Seite zu den Fällen, ein anderer betroffener Vater hat eine Anfrage nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz gestellt.
Personalangelegenheiten sind „nicht Gegenstand irgendwelcher Debatten“
Stefanowitsch hat Pankows Jugendstadträtin Christine Keil (Linke) auf der Tagung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwoch eine Einwohnerfrage gestellt: Wird bei der Entscheidung über die Entfristung die Anzahl der Krankentage als Kriterium herangezogen?
Keil sollte dazu etwas sagen können, denn Pankow ist das geschäftsführende Bezirksamt des Eigenbetriebs NordOst. Und sie hat auch Einfluss auf die Personalpolitik, wie sie den Prenzlauer Berg Nachrichten mitteilte: „Ich selbst bin als Bezirksstadträtin für Jugend neben anderen Mitglied im Verwaltungsrat des Eigenbetriebes Kindergärten NordOst und kann in dieser Funktion Grundsätze in der Personalentwicklung mit bestimmen.“
Werden die Krankentage als Kriterium herangezogen? Auch Keil gibt keine öffentliche Bestätigung. Sie beantwortet die Frage des Elternvertreters nicht mit ja oder nein. Sondern genau wie Geschäftsführer Ehrenpfordt mit „fachlichen, persönlichen und sozialen Kompetenzen“. Auf Nachfrage weigert sie sich, dazu konkret Stellung zu nehmen. Die Personalangelegenheiten seien „nicht Gegenstand irgendwelcher Debatten“, erklärt Keil. „Ich habe ja geantwortet, dass persönliche Kompetenzen einbezogen werden. Mehr werde ich an dieser Stelle nicht sagen.“
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