Seit 15 Jahren ist Christine Keil Jugendstadträtin, nun tritt sie für die Linke als Bürgermeister-Kandidatin an. Sie fordert Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg und mehr Rechte für die Bezirke.
Auch auf Bezirksebene wird in Berlin der Bürgermeister nicht direkt gewählt. Im Normalfall stellt ihn die Partei mit den meisten Stimmen. In Pankow rechnen sich mit der SPD, den Grünen und den Linken drei Parteien die Chance aus, dass der Bürgermeister aus ihren Reihen kommen wird. Deren drei Kandidaten stellen wir hier vor.
Der Größe des Tisches nach müsste dies das Büro von Angela Merkel sein, mindestens. Die Menge an Akten, die sich darauf ausgebreitet haben, lassen sogar noch einen höheren Posten vermuten. Doch es ist die zierliche Pankower Stadträtin für Jugend und Immobilien, Christine Keil, die von Papierbergen fast verborgen am äußersten Ende des Tischkolosses sitzt und arbeitet. Nichts mit Weltherrschaft, hier wird Pankower Lokalpolitik gemacht.
Seit 1996 ist die Politikerin der Linken im Bezirk aktiv, zunächst als Stadträtin in Weißensee, später in dieser Position im Großbezirk Pankow. Nun hat sie ihre Partei zur Kandidaten für den Posten der Bezirksbürgermeisterin gemacht, den sie bisher als Stellvertreterin besetzte. „In Vertretung habe ich schon im Rat der Bürgermeister gesessen und repräsentative Aufgaben übernommen“, sagt sie. „Daher weiß ich schon, was auf mich zukäme.“
Die 57-Jährige wurde in Potsdam geboren und wuchs in Kleinmachnow auf. Nach dem Abitur studierte sie in Moskau Maschinenbau und zog nach ihrem Abschluss Ende der 1970er Jahre nach Weißensee, wo sie bis 1995 als Diplomingenieurin im VEB Werkzeugmaschinenkombinat „7. Oktober“, später Niles, arbeitete. „Bis zur Wende hatte ich eine glatte DDR-Laufbahn“, hat sie es selbst einmal formuliert. Dazu gehörte auch der Beitritt zur SED 1973.
Von der Maschinenbauerin zur Expertin für Jugend
In ihren 15 Jahren als Stadträtin haben sich die Zuständigkeiten von Christine Keil immer wieder geändert. Nur ein Thema ist der gelernten Maschinenbauerin über die Jahre erhalten geblieben: die Jugend. Kein Wunder also, dass sie heute nach ihren wichtigsten Errungenschaften der vergangenen Jahre befragt zunächst ein Thema aus diesem Bereich aufgreift und auf die individuellen Hilfen für Familien und deren Finanzierung verweist. „Da sind wir mit Augenmaß herangegangen und haben es geschafft, die Bedürfnisse der Familien und gleichzeitig die Ausgaben im Blick zu behalten“, meint Keil. Ein mutiger Satz, ist sie doch gerade für die Hilfen zur Erziehung als eine der Maßnahmen, mit denen der Bezirk Familien mit Problemen unter die Arme greifen kann, in die Kritik geraten.
Um fast 12 Millionen Euro sind die Kosten für diese Hilfen seit 2006 auf 44,5 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen, und das bei einer Zunahme an Fällen um fast 50 Prozent. Das Jugendamt arbeite ungenau und sei viel zu freigiebig, hieß es aus der Opposition. Doch Keil bleibt dabei: Die steigenden Fallzahlen seien nur ein Zeichen dafür, dass bedürftige Familien endlich auch Hilfe bekämen, und das koste nun einmal Geld. „Wir müssen die Unterstützung und Beratung der Familien genau im Blick behalten und qualifizieren, und andererseits sehen, wie sich die Ausgaben entwickelt“, sagt sie. Aber dass solche sozialen Projekte Geld kosteten, damit müsse man leben.
Christine Keil haut bei solchen Aussagen nicht auf den Tisch. Es reicht, dass sie in einem unaufgeregten Berlinerisch sagt, dass sie für den Erhalt des bisher Erreichten kämpfen werde, um zu wissen, wie ernst sie das meint. Es ist nicht ein „ich will aber“, sondern ein „keine Diskussion“, das mitschwingt. Obwohl natürlich auch sie weiß, dass in Finanzfragen immer der Senat das letzte Wort hat. Aber sie verkörpert eine Haltung, die man auch bei anderen Pankower Bezirkspolitikern antrifft, die schon lange mit dabei sind und viele Sparrunden mitgetragen haben: Sie sieht den Bezirk an seiner Leistungsgrenze, und wird sich nun mit jedem anlegen, der Pankow den Gürtel noch enger schnallen will.
Die Bezirke bräuchten mehr Kompetenzen, meint Keil. „Der Rat der Bürgermeister berät, bildet sich eine Meinung und transportiert die zu Senat – und das war’s. Damit passiert nicht viel.“ Damit sich das ändere, müssten sich die Bezirke zusammentun. Das voranzutreiben sehe sie als eine ihrer Aufgaben als Bezirksbürgermeisterin an. „Wir brauchen eine Debatte um die Ausstattung der Bezirke mit Personal und Finanzen und ihre Rollen in Berlin.“
Der Sparkurs geht den Gebäuden des Bezirks längst an die Substanz
Um zu sehen, wie sehr Pankow der harte Sparkurs an die Substanz geht, muss Keil nur in ihrem Büro im ehemaligen Rathaus Weißensee die Fenster öffnen. Nicht etwa, um sich draußen umzusehen, sondern um das Fenster von außen zu betrachten, von dessen Holz der Lack längst abgeplatzt ist und das seitdem deutlich von Wind und Wetter in Mitleidenschaft gezogen wurde. „Da pfeifft der Wind durch, mit energetischem Standard ist da nichts“, meint Keil, die sich als Immobilienstadträtin auch mit diesem Themen zu beschäftigen hat. In den anderen öffentlichen Gebäuden sehe es nicht besser aus.
Dabei wurde im Bezirk in den vergangenen Jahren ordentlich investiert. Seit 2007 seien alleine 132 Millionen Euro in die Sanierung von Schulen geflossen, von denen 50 Millionen aus dem eignen Haushalt und der Rest aus Fördertöpfen gekommen seien. „Solche Summen mit wenig Personal umzusetzen ist die große Herausforderung“, sagt Keil. Und würde es auch in Zukunft bleiben: 100 Millionen betrüge der Sanierungsstau allein bei den Schulen im Bestand, hinzu kämen geplante Neubauten von Sporthallen, die Reaktivierung alter Schul- und Kita-Gebäude und der Erhalt der Verwaltungsbauten, die teilweise in desaströsem Zustand seien.
„Die Mangelverwaltung ist oft deprimierend, das muss ich zugeben“, meint die Stadträtin. Weitermachen wolle sie trotzdem, ob als Bürgermeisterin oder als Bezirksstadträtin. Am Elan und der Angriffslust gegenüber dem Senat würde es nicht scheitern. „Ich bin da kämpferisch eingestellt: Ich möchte verteidigen, was wir erreicht haben.“
Ambitionen, nach all den Jahren auf Bezirksebene noch mal in die Landespolitik aufzurücken, hat Keil nicht. Ihr mache der direkte Kontakt mit den Leuten vor Ort einfach zu viel Spaß, sagt sie. Zudem sehe sie hier noch ausreichend Aufgaben für sich: Als Jugendstadträtin, was sie auf jeden Fall bleiben möchte, mit dem weiteren Ausbau der Kindertagesstätten und dem Erhalt der bestehenden Jugendfreizeiteinrichtungen aller Sparwut zum Trotz. Oder als Bürgermeisterin, als die sie strukturelle Probleme im Bezirk angehen will. So fehle es bislang an einer guten, ressortübergreifenden Arbeit, bei der sich verschiedene Fachbereiche gleichzeitig mit einem Thema beschäftigten, meint Keil. „Da sind Reserven, auf die ich mein Augenmerk lenken würde.“
Auf der Suche nach Wählern wildern die Linken im Programm der Grünen
Ihre Partei will zudem auf einen stärkeren Einsatz von Instrumenten wie Bürgerversammlungen setzen. „Wir wollen mit der Verwaltung vor Ort gehen und Probleme mit allen diskutieren“, erzählt sie. Man müsse darüber nachdenken, wie man Brücken zwischen den unterschiedlichen Positionen bauen könne. „Denn Einladung der Betroffenen ist das eine, gemeinsame Ergebnisse finden das andere.“
Ein Ansatz, der nicht verhehlen kann, dass sich die Linken in Pankow in ihrer Position als zweistärkste Fraktion von der Partei der Basisdemokratie, den Grünen, bedrängt fühlen. „Dass wir ein Bezirk mit einem großen Bevölkerungsaustausch waren, das merkt die Linke“, sagt Keil selbst. Ob als Wähler oder aktiver Politiker, zu den jungen Leuten habe ihre Partei derzeit den Anschluss verloren. Anderen wie den Grünen oder der SPD gelinge die Aktivierung des Nachwuchses besser. Hier müsse man ansetzen.
Vor diesem Hintergrund erscheint Keils Kandidatur als Bürgermeisterin mehr wie eine Formalie. Wie Harald Wolf auf Landesebene, der bei dem Duell Künast gegen Wowereit unter die Räder kam, wirkt auch Christine Keil zwischen dem SPD-Amtsinhaber Matthias Köhne und dem Herausforderer von den Grünen, Jens-Holger Kirchner, wie ein Olympionike: Dabeisein ist alles. Doch im Gegensatz zu Wolf brauch sie keine Koalitionsbeteiligung, um an einen Posten zu kommen. Denn in der BVV werden die Stadträte an alle Parteien proportional nach Wahlergebnis vergeben. Eine weitere Runde als Jugendstadträtin dürfe da durchaus drin sein für die kleine Frau mit dem langen Atem.
Position beziehen! Was sagen die Bürgermeisterkandidaten über vier für den Bezirk wichtige Themen? Christine Keil über…
Kastanienallee: „Bei diesem Thema geht eine Linie quer durch die Linke. Ich finde, dass es ein vernünftiges Beteiligungsverfahren gegeben hat und eine gute Lösung gefunden wurde. Man muss sich kümmern um die Sicherheit der Radfahrer und der Kinder, die dort zu Schule gehen. Die Kinder sind einbezogen worden in diese Planungen, das sollte man auch beachten.“
Mauerpark: „Wir müssen den Mauerpark in der ursprünglich geplanten Größe unbedingt sichern und eine massive Randbebauung verhindern, die unweigerlich zu Konflikten zwischen Anwohnern und Besuchern des Parks führen würde. Ich hoffe dabei auf das Geld der Stiftung Weltbürgerpark. Es muss Plätze im öffentlichen Raum geben, wo man sich treffen und gemeinsam feiern kann. Eine Bebauung an dieser Stelle würde da Probleme schaffen.“
Erhaltungsverordnung Belforter Straße: „Der Bezirk kann nicht vorsorglich überall Bebauungspläne und Erhaltungsverordnungen drüber legen. Das macht richtig viel Arbeit und kostet richtig viel Geld. Ich selbst bin nicht davon ausgegangen, dass der Eigentümer der Wohnanlage auf die Idee kommen könnte, das Grundstück noch einmal zu verändern. Daher musste man nun so handeln. Falls es noch einmal ein Sanierungsgebiet im Bezirk geben sollte, muss man daraus Schlussfolgerungen ziehen.“
Rangierbahnhof Pankow: „Ich bin optimistisch, dass sich das Gelände in Anlehnung an den Entwurf von Herrn Krieger schrittweise gut entwickelt – auch wenn das seine Zeit brauchen wird. Für den geplanten Möbelmarkt sehe ich einen Bedarf; beim Einkaufszentrum sollte man aufpassen, dass es Pankow nicht dominiert. In einer gewissen Größenordnung kann ich mir das aber vorstellen. Hier wird ein Kompromiss gelingen.“
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