Freier Termin, verzweifelt gesucht

von Juliane Schader 17. August 2015

Wenn 315.254 Dienstleistungen im Jahr auf 66 Mitarbeiter treffen, dann ergibt das viele Wochen Wartezeit. So läuft das zumindest in Pankows Bürgerämtern. Eiligen bleibt der Schwarzmarkt.

Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, mich zu beneiden: Ich hatte nämlich einen Termin im Bürgeramt. Jawohl!

Klingt wenig aufregend? Ist es aber. Schließlich bekommt man derzeit leichter eine Privataudienz beim Papst als im Haus 6 in der Fröbelstraße – und das, obwohl man zu Besuchen dort rechtlich verpflichtet ist. Zwei Wochen hat man nach einem Umzug, sich dort mit seiner neuen Adresse zu melden. Auch ohne Personalausweis darf man nicht bleiben, und wer den Sommer gar zu einer weiteren Reise nutzen möchte, braucht einen Pass. Doch ein Termin, den man mittlerweile für so ein Anliegen machen muss, ist erst wieder Mitte Oktober verfügbar.

 

Schwarzmarkt für Bürgeramtstermine

 

Was passiert, wenn etwas knapp wird? Genau: Es bildet sich ein Schwarzmarkt. Unter www.buergeramt-termine.de kann man sich für 25 Euro einen Termin in einem Berliner Bürgeramt innerhalb von fünf Tagen erkaufen. Wer es besonders eilig hat, wird für 45 Euro innerhalb von 48 Stunden bedient.

Zum Vergleich: Wer etwa aufgrund der Terminlage zu spät dazu kommt, einen Reisepass zu beantragen und dann gezwungen ist, die Express-Variante zu ordern, zahlt 32 Euro Zuschlag. Der erkaufte Termin kommt billiger.

Anbieten können ihn die beiden Gründer der Website, weil sie eine Software programmiert haben, die sich bei sämtlichen Ämtern verfügbare Termine sichert, und sie dabei noch nicht die Namen derjenigen angeben müssen, die diese auch wahrnehmen. Das soll sich nun ändern, hat die Senatsinnenveraltung angekündigt. Das eigentliche Problem wird damit aber nicht gelöst. Denn warum müssen wir so lange warten? Weil das Personal fehlt.

 

Personalabbau trotz Bevölkerungswachstums

 

In den vier Pankower Bürgerämtern sind laut dem zuständigen Stadtrat Torsten Kühne (CDU) derzeit 66 Sachbearbeiter beschäftigt – das sind fünf weniger als 2010. Und das trotz steigender Bevölkerungszahlen.

Hinzu kommt, dass seit Jahren keine neuen Kollegen eingestellt werden konnten. Fast zwei Drittel der Mitarbeiter des Pankower Bezirksamtes sind über 50, wie aus einem Bericht des Amtes selbst hervorgeht – und mit höherem Alter nimmt die Zahl der Krankentage zu. Zwar hat der Senat angesichts des Bevölkerungswachstums nun allen Bezirken für zwei Jahre befristet 31 Bürgeramts-Stellen zusätzlich versprochen, von denen vier auf Pankow entfallen. Stadtrat Kühne bezweifelt jedoch, dass sich die Situation dadurch nachhaltig verbessern lässt.

315.254 Dienstleistungen haben die 66 Mitarbeiter der Pankower Bürgerämter im vergangenen Jahr erbracht, erklärt er – darunter 43.660 Personalausweis-, 24.734 Pass- und 59.955 Melde-Angelegenheiten. Auf die 252 Arbeitstage des Jahres heruntergerechnet kommt man auf knapp 20 Vorgänge pro Tag pro Mitarbeiter – ohne, dass dabei Kranken- und Urlaubstage berücksichtigt wären.

So lassen sich die langen Wartezeiten erklären.

 

Online als Lösung – Estland macht es vor

 

„In punkto Terminvergabe entspricht der aktuelle Service nicht dem Leitbild einer bürgerfreundlichen Dienstleistung“, meint Kühne. Den Schwarzmarkt für Termine nennt er inakzeptabel. Als Ausweg aus der Misere sieht er neben dem Ausbau von Stellen auch den der Online-Angebote. Um jedoch das persönliche Vorsprechen im Amt durch ein Online-Formular zu ersetzen, müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert werden. Genau das fordert der Stadtrat. „Andere europäische Länder, zum Beispiel Estland, sind hier viel weiter.“

Wer schon heute einen Termin im Amt benötigt, dem hilft das jedoch wenig. Wer seinen Ausweis verloren hat oder dringend einen Reisepass benötigt, kann mit dem Flugticket als Beweis direkt im Bürgeramt vorsprechen. Allen andere bleibt nur die Geduld.

Die wird immerhin belohnt. Denn anders als es das Klischee will, sind die Mitarbeiter extrem freundlich und hilfsbereit. So war es zumindest bei mir. Vielleicht freuen sie sich einfach, dass sie so gefragt sind. 

 

 

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