Bezirk glaubt an sechsfünfzig

von Thomas Trappe 11. Dezember 2015

600 Wohnungen sollen am alten Güterbahnhof Greifswalder Straße entstehen. Die Hälfte davon im unteren Preissegment. Frühestens 2019 kann gebaut werden.

Geht es um Wohnungsbauvorhaben in Prenzlauer Berg, ist Jens-Holger Kirchner prinzipiell zuständig, und geht es um teure Wohnprojekte, ist er generell schon mal gereizt. Nicht weil der grüne Baustadtrat Kirchner prinzipiell was gegen teure Wohnungen hat, sondern eher dagegen, „deswegen gleich die Weltrevolution“ auszurufen. Kirchner verwendet diesen Halbsatz innerhalb einer etwas aufgeregten Replik auf die Reporterfrage, ob er denn sicher sei, dass ein Großteil der 600 geplanten neuen Wohnungen am alten Güterbahnhof Greifswalder Straße zum Mondniedrigpreis 6,50 Euro nettokalt vermietet werden können. Ja, sei er, aber „es wird auch Wohnungen geben, die teurer sind, selbstverständlich“. Man muss sich Kirchner dabei fuchsig vorstellen. Er weiß, dass die Preisgestaltung des Zukunftsprojekts Güterbahnhof entscheidend dafür ist, ob der Wohnungsbau hier Akzeptanz finden wird. Nicht zuletzt deshalb, weil Kirchner zentraler Akteur des seit knapp einem Jahr laufenden Werkstattverfahrens ist, innerhalb dessen jetzt eine Machbarkeitsstudie vorgelegt wurde.

Dass das Gelände am stillgelegten Güterbahnhof und südlich davon bebaut werden soll, steht schon länger fest. Ein Stück der Fläche gehört seit einigen Jahren dem Investor Christian Gérôme, und zwar ein Streifen südlich der Bahnschienen zwischen Greifswalder Straße und Prenzlauer Allee. Hier soll gebaut werden, genau wie auf den beiden Autostellflächen an der Lilli-Henoch-Straße, die in Besitz des Landes sind und wo die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag bauen will. Entsprechend groß ist die Zahl derer, die bei der Planung mitreden. Neben Gewobag und Gérôme zunächst der Bezirk und das Land mit den jeweils Zuständigen. Und da in das Gesamtkonzept auch die Grundschule am Planetarium und eine Kindertagesstätte einbezogen wird, sind neben den Bildungseinrichtungen selbst auch die jeweiligen Ressortverantwortlichen von Land und Bezirk involviert. Nicht zu vergessen die Anwohner, die bei der Konzeptionierung gehört werden wollen. Soviel zu einem Teilausschnitt der Gemengelage, der erklärt, warum es zwar schon viele Pläne für das Gelände gibt, aber noch mehr Geduld erforderlich ist, bis diese umgesetzt werden.

Die Machbarkeitsstudie, auch das betont Kirchner immer wieder, sagt deshalb erst mal nur, was machbar ist. Der jetzt vorgelegte Entwurf ist ein Kompromiss aller Beteiligten, eingeflossen sind dabei die Entwürfe eines von Christian Gérôme beauftragten Büros und der AG Machleidt, die für die Gewobag arbeitete und der nach jetzigem Stand der Vorzug für die Planung gegeben wird.

 

Stadtvillen im Triptychon

 

Diese sogenannte Vorzugsvariante legt fest, dass auf Gérômes Grundstück zwei schmale Baufelder entstehen, also zwei mehretagige Wohnblöcke direkt an den Bahnschienen. Die Gewobag hingegen würde im Norden der Lilli-Henoch-Straße die Umrandung des Parkplatzes bebauen, so dass mit dem jetzt schon bestehenden Plattenbau im Süden der Straße ein umschlossener Platz entstehen würde – in dessen Mitte dann Stadtvillen entstehen sollen, so der Plan. Dieses sogenannte Baufeld-Triptychon würde vom Gérôme-Baufeld durch einen schmalen Grünstreifen getrennt, auf dem sich neben Rad- und Fußweg auch ein „Community-Garden“ befinden soll, der Anwohnern zur Verfügung steht.

Eine besondere Herausforderung, so Stadtrat Kirchner, sei die Gestaltung des geplanten „Stadtplatzes“ an der Greifswalder Straße, Ecke Lilli-Henoch-Straße. Es sei noch offen, so Kirchner, wie in dieser eher ruhigen Ecke des Kiezes ein belebter Treffpunkt entstehen könnte. „Das ist eher so eine planerische Idee.“ Genau wie das Hotel, dass in einem der Häuser an der Greifswalder einziehen soll. Wer das betreiben könnte und wolle, wisse man noch nicht.

 

0,4 Stellplätze pro Wohnung

 

Kirchner sagt, dass die Festlegung auf insgesamt 600 neu zu bauende Wohnung vor allem durch die Kennzahl der Schul- und Kitaplätze bestimmt gewesen sei. 200 Wohnungen seien im Gespräch gewesen, aber auch mal 800. Das Maximum habe man verwerfen müssen, weil man sonst die Schul-Infrastruktur im Kiez überlastet hätte. Die soll ohnehin ausgeweitet werden: Mit einem neuen „Kinder- und Jugendcampus“. Dort soll nicht nur die schon bestehende Grundschule am Planetarium auf fünf Züge erweitert, sondern auch eine Turnhalle gebaut werden und eine erweiterte Kindertagesstätte. 20.000 Quadratmeter groß würde dieser Campus sein, die Sporthallen und -freiflächen sollen auch außerhalb der Schulzeiten genutzt werden dürfen.

Bei der jetzt eher komfortablen Parkplatzsituation im Kiez wird es laut dem vorliegenden Plan wohl nicht bleiben. 0,4 Parkplätze pro Wohnung, so lautet der Schlüssel, der auch auch in Form einer Tiefgarage umgesetzt werden soll. 0,4, das sei Berliner Schnitt, sagt Kirchner, „mir ist das eigentlich zu viel“, es gebe eben keinen Anspruch auf eine sorglose Parkplatzsuche. Viel mehr Kopfzerbrechen bereite ihm, wie die veranschlagten 1.200 Fahrradstellplätze untergebracht werden sollen.

 

Erste Mietverträge in fünf bis sieben Jahren

 

Potenzial für weiteres Kopfzerbrechen wird sich aller Voraussicht nach noch ergeben. So gab es zwar schon Voruntersuchungen, teilweise auch recht detaillierte, vieles müsste aber noch unter die Lupe genommen werden, sagt Kirchner. Eine vertiefende Altlastenuntersuchung für den Schulcampus stehe zum Beispiel noch an, abschließende Lärmschutzgutachten ebenfalls. Auch ist noch nicht klar, wie genau man sich mit Vattenfall zur Verlegung der auf dem Gelände befindlichen Fernwärmeleitung verständigt. In den kommenden Monaten soll nun erstmal ein „Rahmenplan“ erstellt werden, so Kirchner. Ende 2016 oder Anfang 2017 könnte dann mit der B-Plan-Aufstellung begonnen werden. Und dann würden erfahrungsgemäß mindestens noch mal zwei Jahre ins Land gehen. Sprich: Frühstens im Frühjahr 2019 kann mit den Bauarbeiten begonnen werden. Realistisch sind die ersten Mietverträge damit wohl erst in fünf bis sieben Jahren.

Umso fantastischer wirken da die avisierten 6,50 Euro kalt. Kirchner verweist auf das „Berliner Modell der Baulandentwicklung“, das eine Quote von geförderten und damit günstigerem Wohnraum vorsieht. Beim Privatinvestor Gérôme gebe es diese Quote auch, betont Kirchner. „Das wird sicher nur mit Quersubventionierung funktionieren“, sagt er und ärgert sich nochmal präventiv über absehbaren Unmut. „Und ja, da wird es wahrscheinlich auch Wohnungen geben, die etwas teurer sind.“ 

 

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