Einst war der Prenzlauer Berg auch ein jüdisches Viertel. Das Buch „Jüdisches in Pankow“ begibt sich auf Spurensuche und nimmt einen mit auf einen Spaziergang zwischen Synagoge und Soho-Haus.
Wenn man an der Synagoge in der Rykestraße ankommt, liegt der Großteil des Spaziergangs schon hinter einem. Zwar ist diese wohl das bekannteste Zeugnis jüdischen Lebens in Prenzlauer Berg – und eines der sichtbarsten. Würde man sich dem Thema ohne Anleitung nähern, man finge hier an.
Dabei ist die Synagoge nur eine von vielen Spuren, von denen ein Großteil jedoch mit der Zeit verblasst oder gewaltsam ausgelöscht wurde. Das versteht man schnell, wenn man sich mit dem Buch „Jüdisches in Pankow. Rundgänge durch Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee“ auf den Weg macht. Geschrieben hat es Lara Dämmig, erschienen ist es unlängst bei Hentrich & Hentrich. In 26 Stationen und zwei Stunden führt es durch den Süden des Prenzlauer Bergs, wo Mitte der 1920er Jahren noch mehr als 20.000 Juden lebten.
Altenheim im Backsteinbau
Die Tour beginnt unweit des Senefelderplatzes in der Schönhauser Allee 22. 1883 wurde der große Backsteinbau, den manche noch als Polizeiwache kennen, als jüdisches Altenheim eröffnet. In wenigen Sätzen wird umrissen, dass nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten immer mehr ältere und verarmte Menschen dort Zuflucht suchten, dass die Zimmer doppelt belegt werden mussten, und dass alle Bewohner 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Ein schwarz-weißes Foto zeigt ältere Herrschaften in Anzügen auf unbequemen Stühlen im Lesesaal studieren. Und dann geht es schon weiter, die Schönhauser Allee entlang Richtung Norden.
Ein Abstecher führt auf den jüdischen Friedhof, wo Max Liebermann und Giacomo Meyerbeer begraben liegen und die Grabsteine mal Hebräisch, mal Deutsch und mal zweisprachig beschriftet von Assimilation und orthodoxem Judentum erzählen. Kurz vor der Kulturbraurei macht man an einem großen Wohnblock Station, wo sich einst die Privatsynagoge Lew Jehudo befand. Dort wohnte auch Gisela Juliusburger, die noch als Zwangsarbeiterin in einem jüdischen Krankenhaus ein untergetauchtes Mädchen versteckte. Die Sache flog auf, das Mädchen entkam, aber Juliusburger wurde von der Gestapo verhaftet und starb kurz darauf an Tuberkulose. Vor dem Haus erinnert ein Stolperstein an sie.
Quer über die Straße sucht man die Spuren des jüdischen Waisenhauses, aus dem Hans Rosenthal gerade noch rechtzeitig wegen mangelnder Disziplin verwiesen wurde, bevor die Kinder nach Riga geschickt und dort ermordet wurden. Nebenan wohnten Jackie und Helga Drell, von denen man heute nur noch weiß, dass sie gemeinsam mit ihren Eltern nach Auschwitz deportiert wurden.
Nein, für einen lustigen Sonntagsausflug eignet sich dieser Spaziergang nicht. Aber über die Geschichte des Bezirks, seiner Gebäude und vor allem der Menschen, die vor uns da waren, lernt man eine Menge.
Exerzieren auf dem Senefelderplatz
Weiter geht es die Schönhauser Allee entlang zurück Richtung Senefelderplatz. Dort mussten bei der sogenannten „Polenaktion“ am 28. und 29. Oktober 1938 Juden mit polnischem Pass stundenlang im Freien exerzieren, bevor sie zur Grenze geschafft und ausgewiesen wurden. Als Folge dieser deutschlandweiten Aktion verübte in Paris der empörte Jude Herschel Grynszpan ein Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath, was die Nationalsozialisten kurz darauf als Vorwand für die Pogromnacht nutzten.
Die Brauerei Pfefferberg wurde schon während der Weimarer Republik von jüdischen Berlinern gemieden, weil der Besitzer als Antisemit bekannt war. In dem Altbau, Ecke Lottumstraße, wuchs der jüdische Regisseur Ernst Lubitsch auf, der sich weder für Religion noch für die im gleichen Haus unterbrachte Textilfirma des Vaters sonderlich interessierte. Und im heutigen Nachbarschaftshaus am Teutoburger Platz war einst ein jüdisches Kinderheim.
Auch hier gibt es noch Spuren, Gedenktafeln und Stolpersteine, die man im Alltag nur zu leicht übersieht. Dank Anleitung und geschärftem Bewusstsein entdeckt man sie bald überall.
Kredit und Clubausweis
Es folgt noch ein Schlenker durch den Kollwitzkiez mit der Synagoge und der jüdischen Schule und über den Wasserturmplatz, wo Juden ab 1937 keinen Zugang mehr hatten – egal, ob das nun die einzige Grünfläche im Kiez war oder nicht.
Die Tour endet am Soho-Haus, das der jüdische Kaufmann Hermann Golluber Ende der 1920er Jahre als Kredit-Warenhaus Jonaß errichten ließ. Das Kredit im Namen verdankte es der damals völlig neuen Möglichkeit, Gekauftes nicht sofort, sondern in Raten zu bezahlen. Anfang 1933 erpressten die Nationalsozialisten den Standort gegenüber dem Friedhof mit dem Grab Horst Wessels und nutzten das Gebäude für Propaganda-Ausstellungen. Später residierten hier das Zentralkomitee der SED und sein Institut für Marxismus-Leninismus. Heute ist es Treffpunkt von Medienmenschen mit Clubausweisen.
Zu wissen, was vorher da war, macht einem die Stadt vertrauter. Zu sehen, welche Schneise der Nationalsozialismus in den eigenen Kiez geschlagen hat, macht das Grauen konkret. Damit hätten wir schon zwei gute Gründe, sich mit dem Buch einmal auf den Weg durch den Prenzlauer Berg zu machen. Der dritte Grund dafür, es sich anzuschaffen, sind die zwei Kapitel, die hier gar nicht angesprochen wurden: die Touren durch Pankow und Weißensee, wo es ebenfalls viel zu entdecken gibt.
Lara Dämmig: Jüdisches in Pankow. Rundgänge durch Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee. Herausgegeben vom Museum Pankow, Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2013. 152 Seiten, 14,90 Euro.
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