Christian Weise inszeniert „Madame Bovary“ im Ballhaus Ost – und lässt Inga Busch in einer grünen Einfamilienhölle verzweifeln
Diese Tapete! Es dauert ein Weilchen, bis man sich an die schauerlich floralen Kulissen gewöhnt hat, mit denen Constanze Kümmel Christian Weises „Bovary“-Inszenierung im Ballhaus Ost ausstattete. Der Urwaldprint, die pittoresken Teller und Masken an den Wänden verbreiten eine schwüle, erdrückende Wohnzimmergemütlichkeit. Mag ja sein, dass längst jede zweite Berliner Kneipe diesen plüschigen Flohmarkt- und Volksbühnen-Look imitiert. Ihn aber dermaßen auf die Spitze zu treiben, das bleibt verwegen.
Auch der Titelheldin (Inga Busch) schlägt die grüne Einfamilienhölle auf die Psyche, übellaunig stakst sie auf ihren High Heels umher und heult, so bald nur der Fernseher läuft. Pink ist ihr Minirock, bieder das Jäckchen, die Stimme heiser: Für Regisseur Christian Weise ist die Emma Bovary des 21. Jahrhunderts eine Mischung aus Transe und Fifties-Heimchen.
Eben erst ist sie hergezogen mit ihrem Mann, dem dicklichen Doktor Charles, und rein gar nichts gefällt ihr. Hach, ist das alles langweilig, „wie einem nur so langweilig sein kann,“ gegen den fürchterlichen Eheüberdruss können selbst die Kügelchen von Apotheker Homais (Cornelius Schwalm) nichts ausrichten. Das Fernseh-Schnulzenprogramm, die Sülzliteratur im Bücherregal schüren die Sehnsucht nach einem anderen Leben; nach einem rosarot gepolsterten Diven-Dasein, in dem es einen Prinzen, jede Menge unbezahlbare Kleider und tiefe Gefühle im Überfluss gibt.
Emma, allein unter Schwaben
In der Realität aber nerven leider bloß der Apotheker und seine dauerschwangere Gattin (Verena Unbehaun) mit ihren missionarischen Öko-Predigten; gelegentlich lässt sich zwar der verklemmte Student Leon (Hannes Benecke) vögeln, aber was hilft das schon. Rodolphe (Sebastian Arranz) ist wenigstens Popstar und singt recht hübsch, doch leider geben sowohl sein emotionales als auch sein finanzielles Budget deutlich weniger her als gedacht. Also heult Emma, zerreißt sich das Maul über ihren devoten Mustergatten und seine enttäuschenden Nebenbuhler, lässt ihrem Hass auf die Mittelmäßigen, Leidenschaftslosen, auf alle, die es schön finden in dieser elenden Familienpiefigkeit, nach Herzenslust freien Lauf: Emma, allein unter Schwaben.
Knallige Gassenhauer und eine Überdosis Slapstick
Inga Busch, unter anderem aus diversen Pollesch-Inszenierungen bekannt, lässt die depressive Furie in immer grelleren Tiraden am Wohlleben verzweifeln; getrieben, aufgeregt, zornig donnert sie über die Bühne, dass es nur so rauscht im Tapetenurwald. Schwiegermutter Bovary (Catherine Stoyan) liefert dazu eine ordentliche Überdosis Slapstick, und Rodolphe besingt „La Dolce Vita“ in knalligen Gassenhauern.
Ist so das moderne Familienleben, das Leben in Prenzlauer Berg und anderen Dörfern? In einer brachialen, boulevardesken, volkstümlichen Überzeichnung vielleicht. Weises „Madame Bovary“ ist eine dieser heiteren Parodien des Kiezalltags, von denen es doch eigentlich schon mehr als genügend gibt.
Ein Klassiker – aber kein zeitloser
Sonderlich schlimm ist das erstmal nicht; theoretisch bietet eine solche Modernisierung immerhin die Möglichkeit, Flauberts Roman unter heutigen Vorzeichen neu zu lesen – dieses berühmte Buch, das ja ein Klassiker sein mag, aber kein zeitloser. Das Flaubertsche Ehemodell zum Beispiel ist zweifellos überholt: Frustrierte Gattinnen wie Emma würden sich heute von keiner Schwiegermutter der Welt mehr davon abhalten lassen, einen Langweiler wie Charles einfach sitzen zu lassen.
Doch Daniela Dröscher und Christian Weise übernehmen in ihrer Textadaption Flauberts Vorstellung eines Ehe-Gefängnisses, in dem Emma schließlich zugrunde geht, unbesehen. Und man nimmt es eben nicht einmal der großartigen Inga Busch wirklich ab, dass diese sonst so taffe Emma tatsächlich bei Charles bleibt, und sich dann auch noch von einem abgehalfterten B-Liga-Promi wie Rodolphe abservieren lässt. Im Kern funktioniert diese Aufführung also nur bedingt; es ist eine kurzweilige Show, nicht mehr und nicht weniger.
Unvergessen bleibt allerdings Emmas Dialog mit Rodolphe, beim Liebemachen auf der Sonnenbank: „Weißt Du, dass in Deinen Augen kleine goldene Sterne funkeln?“ – „Ja, das weiß ich.“
Madame Bovary. Ein Sittenbild aus der Provinz. Ballhaus Ost, Pappelallee 15. Nächste Vorstellungen: Am 15./16./17. September, jeweils um 20 Uhr. Karten zu 13/8 Euro unter 440 39 168 oder unter karten@ballhausost.de
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