Die letzten Wohnungen mit Kohleöfen sollen weichen und die Mieter (vorerst) mit ihnen. Wer sich weigert, dem wird mit Tricks und Anwalt zu Leibe gerückt. Wer so was macht? Die landeseigene Gewobag.
Christoph Baumgarten hat vorgesorgt: Zwei Klimageräte stehen verpackt in seiner Wohnung, bereit für den Einsatz. „Wenn die Wohnung von außen erst mal unter einer Folie ist, wird es richtig heiß hier drin“, sagt er. Baumgarten wohnt im Vorderhaus der Schönhauser Allee 102. Eigentlich sollte er das längst nicht mehr. Denn die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag will, dass er auszieht – zumindest während der Bauarbeiten zur Modernisierung des Altbaus. Doch Baumgarten hat Angst, dass er nicht zurückkehren kann. Deshalb bleibt er. Seine Miete soll sich annähernd verdoppeln und überhaupt hat er etwas gegen die „Luxussanierung“, wie er es nennt.
So lebt er auf einer Baustelle: Im Hauseingang türmen sich Schutt und Materialien. Baustellen-Staub liegt in der Luft. Als Baumgarten einzog, schloss er einen Deal mit der damaligen Hausverwaltung: Sie überließ ihm die gut 80 Quadratmeter große Wohnung für eine geringe Miete, und er renovierte dafür alles. Das war 2010. „Ich finde es gut so, wie es ist“, sagt er, und zeigt den Stuck an der Decke. Trotz Kohleofen. Er wohnt mit seinem zwölfjährigen Sohn und zwei Hunden in dem abgewohnten Altbau und zahlt 407 Euro kalt, nach der Modernisierung sollen es 734 Euro sein. Das kann sich der gelernte Mediengestalter und selbstständige Online-Händler nicht leisten.
Rechtsstreit wegen Duldung der Modernisierungsarbeiten
Von den 32 Wohnungen in dem Gründerzeitbau sind noch acht bewohnt. Die Mieter harren wie Baumgarten auf der Baustelle aus und weigern sich, in eine Ersatzwohnung zu ziehen.
Nun läuft mit der Gewobag ein Rechtsstreit: wegen der Duldung der Modernisierungsmaßnahmen. Baumgarten muss als erster der Parteien vor Gericht. Mitte Juni ist es soweit. Er will erreichen, dass er nicht ausziehen muss, sondern während der Bauarbeiten in der Wohnung bleiben kann. „Man kann doch Zimmer für Zimmer abarbeiten“, meint er. Außerdem dürften die Kosten der Modernisierung nicht komplett auf ihn umgelegt werden, meint er. Schließlich habe er vor fünf Jahren Einiges investiert: „Ich lasse mich nicht verdrängen.“
Was die Gewobag von Baumgartens Vorschlägen hält? Dazu gibt es aus der Pressestelle keine Aussage. Auch nicht zu dem Rechtsstreit. In einem Brief an Baumgarten steht, dass das Sozialplanverfahren durch die Mieterberatung Prenzlauer Berg beendet sei. Die hatte vergeblich versucht, mit Baumgarten ins Gespräch zu kommen. Er wollte nicht.
„Wir sind dafür da, dass Härten abgefedert werden“, sagt die zuständige Sachbearbeiterin Andrea Wallroth. „Es soll so sein, dass niemand für immer wegziehen muss.“ Allerdings gebe es Vorgaben für die Personen- und die Zimmeranzahl. Gegebenenfalls würden die Mieten nach unten korrigiert.
Mit zehn Mietparteien aus der Schönhauser Allee 102 habe sich die Gewobag einigen können, sagt Wallroth. Vier bleiben in ihren Ausweichwohnungen in Prenzlauer Berg wohnen, sechs kehren nach den Sanierungsarbeiten zurück. Ob Mieter während der Bauarbeiten in ihren Wohnungen bleiben können? „Wir raten davon ab“, sagt Wallroth. „Aber mietrechtlich möglich ist es.“
Die Mieterin fühlt sich ausspioniert
Das betrifft auch Martina Lannatewitz. Die 55-Jährige wohnt seit 31 Jahren in der Raumerstraße. Auch hier wird saniert, auch dieses Haus gehört der landeseigenen Gewobag. Seit Monaten soll Lannatewitz aus ihrer Wohnung mit Kohleofen ausziehen. Das Haus ist ummantelt von einer Baufolie, damit Zentralheizung und Fahrstuhl Einzug halten können. „Sie wollen mich mit allen Mitteln raushaben“, meint sie. „Auch auf unlautere Weise.“
Der Vorwurf der bewussten Verdrängung wiegt schwer. Der Vorwurf, dass dabei jedes Mittel recht sein soll, noch schwerer. In den letzten Wochen bekamen beide, Baumgarten und Lannatewitz, eine Abmahnung von einem Anwalt im Auftrag der Gewobag: wegen angeblicher gewerblicher Nutzungen ihrer Wohnungen. Die ist nicht erlaubt. Lannatewitz sagt, sie fühle sich ausspioniert. Im Internet stünde ihre Adresse auf einer Webseite zur Vermittlung von Ferienwohnungen. „Ich beantworte etwa zehn Minuten am Tag E-Mails von meinem Rechner im Schlafzimmer“, erklärt sie. „Mehr nicht.“
Bei Lannatewitz führte das zu einer fristlosen Kündigung, gegen die sie jetzt gerichtlich vorgeht. Vorher läuft noch ihre Räumungsklage durch die Gewobag. Auch Baumgarten wurde abgemahnt: Er vertreibt Akkus über das Internet, verschickt werden sie von Köln aus. Auch in seinem Internet-Impressum hatte er seine Privat-Adresse angegeben. „Theoretisch könnte ich meine Mails aus jedem Café verschicken“, sagt er. „Aus meiner Sicht geht es nur darum, mir zu schaden.“ Auf Anraten seiner Anwältin hin hat er sich nun vorsichtshalber ein Zimmer in einer Bürogemeinschaft gemietet.
Die Politk sieht eine Grauzone
Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung, Jens-Holger Kirchner (Grüne), möchte sich nicht konkret zu den Vorwürfen äußern. Doch er sagt: „Es ist das Recht eines jeden Vermieters, dass der vertraglich vereinbarte Zweck der Wohnung eingehalten wird.“ Es gebe aber auch „Grauzonen, gerade bei Freischaffenden“. Bei ihnen sei oft nicht eindeutig, inwieweit eine gewerbliche Nutzung vorläge, wenn sie sich etwa auf E-Mail-Korrespondenz begründe.
Für Lannatewitz und Baumgarten ist klar: Irgendetwas müssten sie in ihr Impressum schreiben, wenn sie eine Webseite betreiben. Sie haben keine Laufkundschaft – ein Gewerbe im klassischen Sinne ist das aus ihrer Sicht nicht. Sondern nur ein Vorwand, um sie aus ihren Wohnungen zu vertreiben.