Prenzlauer Berg schafft es nicht, seine Gehwege vom Schnee zu befreien. Ein Spaziergang, ähm, eine Rutschpartie durch den Kiez.
Dies ist nun wirklich kein besonders schneereicher Winter. Gerade mal zwei stärkere Schneefälle konnten wir bisher in Berlin verzeichnen, der erste Schnee war ganz schnell wieder geschmolzen, und auch jetzt sind keine wahren Schneemassen zu sehen. Und trotzdem scheint es nicht möglich zu sein, die Prenzlauer Berger Gehwege zuverlässig von Schnee, Matsch und Eis zu befreien.
Dabei sind die Regeln eigentlich klar: Laut Berliner Straßenreinigungsgesetz sind Hauseigentümer dazu verpflichtet, bei Schnee die Gehwege for ihren Häusern zu räumen. Die geräumte Bahn muss dabei mindestens einen Meter breit sein. Kommt ein Eigentümer seiner Räumpflicht nicht nach, kann das Ordnungsamt ein Unternehmen auf Kosten mit dem Schneeschippen beauftragen. Außerdem kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Stürzt ein Fußgänger und verletzt sich, kann er den Grundstückseigentümer sogar wegen Körperverletzung anzeigen. Soweit die Gesetzeslage.
Winterdienst sieht anders aus. Auf der Schönhauser Allee hat jemand den Fahrradweg genau bis zum Ende seines Grundstücks freigeräumt.
Besonders weit müssen wir allerdings nicht gehen, um zu bemerken, dass sich so gut wie niemand in Prenzlauer Berg an diese Regeln hält. Von Schneematsch auf der Schönhauser Allee, Eisdecke auf der Sredzkistraße und einer Schlitterpartie in der Rykestraße ist alles dabei.
Mit dem Elektro-Rollstuhl durch den Schnee
Was schon uns Normalbürger nervt, muss für Leute, die körperlich eingeschränkt sind, ein echtes Problem sein. Zum Beispiel für Marco. Er sitzt schon sein ganzes Leben lang im Rollstuhl und arbeitet im Botendienst beim Verein Integral in Prenzlauer Berg, der unter anderem eine Behindertenwerkstatt in der Herrmann-Blankenstein-Straße betreibt. Als Bote ist Marco den ganzen Tag auf der Straße unterwegs und überbringt Postsendungen an seine Kunden. „Je tiefer der Schnee, desto größer das Problem“, sagt der 44-Jährige. Denn sein Elektro-Rollstuhl verbraucht im Schnee viel mehr Batterie als sonst. „Am Montag bin ich stehengeblieben und musste von unterwegs den Fahrdienst anrufen“, sagt Marco. Wenn der Rollstuhl tiefer einsinkt, kann es auch passieren, dass er beim Fahren den Schnee vor sich herschiebt und irgendwann stecken bleibt, erzählt Marco.
Und dann ist da noch die Sache mit den Absenkungen: „Wenn die Leute Schnee schippen, räumen sie ihn oft an den Straßenrand. Dadurch werden abgesenkte Bordsteine verschüttet und ich kann nicht mehr gefahrlos die Straße überqueren“, sagt Marco. Wenn er mit seinem Elektro-Rollstuhl auf eine Kante aufsitzen und umkippen würde, würde es richtig gefährlich. Zum Glück ist das noch nie passiert.
Schneematsch (fast) soweit das Auge reicht auch an dieser Ecke in der Sredzkistraße.
Ordnungsamt kennt das Problem
„Das Problem, dass viele nicht Räumen, ist uns natürlich bekannt“, sagt Stadträtin Rona Tietje (SPD), die derzeit kommisarisch die Abteilung Ordnung leiten muss, weil in Pankow nach wie vor ein Stadtrat fehlt. „Die Ordnungsamtsmitarbeiter machen auch unabhängige Kontrollen im Bezirk“, so Tietje. Es seien aber auch diesen Winter schon einige Beschwerden von Bürgern beim Ordnungsamt eingegangen. Grundsätzlich sei die Zahl der Beschwerden in den letzten Jahren aber zurückgegangen, was an den schneeärmeren Wintern liege, so Tietje. Aktuell gebe es keine laufenden Verfahren wegen Verstößen gegen das Straßenreinigungsgesetz.
Bei Ordnungsamt-Online (der mäßig effektiven Internetpräsenz des Ordnungsamtes, von der wir kürzlich berichtet haben) monierten auch in dieser Woche einige Bürger den mangelnden Winterdienst im Bezirk. Weil es sich beim Schnee allerdings um akute Fälle handelt, bittet das Ordnungsamt darum, Beschwerden direkt telefonisch abzugeben.
Es gibt auch Vorbilder: beispielsweise hier am Wasserturm.
„Wenn eine Beschwerde im Ordnungsamt eingeht, wird nach Möglichkeit dorthin gefahren“, sagt Tietje. Aha, nach Möglichkeit. Es klingt nachvollziehbar, dass die Ordnungsamtsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht jedes Haus in Pankow kontrollieren können. Aber wenn schon mal kontrolliert wird, wird dann wenigstens hart durchgegriffen? „Wenn jemand nicht geräumt hat, wird derjenige zunächst angesprochen, damit er die Möglichkeit hat, den Winterdienst nachzuholen“, sagt Tietje. Die Angst der winterdienst-unwilligen Hausbesitzer vor der Obrigkeit wird sich also in Grenzen halten. Und das ist auf den Prenzlauer Berger Straßen fast überall – im schlimmsten Fall am eigenen Leibe – erfahrbar.
(Fotos:ka)
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