Alte Tante Jugendclub

von Susanne Grautmann 20. Juni 2016

Ein Aquarium, ein Kickertisch, ein Sozialarbeiter: Das Inventar eines Jugendklubs verspricht nicht gerade Abenteuer. Die Jugendlichen gehen trotzdem hin – an 363 Tagen im Jahr.

Der kommunale Jugendclub Atelier 89 liegt im Schatten der Blocks an der Hanns-Eisler Straße. Im Clubraum stehen abgewetzte Sofas, an den Wänden hängen selbstgemalte Plakate. Selbst Kai Wegner, der 48-jährige Leiter des Atelier 89, hat schon mehrmals gedacht, dass die Tage seines Clubs gezählt wären.

Wen würde schon im Internetzeitalter noch ein Jugendclub reizen, in dem es zum Beispiel montags einen „Talk“ zu „interessanten, wichtigen und aktuellen Themen“ gibt? Oder, auch nicht schlecht, den freitäglichen „Reparatur-Tag“, an dem in der Zeit von 14 bis 22.00 Uhr „Reparieren und Reinigen für die Erhaltung unseres Clubs“ anstehen? Und überhaupt: Würde jemand noch kommen wollen, der schon bis 16.00 Uhr in der Schule war? 

 

 

Der Clubraum des Atelier 89 (Foto: Susanne Grautmann)

 

Doch das Internet ist kein Neuland mehr, Ganztagsschulen sind seit Jahren Standard in Berlin. Das Atelier 89 hat beides überlebt. Das Angebot dort ist offen, das heißt, die Jugendlichen können spontan machen, wozu sie Lust haben. Und? Worauf haben sie Lust? Tischtennis? Subbotnik? Nö. „Chillen“ wollen sie, sagen sie.  

 

Die Jugendlichen brauchen jemanden, der ihnen zuhört 

 

Wegner glaubt, dass die Jugendlichen im Club vor allem Verlässlichkeit  suchen. Eine erwachsene Bezugsperson, der sie ihre Probleme erzählen können. Die ihnen zuhört, ohne gleich zu werten oder Lösungen parat zu haben. „Jemand, von dem die Teens wissen: der ist immer da“. Wegner ist schon seit knapp zwanzig Jahren immer da. Und seine Stammgäste kommen sieben Tage die Woche, 363 Tage im Jahr. Silvester und Neujahr sind die einzigen Tage, an denen das Atelier geschlossen ist. 

Das ist besonders für die Kinder und Jugendlichen wichtig, deren Eltern wenig Zeit haben. Sie fängt der Jugendklub auf. Das Atelier 89 ist ein Raum, in dem sich die Jugendlichen zuhause fühlen. Es ist ein Ort, an dem sie ihre Freunden treffen können, ohne dass sie etwas konsumieren müssten. 

 

Der Verwaltungsaufwand wird mehr, die Stellen werden weniger 

 

Wegner zufolge sind immer noch 40 bis 50 Jugendliche pro Tag hier. Viele sind Schüler der Gustave-Eiffel-Sekundarschule, die ebenfalls an der Hanns-Eisler-Straße liegt. Die jüngeren Kids kämen aus den umliegenden Blocks im Mühlenkiez. Wegner formuliert das so: „Wir sind hier kein Abiturientenclub.“ 

 

 

Kai Wegner in seinem Büro im Atelier 89 (Foto: Susanne Grautmann)

 

Er beklagt, dass der Bürokratie-Aufwand seiner Tätigkeit mit den Jahren immer mehr zugenommen habe. Aktenordner mit Zahlen, Statistiken und Protokollen stapeln sich in seinem Büro. Er habe heute viel weniger Zeit, sich den Jugendlichen zu widmen, sagt er. Das liegt wohl auch daran, dass die Kürzungen im öffentlichen Dienst vor den Jugendclubs nicht Halt gemacht haben: auslaufende Stellen wurden und werden nicht wieder besetzt. 

 

Zu DDR-Zeiten war das Atelier 89 ein FDJ-Club 

 

Den Club gibt es schon seit DDR-Zeiten. 1977 ist er zusammen mit einer großen Wohnanlage an der Greifswalder Straße 89 entstanden. Die Zahl 89 im Clubnamen bezieht sich auf diese Hausnummer; mit der Wende hat sie nichts zu tun. 

An der Greifswalder Straße war der Club im sogenannten „Haus der Dienste“ (HDD) angesiedelt. Ein solches Haus der Dienste gab es in den 70er Jahren in vielen großen Wohnanlagen in Ost-Berlin. Im HDD fanden sich zuverlässig Friseur, Blumenladen, Post, chemische Reinigung und eben ein Jugendclub. Zu DDR-Zeiten war das Atelier 89 noch ein FDJ-Club. Nach der Wende konnte der Club erhalten werden, 1999 ist er umgezogen an den jetzigen Standort an der Hanns-Eisler-Straße. 

Wegner war bei diesem Umzug genauso dabei wie bei dem gemeinsamen Fest der Pankower Jugendclubs, das gerade im Atelier 89 gefeiert wurde. Man konnte die Beats schon von weitem hören. Auf einer improvisierten Bühne draußen zeigten die Jugendlichen, was sie drauf haben. Ein bisschen Tanz, ein bisschen Akrobatik, es spielten Bands. Nichts davon war zu nah an der Perfektion, aber der Applaus war den Jugendlichen sicher. Sie verbeugten sich und genossen ihre five minutes of fame hinterm Mühlencenter. 

 

Jugendclub „Atelier 89“, Hanns-Eisler-Straße 7, 13409 Berlin, Tel. 4234382. Weitere kommunalen Jugendfreizeiteinrichtungen in Prenzlauer Berg und Pankow sind vorgestellt in einer Broschüre des Jugendamts Pankow, die man hier herunterladen kann. 

 

Unser Thema der Woche:  

In unserem Podcast erzählen Johanna, 18, und Julian, 15, wie es sich als Teenager in Prenzlauer Berg lebt, womit sie ihre Zeit verbringen und wie sie am liebsten feiern. Bierball-Tutorial inklusive.  

Laut einer Studie des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg kiffen Berliner Schüler mehr als ihre Altersgenossen im Rest der Republik. Und wie ist die Lage hier in Prenzlauer Berg? Wir haben uns umgehört.

 

 

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