„Schluss mit der Wessi-Arroganz.“ Die Zollkantine macht klare Ansagen. Und beim Jägerschnitzel regelrechte Experimente.
Die Dieffenbachia ist eine Pflanze, die so rein äußerlich an erbrochene Giftspinne erinnert. Die Dieffenbachia ist eine Zimmerpflanze, die in der DDR fröhlich Urständ feierte, und tatsächlich auch giftig war. Schlimme Fälle sind bekannt. DDR-Bürger waren so begeistert von dem tropischen Gewächs, dass sie Ableger züchteten. Gab ja sonst nichts. Um Ableger von Dieffenbachien zu züchten, wurde der Stamm der Pflanze in Scheiben geschnitten und anschließend in ein Wasserbad gelegt. Da diese Stammscheiben manchmal mit Gurken verwechselt wurden, kam es vereinzelt zum Genuss dergleichen und abschließend zur Vergiftung. Nun ja, Gurken und DDR, das war ja schon immer ein angespanntes Verhältnis.
Wer sich giftigen Sondermüll hinter die Gardine stellt, der legt sich auch panierte Jagdwurst auf die Nudeln. Und wer gerne Jägerschnitzel isst, so wie ich, der freut sich dann auch ausnahmsweise, wenn er dabei von Dieffenbachien umgeben ist – dem Jägerschnitzel der Floristik. Willkommen beim zweiten Teil unseres großen Jägerschnitzeltestes: Heute in der Zollkantine in der Grellstraße.
Tapeten aus Dederon fehlen
Die Zollkantine befindet sich im Hinterhof des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung. Da passt das Jägerschnitzel gut hin, denn ähnlich der Behörde fällt es bei dem Schnitzel Außenstehenden schwer zu sagen, was darin eigentlich so vor sich geht. Die Kantine liegt verwinkelt und versteckt, so, als soll sie auch weiterhin ein Geheimtipp bleiben. Von den Dieffenbachien war bereits die Rede, sie wurden hier in der Zollkantine exzessiv aufgestellt, so als könnte man damit die an der Glasfassade vorbeifahrenden Ringbahn-Passagiere erschrecken. Am Eingang zur Toilette hängt ein Zeitungsartikel, eine Glosse überschrieben mit „Jetzt ist endlich Schluss mit der Wessi-Arroganz“. Klare Ansage. Wären jetzt die Tapeten noch aus Dederon, würde ich mich auch nicht wundern. Sind sie aber nicht.
Perfektes Ambiente also für ein gepflegtes Jägerschnitzel. Schon im Eingang kam mir eine Rentnerin entgegen, sie kaute noch, das gefiel mir gut. Auch im Saal dominieren die Lebenserfahrenen, eine Gruppe von Polizisten sitzt zwischen den Giftpflanzen, allerorten sagt man Mahlzeit. Ich mag das eigentlich nicht, irgendwie klingt dieses Wort wie ein Befehl, aber hier mach ich mal mit. An der Theke wird nicht lange debattiert. Wunsch geäußert, Teller voll, Abmarsch. Und es zeigt sich, dass der Kreativität auch beim Jägerschnitzel keine Grenzen gesetzt sind. Statt des üblichen, einen, großen, dicken gibt es zwei kleine dicke Jägerschnitzel. Abwechslung ist das A und O einer ausgewogenen Ernährung. Auch bei den Nudeln kann man ruhig ein wenig experimentieren, auch hier, in der Zollkantine. Makkaroni statt Spirelli! Mein Herz klopft.
Mit viel Fantasie zu mehr Kruste
Kruste und Fleisch sollen beim Jägerschnitzel eine Einheit bilden, im Sinne einer Symbiose. Das eine ergibt ohne das andere keinen Sinn und ein Nahrungsmittel erst recht nicht. Das Fleisch ist hier in der Zollkantine etwas fettiger und etwas salziger, ersteres führt dazu, dass die Kruste nicht so ganz gut haftet. Hat allerdings den Vorteil, dass das Essen schön glänzt. Und das ist ja auch wichtig. Nochmal sei auf die verrückte Idee verwiesen, statt einem großen zwei kleine Batzen zu kredenzen. Das ergibt mehr Kruste. Großes Lob dafür an die Köchin!
Die Nudeln sind eher so mittelgut, etwas mehr als nötig zerkocht. Dafür aber gebuttert. Die Soße kann sich sehen lassen. Ein paar Zwiebeln, und sonst keine Mätzchen. So soll es sein.
Fazit
Das Jägerschnitzel-Restaurant Zollkantine legt Wert auf Massenabfertigung und ist damit ein heißer Kandidat für Ihr tägliches Jägerschnitzel. Individuelle Ansprache, geschmackvolle Musik, geselliges Essen – vor all dem sind Sie hier sicher. Das Jägerschnitzel ist solide, wenn auch etwas teurer: 3,90 Euro. Achtung: Der Eingang befindet sich in der Grellstraße 18!
Zollkantine, Grellstraße 16, geöffnet montags bis freitags von 7.30 Uhr bis 13.30 Uhr.
Und hier geht’s zum ersten Test in der Fleischerei Gottschlich.
Und hier zum dritten Test in der Deponie in der Hufelandstraße.
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