Zuerst Prenzlauer Berg, dann Seoul

von Christiane Abelein 14. Januar 2014

Am Helmholtzplatz liegen die Anfänge von Tausche Taschen. Mittlerweile gibt es das Label in acht Läden rund um den Globus, 30.000 Taschendeckel werden pro Jahr verkauft.

„Entwerfen ist entwerfen ist entwerfen.“ So erklärt Antje Strubelt, warum zwei studierte Landschaftsarchitekten plötzlich Taschen entwerfen. Aber was heißt hier plötzlich? Antje Stubelt und ihr Geschäftspartner Heiko Braun haben lange an ihrer Idee gebastelt und vor neun Jahren den ersten Tausche Taschen-Laden eröffnet. Davon gibt es mittlerweile acht Stück, unter anderem in Tokyo und Seoul. Aber langsam und von vorne.

Tausche Taschen sind Taschen, die ihr Aussehen täglich verändern können. Sie haben heute keine Lust auf langweiliges Schwarz? Kein Problem! Der Deckel der Tausche Tasche kann – na, was wohl? Richtig! – getauscht werden. Reißverschluss auf, neon-pinker Deckel dran, fertig ist die fetzige Variante. Das gleiche funktioniert beim Innenleben: vormittags Geschäftsfrau, nachmittags Mutter? Also mittags den Laptop-Schutz raus aus der Tasche und rein mit dem Einsatz „Rabenvater“, der Fläschchen und Windeln verstaut. Eine geniale Idee? Finden Antje Strubelt und Heiko Braun nicht. Sie sagen: „Das Konzept ist gut durchdacht“.

 

Einfach mieten und loslegen

 

Ein Konzept, das in Prenzlauer Berg entstanden ist. Zu einer Zeit, in der alle im Kiez „unheimlich kreativ“ waren, aber – wie Strubelt und Braun selbst – arbeitslos in alten unsanierten Wohnungen mit Ofenheizung und Klo auf der Treppe an Ideen bastelten. Die beiden entwarfen in der Pappelallee ihre eigenen Möbel, mögliche Produkte und irgendwann auch Tausche Taschen. Davon fertigten sie eine Nullnummer und präsentierten sie in einer Galerie von Freunden in der Knaakstraße.  An einem Tag verkauften sie 30 Exemplare. Der Grundstein zu ihrem eigenen Unternehmen war gelegt.

Fehlten noch: Geld und ein Laden. Ein Kredit kam von der Investitionsbank Berlin. „Die förderten damals Leute, die aus der Arbeitslosigkeit kamen mit einer kleinen Summe, und prüften dafür nur die Idee“, erzählen Strubelt und Braun. Auch ein Laden war schnell gefunden: „Man konnte damals einfach mieten.“ Selbst am Helmholtzplatz, wo die beiden Neu-Unternehmer hinwollten, weil ihnen der bereits sanierte Kollwitzplatz zu teuer war. Die Räume, die sie sich ausgesucht hatten, hatten viele Jahre lang leergestanden, zu DDR-Zeiten war ein Jugendclub drin. „Das passte zu unserem Pioniergefühl“, sagt Braun heute. Und der Preis passte auch: Sechs Euro pro Quadratmeter. Dafür mussten die beiden zwar drei Monate lang alles selbst renovieren, aber auch das passte damals.

 

Alles anders und doch gleich

 

Was sich seitdem geändert hat? „Wir zahlen viel mehr Miete!“, lacht Antje Strubelt. Doch das können sich die Inhaber jetzt leisten. Die Filiale am Helmholtzplatz ist immer noch das Herzstück von Tausche Taschen. Strubelt und Braun stehen zwar nicht mehr selbst hinter der Verkaufstheke, das machen nun mehrere Angestellte. Aber sie führen dort die Geschäfte – und die laufen gut.

Rund 30.000 Deckel pro Jahr verkauft das Unternehmen mittlerweile, ständig sind etwa 200 unterschiedliche Designs für die insgesamt elf Taschengrößen zu haben. Dazu kommen die Taschenkörper, Einsätze, Gurtschoner und so weiter. Und die Nachfrage steigt auch außerhalb Deutschlands. Von den acht Tausche Taschen-Vertragspartnern sitzen drei im Ausland. Der jüngste Laden eröffnete vor zwei Monaten in Seoul. Noch sind die Koreaner etwas skeptisch, aber im japanischen Tokyo kommen die Produkte – die übrigens komplett in Deutschland gefertigt werden – super an. „Aber da ist alles hip, was aus Berlin kommt“, sagt Braun.

 

Nicht mehr so viel Energie

 

Aus Berlin oder aus Prenzlauer Berg? Was den Einfluss ihres Kiezes angeht, sind sich die beiden nicht so sicher. „Vielleicht kommt man in einer anderen Umgebung gar nicht auf so eine Idee, denkt nicht so verspielt und emotional“, meint Antje Strubelt, die in Turnschuhen, Jeans und altrosa Strickpulli an einem alten Küchentisch sitzt. „Man entwirft einfach anders, wenn man dauernd rechnen muss. Und es ist ein Unterschied, ob man ein Unternehmen als BWLer aufzieht oder von Herzen.“

Auch Braun ist überzeugt: „So wie wir das gemacht haben, so ginge das jetzt nicht mehr.“ Er selbst ist mittlerweile weggezogen, nach Moabit. „Das ist hier einfach ein ganz anderer Bezirk als früher: die Preise, die Leute, einfach alles.“ Die jetzigen Bewohner rund um den Helmholtzplatz entsprechen allerdings genau dem Durchschnittskunden bei Tausche Taschen: 34 Jahre alt, überdurchschnittliche Bildung, überdurchschnittliches Einkommen, überdurchschnittlich interessiert und weltoffen.

 

Immer noch normal

 

Das müsste dem Geschäft doch gut tun, denkt man. Stimmt, das müsste es, meinen auch die beiden Inhaber. Am Umsatz des Stammladens habe sich aber nicht viel geändert. Das scheint sie jedoch nicht weiter zu stören. Im Gegenteil. Die Geschäftspartner überlegen immer wieder einmal, ob es nicht langsam Zeit wäre, nicht mehr zu wachsen, sondern sich wieder etwas zu verkleinern, aufs Wesentliche zu konzentrieren, den ein oder anderen Laden, der nicht so gut läuft, wieder abzustoßen.

Eines ist und bleibt den beiden Geschäftsleuten dabei wichtig: dass ihr Unternehmen nicht irgendwo aus dem Boden geschossen ist wie ein Pilz, sondern es langsam gediehen ist. Ja, sie verdienten mittlerweile gutes Geld, mit dem sie ihr Wachstum finanzierten, und Tausche Taschen sei eine Marke geworden. Aber: „Wir leben immer noch ganz normal“.

 

Sie haben den ersten Teil unserer Reihe verpasst? Hier geht es zu unserer Geschichte über „Erdbär – Freche Früchte“ aus der Schönhauser Allee.

 

 

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