Den Osten kosten

von Thomas Trappe 28. November 2011

Im Velodrom präsentierten Firmen aus den neuen Bundesländern ihre Produkte. Ein vollkommen distanzloser Erlebnisbericht. 

Es fehlen eigentlich nur noch die Schlafsäcke. Schon lange vor dem Einlassbeginn um zehn Uhr versammeln sich die Menschen vor dem Velodrom. Halb elf ist es dann schon eine zigfache Masse, die Schlange reicht schätzungsweise 250 Meter, so dass die letzten in der Reihe Kindern beim Schwimmen in der benachbarten Halle zuschauen können. Willkommen beim Ortstermin: Die Ostproduktemesse Ostpro, am gerade vergangenen Wochenende im Velodrom in Prenzlauer Berg.

Am besten, man bringt das jetzt gleich am Anfang hinter sich: All das, was man im Zusammenhang mit Ostprodukten – gemeint sind nach landläufigem Verständnis Produkte aus den fünf jüngeren Bundesländern – eben immer wieder so hört und vielleicht ja auch jetzt erwartet. Also los: Ja, auffällig viele Leute sprechen hier Sächsisch und Thüringisch. Ja, es gibt diese lustigen Eierbecher, die aussehen wie ein Hahn und Sandmannfiguren und sehr viel aus dem Erzgebirge. Und ja, die meisten Menschen hier sind über 60 und es wird das „Neue Deutschland“ verteilt. Ein Setting, das nicht überrascht und schon ganze Journalistenjahrgänge zu lustigen Reportagen verführt hat. Haha, Sandmann, haha, Sächsisch, so etwas in der Art.

 

Im Westen nur Plastik

 

Und man mag versucht sein, den nächsten Text dieser Sorte zu schreiben und entdeckt da diesen Mann und seine Frau, sie sind um die 70, wir bleiben höflich, und man sieht, wie die beiden Gurken und Zucchinis hobeln. Mit einem Gurkenhobel, ein Wort, das, wird es thüringisch ausgesprochen, ein bisschen wie Maschendrahtzaun klingt. Was man aber auch nur lustig findet, wenn man selbst nicht aus Thüringen kommt, und das kann der Autor dieses Textes nun mal nicht von sich behaupten. Man kommt also ins Gespräch und ist bei der Ausweisung der eigenen Herkunft schon nach zwei Sätzen per Du, ungeachtet des Altersabstands von rund zwei Generationen.

Das Ehepaar Günther und Annelies Simon, er in einer gepflegten Wollstrickjacke, sie auch, kommt aus dem ostthüringischen Gera. Vor der Wende arbeitete er als Erzieher, sie hatte „auch einen ordentlichen Job“, will darüber aber jetzt nicht sprechen, sie muss gerade viel vorbereiten. Ursprünglich wurden diese Gurkenhobel, mit denen sie hier hantieren, in Erfurt hergestellt, in der DDR waren sie noch aus Holz. Nach der Wende ging der VEB ein, das Gurkenhobelkonzept blieb aber erhalten; nur werde jetzt in Baden-Württemberg produziert, und zwar aus Plastik. „Holz wird heute eben einfach als zu unhygienisch empfunden“, sagt Annelies Simon. Seit 20 Jahren betreibt das Paar nun schon das Küchenstudio in Gera, vertreibt neben den Hobeln auch noch Gemüseschäler aller Art. Schon mal an Rente gedacht? „Irgendwer muss die Arbeit ja machen“, sagt der Mann und hobelt weiter. 

 

Tatendrang und Stollensucht

 

Ein paar Meter weiter findet sich der Stand der Schmuckwerkstatt Mahlschatz in Tabarz. Die Dame am Stand erzählt von ihrer Chefin, die einst als ABM-Kraft in das zugrundegehende Tabarzer Schmuckgeschäft einstieg und später dann die Firma auf eigene Faust in die Zukunft führte. Heute hat man sechs Angestellte und fokussiert sich auf modernen Schmuck. „Trachtenmode ist durch“, erklärt die Beraterin. 

Eigentlich kann man an jedem zweiten Stand hier in der Halle, es sind rund 150 Unternehmen präsent, solche Geschichten hören. Erzählungen von weggebrochenen Existenzen in den 90ern und dem Mut der Verzweifelten, die dann eben Firmen gründeten oder traditionelle Marken retteten. Geschichten, die man gerne hört, weil sie gut ausgegangen sein müssen, wenn man sich 20 Jahre später auf einer Messe darüber unterhält.

Man lässt sich nun mitziehen, neben sich eine ältere Dame mit gepflegtem Berliner Dialekt, sie ist etwas hektisch und auf der Suche nach dem Annaberger Stollen. Fast erinnert ihre Zielstrebigkeit an anderweitig Interessierte in der Hasenheide. 

 

Keine Unrechtsstaatsdebatte am Spielzeugstand

 

Inzwischen hat es ein Teil der Menge, die man gerade noch vor der Tür bestaunen konnte, in die Halle geschafft, ein Meer aus Kinderaugen in Rentnerköpfen erfüllt die Gänge, und, auffällig, ein Duzen allerorten. Bevor es einem zu wohlig wird, wird es Zeit, ein paar kritische Fragen zu stellen. Es muss ja nicht gleich eine sogenannte Unrechtsstaatsdebatte rauskommen. 

Für ein wenig Reflektion eignet sich dieser Spielzeugstand, der zu bieten hat: Spielwaren aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Konstruktionsbau, Wackelhunde, Biegepuppen, ein Kasperletheater. Und hier drängt sich nun mal die Frage auf, was um Gottes Willen denn außerhalb des Spielzeugs der gemeinsame Nenner ist? Hat man doch wenig Erkenntnisse über eine gemeinsame Spielzeugtradition, die diese drei Länder verbindet. „Nein, eine gemeinsame Tradition gibt es sicher nicht“, sagt die Chefin. Aber es funktioniere eben. Schachmatt.

 

Endloses Waffelglück

 

Reiner Carsten ist Chef des „Ostpakets“ am Alexanderplatz, an seinem Stand ist das Gedrängel fast so groß wie vor der Halle. Auch er setzt auf das Qualitätskriterium Ost, und das mit großem Erfolg. Zu seinen Kunden zählen vor allem ältere Ostdeutsche, die auf das setzen, was sie kennen. „Ost-Produkte sind praktisch, sie haben Qualität“, sagt er. Dann erzählt er noch, dass die Eierbecher, die aussehen wie ein Gockel, Kult seien, was natürlich nicht stimmt, sie sehen einfach nur sehr lustig aus.

Ihm falle auf, sagt Carsten, dass in letzter Zeit immer mehr Naturliebhaber und ökologisch Bewusste seine Produkte kaufen. Und dann natürlich die Touristen und Westberliner. Und schon fällt einem ein, dass man noch gar nicht die lustigen Ampelmännchen-Figuren erwähnt hat. Hat man hiermit.

Zum Schluss einen Rondo-Kaffee am Rondostand und schließlich ein Erlebnis nahe an einer Marienerscheinung. Am Stand gegenüber werden Waffeln verkauft, und das lässt die Hoffnung keimen, gefunden zu haben, wonach man seit rund 22 Jahren sucht. Die Hoffnung bestätigt sich und mündet in einer Einkaufstüte voller Waffelteigmischungen. Und man dachte schon, so etwas gibt es heute nicht mehr.

Disclosure: Dieser Text wurde unter dem Einfluss köstlicher Waffelbällchen mit Ziegenkäsefüllung aus Sachsen verfasst. 

 

 

NEWSLETTER: Damit unsere Leserinnen und Leser auf dem Laufenden bleiben, gibt es unseren wöchentlichen Newsletter. Folgen Sie uns und melden Sie sich hier an!

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar