Bücherei fordert Flashmob zur Ausleihe

von Thomas Trappe 17. Juni 2013

Die Tucholsky-Bibliothek soll Bücher aussortieren. Das bringt sie in Existenznot. Sie ruft die Leser deshalb zur Hilfe. Der Bibliotheksverband weiß nicht, was das soll.

Es ist Schicksal der ganz Großen der deutschen Klassik, zwar ein literarischer Überbegriff zu sein, gleichzeitig aber eher als Dekoration im pflichtbewusst sortieren Bücherregal zu dienen denn als wahrhaftiger Lesestoff. Goethe, Schiller et al. begegnen den meisten in der Schule, und wie es mit Schulbekanntschaften so ist, sie überleben nur selten das Teenager-Alter. Nichts, was man beklagen muss, die Jetztzeit bietet ja genügend gute Literatur. Auch die Betreiber der ehrenamtlichen Kurt-Tucholsky-Bibliothek könnten wohl mit dem Umstand, dass einige ihrer Bücher eher selten entliehen werden, irgendwie umgehen. Wenn nicht Besuch vom Amt drohte, und zwar am Mittwoch. Der nämlich will Goethe und Schiller, und viele andere Alte, aussortieren. Im besten Fall droht der Flohmarkt, im schlimmsten die Altpapiersammlung.

Dieses Ungemach jedenfalls sieht die Bibliothek in der Esmarchstraße gerade akut auf sich zukommen. Es geht dabei um eine amtliche Quote, die es nötig mache, jährlich 15 Prozent der aktuell 24.000 Bücher im Haus auszusortieren, teilten sie mit. Die Quote gelte für alle öffentlich geförderten Bibliotheken, damit soll dafür gesorgt werden, dass veraltete Angebote aktualisiert werden. Für diesen  Mittwoch hätten sich, so heißt es in der Mitteilung, vier Bibliothekare des bezirklichen Kulturamts angesagt, um diesen Prozess in der Tucholsky-Bibliothek zu begleiten. Mindestens 3.600 Bücher sollen raus, vielleicht auch wesentlich mehr. Das Problem: Es ist kein Geld für Neuanschaffungen vorhanden. Deshalb setzen die Bibliotheksbetreiber vom Verein „Pro Kiez Bötzowviertel“ nun alles daran, die Aussortierung zu torpedieren.

 

Service: Entliehene Bücher müssen nicht mitgenommen werden

 

Dafür werden Förderer und Freunde der Bibliothek aufgefordert, bis Mittwoch massenhaft Bücher auszuleihen, die normalerweise keine Aufmerksamkeit finden und damit in das Visier der amtlichen Bibliothekare geraten könnten. Es geht um Klassiker (zum Beispiel Goethe, Hesse, Böll), internationale Belletristik (Roth, Auster, Camus), des weiteren Lyrik, Sagen, Epen etcetra. Pro Nutzer, so der Hinweis, könnten 60 Bücher ausgeliehen werden. Jede Entleihe sei die Rettung für ein Buch. Denn aussortiert werden könnten „nur vorhandene Bücher, solche, die längere Zeit nicht ausgeliehen wurden“. Die Bibliothek bietet auch an, die entliehenen Bücher zu lagern. So sparen sich die Entleiher die dann ja doch oft lästige Mitnahme der zu rettenden Kulturgüter.

Uta Egerer, stellvertretende Vorsitzende, wollte eigentlich nicht, dass der Aufruf öffentlich wird – er wurde aber anscheinend versehentlich auf der Homepage des Pro-Bötzowkiez-Vereins gepostet. Gegenüber dieser Zeitung erklärte Egerer, dass das Geld des Vereins gerade einmal dafür ausreiche, 500 neue Bücher anzuschaffen. Bei der Aussortierung am Mittwoch sollen aber nicht nur die genannten 3.600 Bücher, sondern eventuell auch 6.000 weitere mitgenommen werden, da in den vergangenen beiden Jahren die Quote nicht erfüllt wurde. Der Verein habe in Briefen an das Pankower Kulturamt schon um „Aufschub“ gebeten. Erfolglos. „Ich will nicht bestreiten, dass Bücher inhaltlich wie auch äußerlich verschleißen und erneuert werden müssen“, sagte Egerer. „Unsere Bibliothek bringt das aber in existenzielle Not.“ 

 

Verbund kennt gar keine Quote 

 

Der Druck auf die Tucholsky-Bibliothek sei groß, so Egerer. Würde man sich den amtlichen Vorgaben verweigern, drohe die Abkopplung vom öffentlichen Bibliotheksnetz. Die Tucholsky-Bücherei ist Mitglied des Verbunds der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin (VÖBB). Das ermöglicht es einerseits, dass Nutzer in ganz Berlin auf den Bestand in der Esmarchstraße zurückgreifen können. Und, wohl weit wichtiger, dass die hiesigen Nutzer in ganz Berlin bestellen können. „Setzen wir die Vorgaben nicht um, droht der Ausschluss aus dem Verbund“, sagt Egerer. Allerdings: Sie irrt. Beate Herbst, Leiterin des VÖBB, erklärt auf Anfrage, dass es definitiv keine Erneuerungs- und Aussortierungsvorgabe seitens des Verbunds gebe. „Das liegt allein im Ermessen der Bezirke. Wir haben da nicht mal eine Richtlinienkompetenz.“ Das heißt, dass die Tucholsky-Bibliothek auch im Verbund bliebe, wenn keine Bücher aussortiert würden. 

Nachfrage beim Bezirk. Dort erklärt der fürs Kulturamt zuständige Stadtrat Torsten Kühne (CDU), dass er Verständnis für die Aktion der Tucholsky-Bibliothek habe. Er verwies aber seinerseits auf den VÖBB. „Dort gibt es nun mal einheitliche Qualitätskriterien“, sagte er. „Wenn wir uns an die als Bezirk nicht halten, droht dort der Ausschluss. Und damit auch der Wegfall der Landeszuschüsse.“ Auch ihm sei daran gelegen, dass die Tucholsky-Bibliothek nicht über Gebühr belastet wird. „Darum wollen wir jetzt schauen, welche Spielräume es gibt.“ Sollten Bücher aussortiert werden, würden die wahrscheinlich als bezirklicher Besitz als Gebrauchtgüter verbraucht. Oder, wenn das nicht möglich ist, vernichtet.

 

 

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