Schule paradox in Prenzlauer Berg: Aus Angst vor einer Ablehnung haben viele Eltern in diesem Jahr ihre Kinder nicht an Vorzeigegymnasien angemeldet.
Gert Blach ist Schulleiter des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in der Dunckerstraße. Die Schule hat einen guten Ruf, wie man so sagt, hier werden vor allem Mathematik und Naturwissenschaften gelehrt. Mit seiner Schule hatte Blach Besonderes vor. Gemeinsam mit anderen Lehrern hatte er einen Test für künftige Siebtklässler entworfen. 20 Fragen sollten sie beantworten, Allgemeinwissen, logisches Denken und mathematische Grundkenntnisse. Denn es war immer so, dass mehr Schüler auf die Kollwitz-Schule wollten, als es dort Plätze gab.
Aber jetzt das. Auf der Homepage seiner Schule teilte Blach am Freitag, Punkt 16 Uhr, mit: „Liebe Eltern, der Aufnahmetest für die künftigen 7. Klassen, der im Falle einer Übernachfrage für unsere Schule für diesen Sonnabend angesetzt war, findet nicht statt. Es haben sich nicht mehr Schülerinnen und Schüler angemeldet als Plätze zur Verfügung stehen.“ Blach hatte mit einem ganz anderen Szenario gerechnet – und mit ihm die meisten Eltern. Das neue Aufnahmeverfahren für die Oberschulen war auch ein psychologisches Experiment. Und es zeigt: Der Mensch setzt nicht auf das größte Risiko, sondern wählt den Mittelweg, er entscheidet sich für Sicherheit.
„Ich hätte nicht gedacht, dass der Menschenverstand ausgeschaltet wird“
„Es gab eine große Verunsicherung unter den Eltern“, meint Blach. Am späten Nachmittag, eine Stunde vor Anmeldeschluss, hat er rund 80 Anmeldungen auf dem Tisch, für 96 Plätze. Mit mehr als doppelt so vielen Anfragen hatte er gerechnet. „Viele Eltern haben offensichtlich eine taktische Entscheidung getroffen“, erklärt sich der Schulleiter die Bewerberflaute. „Sie haben sich woanders beworben, weil sie Angst hatten, keinen Platz zu bekommen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Verunsicherung so groß ist, dass der Menschenverstand ausgeschaltet wird.“
Für seine Schule allerdings fällt die Bilanz nicht schlecht aus. Die Angst der Eltern vor einer Ablehnung führt nun dazu, dass die Kollwitz-Schule fast nur Schüler mit sehr guten Notenschnitten aufnehmen wird. Zwei Drittel der künftigen Schüler hätten in ihren Grundschulzeugnissen eine Eins vor dem Komma, sagt Blach. „Das wird für uns kein Nachteil sein.“
Die Schulstadträtin berichtet von einer entspannten Lage
Eine S-Bahn-Station weiter nach Osten gibt es eine Schule, deren Ruf bis jetzt gar nicht so herausragend war, wie es eine Mutter ausdrückt. Peter Stock, der Schulleiter, klingt zufrieden. 165 Schüler hatten sich bis Freitagnachmittag für die 128 Plätze auf dem Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasium beworben. Dass seine Schule mehr Bewerber als Plätze habe, führt Stock auf mehrere Faktoren zurück. Seine Schule habe ihr Profil – ein musisch-künstlerisches – geschärft und in den vergangenen Monaten eng mit den umliegenden Grundschulen kooperiert. Einen Test wird es nicht geben, stattdessen wurden bei der Bewerbung schriftliche Nachweise über ein Engagement in Orchestern oder den Besuch der Musikschule verlangt. Knapp 40 Bewerbern für das Gymnasium wird der Bezirk nun absagen müssen.
Beide Schulleiter betonen, dass sie das neue Auswahlverfahren, das im Vorfeld stark kritisiert worden war, immer noch für richtig halten. „Das Kriterium der Schulweglänge laut BVG-Auskunft war nicht mehr vermittelbar“, sagt Blach. Jetzt gehe es transparenter zu. Pankows Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) pflichtet ihm bei: „Ich stehe voll und ganz hinter dem neuen Verfahren.“ Am Nachmittag berichtet sie von einer entspannten Lage an den Schulen und auch davon, dass sich tatsächlich ein leichter Trend weg von den begehrten Gymnasium zeige.
Die neuen Sekundarschulen profitieren
Davon scheinen auch die neu eingeführten Integrierten Sekundarschulen zu profitieren, die ein Abitur nach 13 Jahren anbieten – statt 12 Jahren beim Gymnasium. Und die Klassen sind dort kleiner. Während früher das Verhältnis der Bewerber bei 53:47 zugunsten des Gymnasiums gelegen habe, stehe es in diesem Jahr 50:50. „Viele Eltern haben wohl um drei Ecken gedacht“, vermutet die Stadträtin. „Und es gab natürlich Unsicherheiten wegen des Verfahrens. Aber das lässt sich bei Dingen, die man ändert, am Anfang nicht verhindern“, sagt sie.
Und niemand weiß, wie sich die Eltern im nächsten Jahr verhalten werden, mit den Erfahrungen von 2011 im Kopf. „Wir werden auf jeden Fall wieder mehr Bewerber bekommen“ – da ist sich Schulleiter Blach sicher.