Ein Seemann in der Metzer Straße

von Brigitte Preissler 13. Dezember 2010

Wie der gesamte Prenzlauer Berg hat sich auch die hier ansässige Kulturszene stark verändert. Die Serie „Vom Samisdat zu Suhrkamp“ zeichnet die Entwicklungen nach. Heute Teil 1.

 Als Kreativenkiez ist Prenzlauer Berg legendär: Bereits zu Vorwendezeiten siedelten sich hier viele Künstler und Literaten an, vom schwachen Abglanz damaliger Zeiten zehrt das Viertel bis heute. Doch wie der gesamte Kiez hat sich auch die hier ansässige Kulturszene seit der Wende stark verändert. Alteingesessene Institutionen machten dicht, jüngere Autoren, Maler, Galeristen, Verleger, Musiker, Fotografen und Comiczeichner siedelten sich an. Viele von ihnen sind auch im Ausland erfolgreich – die Lokalkultur gewann an internationaler Ausstrahlung. Doch Gentrifizierung, verbunden mit einer speziellen Ost-West-Thematik, ist auch in der Kultur ein Thema. Die Prenzlauer Berg Nachrichten begleiten diese Veränderungen kritisch; im Rahmen einer Artikelserie werden wir in den kommenden Wochen den anhaltenden Wandel der Kulturszene in Prenzlauer Berg nachvollziehen.

 

Ein Seemann in der Metzer Straße

Es ist kurz nach vier, die Kneipe heißt „Rumbalotte continua“ und ihr Inhaber, Bert Papenfuß-Gorek, macht sich ein Bier auf. Wir wissen nicht, ob es sein erstes ist, und wir wissen auch nicht, wie viele Zigaretten er an diesem Tag schon geraucht hat. Wir sehen nur sein Camouflage-Shirt. Die speckige Lederweste, die er darüber trägt, die vielen dicken Silberringe an seinen Händen. Einen wie ihn würde man eher in Kreuzberg erwarten als hier, in der Metzer Straße, unweit des Kollwitzplatzes. Eigentlich sieht Bert Papenfuß genau so aus, wie man sich den Seemann vorstellt – aus dem uralten, ziemlich obzönen Witz, den er gerade erzählt.

___STEADY_PAYWALL___

„Ein Seemann, tätowiert am ganzen Körper, liegt im Krankenhaus. Zwei Krankenschwestern versorgen ihn – mit Waschen und allem Drum und Dran. In einer Pause unterhalten sie sich. ‚Hast Du die Tätowierung auf seinem Schwanz gesehen?‘, sagt die eine. ‚Da steht ‚Rumbalotte‘.‘ Entgegnet die andere: ‚Also wenn ich ihn wasche, steht da: ‚Ruhm und Ehre der baltischen Rotbannerflotte‘.“

Bierchen, Kippen, Herrenwitze – das ist doch mal ein Statement, das ist Distinktion. Unangepasst und unkommerziell soll auch das Programm der neuen „Kulturspelunke“ sein, im September hat sie eröffnet. Bert Papenfuß gehörte einst zu den Mitbegründern des „Kaffee Burger“ in der Torstraße, doch seit 2009 ist er nicht mehr dabei. Es habe sich ziemlich verändert seit der Gründung 1991, meint er. Auf die vielen Touristen, die dort jetzt ein- und ausgehen, hat er keine Lust mehr.

Nun also die „Rumbalotte“, eine Raucherkneipe. Lesungen, Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen „und andere Sperenzchen“ finden hier statt, Autoren wie Ann Cotten oder Johannes Jansen haben bereits hier gelesen. In der kneipeneigenen Buchhandlung gibt es Werke aus Kleinverlagen – alles „sozial relevante, politisch engagierte Bücher jenseits des Mainstream,“ erklärt Papenfuß. Da sind zum Beispiel die Untergrundliteraten Jürgen Ploog oder Jörg Burkhard vertreten. Und viele Autoren, die einmal in Prenzlauer Berg lebten oder noch immer hier wohnen. Peter Wawerzinek zum Beispiel. Und Papenfuß selbst. Der Lyriker und Schriftsteller gehörte zur so genannten „Prenzlauer Berg-Connection“, also der legendären Künstlerszene in Prenzlauer Berg der 80er Jahre; im letzten Jahrzehnt der DDR galt seine Poetik vielen jungen Schreibenden als beispielgebend.  

„Eigentlich müsste es nicht ‚Prenzlauer Berg-Connection‘, sondern ‚Friedrichshain-Connection‘ heißen“, sagt Papenfuß und nimmt einen Schluck Bier. Der von Adolf Endler geprägte Begriff sei streng genommen falsch, er selbst sei schließlich erst 1985 nach Prenzlauer Berg gekommen. Und auch andere Künstler der damaligen Szene – etwa Stefan Döring, Lutz Rathenow oder Thomas Rösler – hätten zunächst in Friedrichshain gewohnt.

Doch es war dann eben doch vor allem der damals völlig heruntergekommene Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg, der sich in den 80er Jahren zu einem Sammelbecken junger Künstler und Literaten entwickelte. Sie waren nicht einverstanden mit dem Staat, in dem sie lebten; mit ihren Werken und durch ihre Lebensweise begehrten sie gegen die ästhetische Doktrin des Sozialistischen Realismus auf. Sie arbeiteten als Friedhofsgärtner wie Wolfgang Hegewald, als Reinigungskraft wie Christa Moog oder, wie Andreas Koziol, als Heizer oder Totengräber. Nicht immer, aber oft taten sie das, weil sie kein Interesse daran hatten, mit ihrer Arbeitskraft zum industriellen Wachstum und der Produktivität der DDR beizutragen. Von der offiziellen Ordnung, ihren Institutionen und ihrer Sprache hielten sie sich fern und bildeten lieber eigene Netzwerke und Zirkel. Man traf sich in Keramikwerkstätten, WG-Hinterzimmern, Ateliers oder heruntergekommenen Altbauwohnungen. Ausgeschlossen vom offiziellen Buch- und Kunstmarkt der DDR, schufen sich diese Autoren und Künstler ihre eigenen Medien und Verbreitungsmöglichkeiten, schnitten selbst Lesungen mit, fotografierten Auftritte und Zusammenkünfte oder gründeten autonome Zeitschriften wie „Ariadnefabrik“ oder „Mikado“, deren Kleinstauflagen von Hand zu Hand weitergegeben wurden. Es war eine Gegenöffentlichkeit, eine Subkultur, innerhalb derer Punks, Dichter, Fotografen und Maler eng zusammenarbeiteten und viele gemeinsame Werke schufen. Autoren integrierten ihre Texte in bildkünstlerische Arbeiten, es entstanden handgefertigte Maler-Dichter-Bücher. Denn nach dem Künstler-Honorargesetz von 1971 durften selbst viele nonkonforme bildende Künstler ihre Arbeiten bis zu einer Auflage von 99 Exemplaren zensurfrei publizieren. Schriftsteller dagegen hatten diese Möglichkeit oft nicht – und suchten daher bei der Kunst Unterschlupf. Oder sie veröffentlichten gleich im Westen: Eine der wichtigsten Anthologien dieser Zeit hieß „Berührung ist nur eine Randerscheinung.“ Sie erschien, herausgegeben von Elke Erb und Sascha Anderson, bei Kiepenheuer & Witsch in Köln. Spielerisch zerlegten Schriftsteller wie Jan Faktor, Uwe Kolbe und Rainer Schedlinski die zum bloßen Ideologie-Transportmittel verkommene Sprache und setzten sie neu zusammen. Der dichterische Ausdruck ging in Opposition zu den verbrauchten, phrasenhaften Floskeln der Macht.

Prenzlauer Berg: Das war, wie Ingrid und Klaus-Dieter Hähnel damals in den „Weimarer Beiträgen“ schrieben, keine Wohngegend. Es war eine Haltung.

 

Hier geht es weiter mit Teil 2 der Serie: „Das weiß doch keiner mehr, wie das hier noch vor zwanzig Jahren ausgesehen hat.“ 

 

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar