Die letzte Kommune

von Juliane Schader 5. Juni 2012

In der Malmöer Straße entsteht ein alternatives Hausprojekt – trotz Gentrifizierung. Ein Besuch bei den zukünfigen Kommunarden zwischen S-Bahn-Ring und BSR-Hof.

Wenn es das Gegenteil eines Filetgrundstückes gibt, dann ist es wohl das an der Malmöer Straße 29. An der südlichen Seite rattert im Minutentakt die Ringbahn an dem 800 Quadratmeter großen Areal vorbei, im Westen liegen der Recyclinghof der BSR und im Norden Garagen. Nur im Osten bleibt es ruhig, denn die Malmöer Straße, die dort direkt auf die Dänenstraße stößt, ist wohl eine der ruhigsten Straßen des Prenzlauer Bergs. Früher war in diesem Winkel, kurz vor der Mauer, die Welt zu Ende. Heute siedelt dort eins der letzten alternativen Projekte im einstigen Kiez der Hausbesetzer.

„Sie verlassen den Sektor der Spekulation“ steht auf dem orangenen Transparent, das den Dachfirst des Rohbaus ziert. So kann man schon von Weitem sehen, dass hier kein neues Luxusquartier entsteht, sondern eine Baugruppe von 15 politisch Aktiven und ihren Kindern, alle zwischen einem halben und 40 Jahre alt, ein Hausprojekt realisiert. Am 1. August wollen sie ihre Riesen-Wohngemeinschaft in Betrieb nehmen.

 

Auch alternativer Hausbau ist stressig

 

„Der Kern kennt sich aus zwei WGs und verfolgt schon seit Jahren den Plan, gemeinsam ein Haus zu beziehen“, erzählt Dirk. Der 32-jährige Chemiker, der seinen kompletten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, ist vor zwei Jahren zu der Gruppe gestoßen. An diesem sonnigen Tag ist er mit einigen seiner zukünftigen Mitbewohner auf die Baustelle gekommen, um sich mal wieder selbst ein Bild vom Baufortschritt zu machen. „Der Vorteil eines Neubaus ist, dass man Dinge wie die Raumaufteilung mitbestimmen kann“, meint Dirk. „Dafür hat man aber auch verdammt viel Stress.“

Eigentlich hätte die Gruppe lieber ein fertiges Haus bezogen. Doch in direkter Konkurrenz mit anderen Kaufinteressenten kam sie nie zum Zug, da bei ihr die Finanzierung etwas komplizierter ist. Denn anders als andere Baugruppen sind es nicht die zukünftigen Bewohner, die Eigenkapital einbringen. Statt dessen kommt die Hälfte des Geldes vom Miethäuser-Syndikat, einem Verbund von über 60 Hausprojekten in ganz Deutschland. Der Rest stammt zu einem Viertel von der Bank, zu einem Viertel aus Direktkrediten, die Privatpersonen zu einem günstigen Zinssatz gewähren. Durch diese Konstruktion wurde die eine Million Euro aufgetrieben, die Grundstück und Hausbau insgesamt kostet. „In 35 Jahren haben wir die Kredite abbezahlt“, meint Dirk. Danach fließen die Überschüsse in die Instandhaltung des Hauses oder andere Projekte des Syndikats, an das schon jetzt ein Soli gezahlt wird.

 

Trennkost für Vegetarier und Fleischfreunde

 

Dirk, dem man mit seinen schulterlangen Haaren, den Treckingsandalen und der kurzen Hose den WG-Typ ganz gut abnimmt, turnt durch den Rohbau. „Hier im Obergeschoss entstehen eine große Wohnküche, eine Terrasse, ein Projektraum und unsere Kneipe“, erzählt er. Noch sieht man zwar nur Pressspan und Beton, doch mit ein bisschen Fantasie kann man sich vorstellen, wie hier schon bald am großen Küchentisch Berge von Spagetti vernichtet werden. „Die Kneipe soll unserer Aufenthaltsraum werden, in dem man auch rauchen und Bier trinken darf“, erklärt Dirk. Der Projektraum soll auch Gruppen aus der Nachbarschaft offen stehen, denen bislang ein Ort fehlt, wo sie sich treffen können.

In den unteren Geschossen werden 20 gleich große Zimmer sowie mehrere Bäder und weitere Küchen untergebracht. „Während die große Küche vegetarisch bleiben soll, darf in den kleinen auch Fleisch auf den Herd kommen“, meint Dirk. Darauf habe man sich nach einigen Diskussionen im Plenum geeinigt. Seit zwei Jahren tagt es einmal in der Woche; von der Raumaufteilung über die Wandfarbe bis zur Organisation des Klopapier-Nachschubs wird dort alles diskutiert: „Bei uns funktioniert alles nach dem Konsensprinzip. Es wird so lange geredet, bis eine Lösung für alle gefunden ist.“

Die Pflicht zum Konsens bei 15 Erwachsenen – das klingt nicht nur anstrengend, für manche war es das auch. Daher hat es in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Wechsel in der Gruppe gegeben. Der harte Kern ist dafür im Laufe dieser Zeit umso stärker zusammengewachsen. So traut er sich nun zu, nicht nur auf engem Raum mit viel gemeinsam genutzter Fläche gut zusammenleben zu können. Sondern auch, die größten Probleme des WG-Lebens gemeinsam zu meistern.

 

Konfliktherd Gemeinschaftskasse

 

Ob es das rechtzeitige Nachkaufen von Spülmittel, unterschiedliche Putztechniken oder das Plündern des Kühlschranks ist, Konfliktpotential bietet schon die kleinste WG. Für die zukünftigen Bewohner der Malmöer Straße 29 kein Grund, sich nicht trotzdem auf die Extremform des Zusammenlebens einzulassen: Essen wird immer gemeinsam gekauft, ebenso wie Klopapier und Waschmittel. „Wir wollen keine Kühlschränke, in denen auf jedem Joghurt ein Name steht“, meint Dirk. Da man sich in der Gruppe ziemlich einig sei, dass viel Bio und Regionales auf den Tisch kommen solle, und dass Fleischesser mehr in die WG-Kasse zahlen müssten als Vegetarier, ist er guter Dinge, dass die typische Form des WG-Knatsches vermieden werden könne. „Wir haben alle WG-Erfahrung und wissen, worauf wir uns einlassen.“

Auch finanziell ist ihr neues Domizil recht berechenbar: 300 Euro Warmmiete wird pro 16-Quadratmeter-Zimmer fällig: „Manch einer fand das für ein WG-Zimmer zu teuer. Aber dafür garantieren wir, dass die Miete dauerhaft nicht steigt“, so Dirk. Schließlich hat der Bauherr, eine eigene GmbH mit dem Syndikat und den Mietern als Gesellschafter, kein Interesse an Gewinnen. Vielmehr ist es das erklärte Ziel, dem Immobilienmarkt Spekulationsobjekte zu entziehen.

In Prenzlauer Berg, wo die Preise in den vergangenen Jahren explodiert sind, ist das Hausprojekt damit im Auge des Sturms gelandet. „Als uns das Grundstück hier angeboten wurde, gab es schon Vorurteile“, erzählt Dirk. Seine zukünftigen Mitbewohner, die derzeit über ganz Berlin verteilt wohnen, hatten keine Lust auf Gentrifizierung. Aber mittlerweile sei man ganz gut angekommen in der Nachbarschaft. „Beim Richtfest vor einigen Wochen haben wir auch einige unserer zukünftigen Nachbarn kennengelernt. Die sind uns und unserem Projekt gegenüber sehr aufgeschlossen.“ So verspießert, wie gerne behauptet wird, ist der einst so alternative Kiez also doch noch nicht.

 

Wir stoppen Euch bevor ihr die Ringbahn stoppt

 

Dennoch ticken die Uhren mittlerweile etwas anders, wie auch die Gruppe im vergangenen Sommer erfahren musste, als das Bezirksamt kurz vor Baubeginn einen Baustopp verhängte. Bevor nicht ein Lärmschutzgutachten vorliege, ginge es nicht weiter, hieß es. Nach all den Fällen, in denen Neu-Hinzugezogene alteingesessene Clubs aus Lärmgründen wegklagten, wollte man vorbeugen. Schließlich ist es auf dem Grundstück zwischen S-Bahn und BSR nie wirklich ruhig. Doch nachdem bewiesen war, dass Schallschutzfenster und Dämmung vorgesehen waren, durften die Bagger endlich rollen. Den ganzen Winter über wurde gebaut, nun fehlt nur noch der Innenausbau.

„Wo es geht, legen wir selbst Hand an – schon allein, um Geld zu sparen“, erklärt Dirk. Aus diesen Gründen gibt es auch keinen Keller, und statt komplizierter Spezialanfertigungen wurde beim Bau vor allem auf Fertigelemente gesetzt. Auch die Einrichtung wird, wie es sich in einer WG gehört, aus den Möbeln zusammengestückelt, die jeder mitbringt. Nur bei der Ökologie hat man nicht gespart: In einem Abstellraum im Erdgeschoss steht ein kleines Blockheizkraftwerk, welches das Haus mit Strom, warmem Wasser und Heizung versorgt. Eine gute Dämmung garantiert, dass die Wärme auch im Haus bleibt. Der Strom, der nicht von den Bewohnern selbst gebraucht wird, wird ins Netz eingespeist.

 

Das Gegenteil von Zweck-WG

 

Derzeit ist die Gruppe der 15 damit beschäftigt, noch die letzten fünf Mitbewohner für ihre Gemeinschaft zu casten. Anders als in normalen WGs, wo man sich nach einer halben Stunde bei Kaffee und Keksen am Küchentisch entscheiden muss, ob man miteinander kann, wird der Auswahlprozess ein wenig in die Länge gezogen. 20 Mitbewohner unterschiedlichsten Alters und Herkunft und eine gemeinsame Einkaufsliste erfordern eben etwas mehr Sympathie als eine Dreier-Zweck-WG. „Wir gehen aber davon aus, dass wir unter den aktuellen Bewerbern fündig werden“, meint Dirk. Neue Interessenten suchten sie derzeit nicht.

Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass in der Malmöer Straße 29 auch irgendwann mal wieder ein Zimmer frei wird. Denn da kein Eigenkapital eingebracht wurde, ist das Ausziehen aus der WG einfacher als das Ausscheiden aus einer klassischen Baugruppe. Dirk freut sich aber erstmal darauf, dass die Mitglieder der Gruppe, die er seit zwei Jahren immer nur beim Plenum trifft, in Zukunft neben ihm am Frühstückstisch sitzen. „Und wenn man mal seine Ruhe will, kann man in sein Zimmer gehen und die Tür zu machen.“ Typisch WG eben. 

 

 

 

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