Die Gespräche zwischen den Grünen in Prenzlauer Berg und Aktivisten gegen den Umbau der Kastanienallee standen kurz vor dem Scheitern. Ein Kompromiss scheint kaum möglich.
„Wir waren schon mal weiter“, sagte die Fraktionschefin der Grünen in der BVV, Stefanie Remlinger, nach etwa eineinhalb Stunden. Und tatsächlich ist es wohl nur ihrer Geduld und dem Gespür für den richtigen Zeitpunkt einer Zigarettenpause zu verdanken, dass die Schlichtungsgespräche in Sachen Kastanienallee überhaupt weitergehen. Zur zweiten Runde der Gespräche hatte sich am Donnerstagabend ein knappes Dutzend Bürger in der Geschäftsstelle der Grünen in der Pappelallee eingefunden. Moderiert wurde die Runde von Heiner Funken vom Bürgerverein Gleimviertel. Das veranlasste einen der Beteiligten zu der Bemerkung, er wolle nur noch von einem Heiner moderiert werden, egal wie er nun heiße. Auch ohne diese Parallele wäre der Vergleich zur Schlichtung von Stuttgart 21 nicht abwegig gewesen.
Funken ließ es bei seiner Rolle als Moderator an demonstrativer Strenge nicht fehlen. „Wir haben unsere Stacheligkeiten miteinander ausgetragen“, belehrte er die Runde, als zum wiederholten Mal betont wurde, das vom Bezirksamt so genannte Bürgerbeteiligungsverfahren sei gar keines gewesen. Begonnen hatten die Gespräche mit einem bemerkenswerten Eingeständnis von Stadtrat Kirchner, der einräumte, dass der „Kommunikationsprozess mit den Bürgern“ ab einem bestimmten Zeitpunkt „abgebrochen“ sei. Kirchner präsentierte zusammen mit Jörg Beuge vom Tiefbauamt Pankow erneut die offiziellen Pläne – auf denen nicht nur die geplanten Parkbuchten, sondern als dünner schwarzer Strich auch der alte Verlauf des Bordsteins eingezeichnet ist.
Um diese eine Linie geht es, um den wilhelminischen Bordstein, der laut Tiefbauexperte Beuge alles andere als zeitgenössische Geometrie darstellt. So schwankt der Abstand vom Gehweg zur Mitte der Kastanienallee seinen Angaben nach um einige Zentimeter, abhängig davon, vor welchen Haus man gerade steht. Der Bordstein ist die Demarkationslinie – das musste irgendwann auch Jens-Holger Kirchner einsehen, der mit seinem Angebot, einen Teil der geplanten Parkbuchten zu streichen, wohl auf mehr Kompromissbereitschaft bei den Bürgern gehofft hatte.
Doch mit den Parkbuchten können sich die Vertreter der Bürgerinitiativen auch nach mehr als zwei Stunden überhaupt nicht anfreunden, und so rückte der Plan des Aktivisten Frank Möller in den Mittelpunkt. Möller konnte an der Sitzung nicht teilnehmen und wurde per Skype von seinem Aufenthaltsort in Australien aus zugeschaltet. Möller möchte auf Parkbuchten verzichten und stattdessen den Bürgersteig auf drei Zentimeter absenken. „Das würde der Straße ein anderes Raumgefühl geben“, konstatierte er aus Sydney. Doch Möller wird augenscheinlich zwar als Experte geachtet, seine Pläne, die Kastanienallee auf ein einheitliches Niveau abzusenken, stießen bei den übrigen Aktivisten aber nur auf verhaltene Gegenliebe. Stadtrat Kirchner betonte, er müsse über diesen Vorschlag noch einmal „eine Nacht schlafen“. Schließlich sei es zum Beispiel unklar, wie Blinde zurechtkämen, wenn der Bürgersteig durchgehend abgesenkt würde.
Ein Bild einer Dresdener Straße, das vom grünen Bezirksverordneten Cornelius Bechtler zur Anschauung präsentiert wurde, brachte den Unmut der anwesenden Aktivisten schließlich auf den Punkt. „Man kann die Kastanienallee doch nicht mit irgendeiner anderen Straße vergleichen“, entgegnete Sebastian Mücke von der BI Kastanienallee. „Warum gilt die Kastanienallee als Kreativlabor Europas? Doch nicht wegen der Ämter“, sagte er an die Adresse Kirchners.
Auch wenn die Grünen und mit ihnen der Stadtrat nun den protestierenden Bürgern entgegenkommen wollen – an diesem Abend wurde vielleicht zum ersten Mal klar, warum ein klassischer Kompromiss unmöglich ist. Die Haltestellenkaps, vorgezogene Gehwegkanten, die das Einsteigen in die Straßenbahn erleichtern, erklärte Kirchner für nicht verhandelbar. Damit wird die Kastanienallee auf jeden Fall ihr Aussehen verändern. Und es werden die berühmten Sachzwänge geschaffen, an deren Ende wohl genormte Parktaschen steht.
Es ist keine einfache Situation – vor allem für die Grünen, und die Bemerkung von Stefanie Remlinger, das nächste Treffen solle nach Möglichkeit nicht wieder im Grünen-Büro stattfinden, lässt vermuten, dass die Partei einen Erfolg der Schlichtung keineswegs für gesichert hält. Tatsächlich sind sich grüne Bezirkspolitiker und interessierte Bürger in der Sache nicht nähergekommen. Remlinger deutete am Donnerstag bereits an, die Grünen würden einem Bürgerbegehren zu einem Stopp des Umbaus gelassen entgegensehen. Gegen den Vorwurf, sie hätten es nicht noch einmal versucht, werden sich die Grünen dann wohl zur Wehr zu setzen wissen.
Das nächste Treffen der Runde soll am 20. Dezember stattfinden, voraussichtlich in der GLS-Sprachenschule, Kastanienallee 82.