In Cornelius Schwalms „Penthesilea“-Inszenierung im Theater unterm Dach verkommt Heinrich von Kleists hohes Pathos zum Cocktailparty-Witzchen.
Eine kriegerische Königin, die Küsse nicht von Bissen unterscheiden kann, zieht aus, um zeugungsfähige Männer zu entführen. Sie verliebt sich in einen, doch statt ihn wie geplant zum Sex zu zwingen, tötet sie ihn und zerfleischt ihn zusammen mit ihrer Hundemeute. Wahnsinnig wird sie darüber, am Ende schmiedet sie sich einen Dolch aus ihrer eigenen Verzweiflung und bringt sich damit um.
Nein: Ein wohltemperiertes, gefälliges Theaterstück ist Heinrich von Kleists Trauerspiel „Penthesilea“ mit Sicherheit nicht. Sondern ein Schocker. Extrem, grausam, blutrünstig. Lange Zeit war es völlig unpopulär. Kleists Zeitgenossen hatten kaum Verständnis für die – aus damaliger Sicht – zutiefst unweibliche Heldin, zumal sie dem Winckelmannschen Idealbild von „edler Einfalt“ und „stiller Größe“ ja nun rein gar nicht entsprach. Erst gute hundert Jahre später fand man ihre Zerrissenheit modern, Kleists antiklassisches Griechenlandbild realistischer als Goethes und Schillers hochglanzpolierten Götterolymp.
Jamben und Martinis
Wenn nun also Cornelius Schwalm das Kleistsche Trauerspiel im Theater unterm Dach in ein Ambiente wohlsituierter, gebildeter, um nicht zu sagen saturierter Bürgerlichkeit verlegt, so ist das allemal ein ungewöhnlicher Regieeinfall. In seiner Inszenierung frönt ein feinsinniger Lesezirkel der Kleist-Lektüre, zwischen Kronleuchtern, Seidenblusen, Cocktailkleidern und Teegebäck werden Jamben und Martinis konsumiert.
Mit den tatsächlichen historischen Reaktionen auf das Stück hat dieses Setting zwar wenig zu tun, und auch für die offensichtlich bezweckte Parodie bildungsbürgerlicher Klassiker-Rezeption hätte jedes beliebige andere Drama sicherlich besser getaugt als ausgerechnet die „Penthesilea“. Ihrem Charakter als Lesestück aber wird Schwalm so durchaus gerecht. Denn wie „Der zerbrochne Krug“ ist ja auch die „Penthesilea“ nicht wirklich für die Bühne geschrieben, das ständige Schlachtengetümmmel, die blindwütigen Hunde- und Elefantenhorden sind ohnehin nur mittels Botenbericht und Mauerschau darstellbar.
Ein seltenes Insekt: Der Text
Kleists vorangaloppierende, eruptive Sprache ersetzt die Handlung an vielen Stellen. Und gerade die Begegnung mit dieser Sprache, das irritierte Lesen und Rezipieren demonstrieren die fünf Akteure der Theatergruppe Mariakron (Helge Bechert, Sabine Langendorf, Andres Nickl, Katja Uffelmann, Verena Unbehaun) ausgiebig und lustvoll. In wechselnden Rollen kauen ein Herr Dr. Stock, eine Frau van der Vries und drei weitere Schöngeister sekundenlang auf jedem Wort herum, stellen den Text zur Schau wie ein seltenes Insekt. Kultiviert und kontrolliert geben sie sich zu Beginn, doch je höher der Martini-Pegel steigt, desto ausgelassener machen sie sich über die bleibende Fremdheit der Sprache lustig.
Eine halbe Stunde lang ist das ziemlich amüsant. Spätestens dann aber würde man doch gern auch mal in den Text hineinfinden. Man sitzt also da und wartet auf die Entwicklung: Wann werden diese korrekten Doktoren und steifen Madams aufhören zu giggeln und sich endlich gefangen nehmen lassen von Kleists mitreißender Sprache? Wann werden sie Anteil nehmen an Penthesileas inneren und äußeren Kämpfen, wann ihrer brutalen Erotik erliegen?
Am Ende ziehen sich alle aus
Sie bleiben unempfindlich. „Verflucht das Herz, das sich nicht mäßgen kann“ – selbst dieser schöne und verzweifelte Satz geht in dem nicht enden wollenden Gekicher unter, das hohe Pathos verkommt zum Cocktailparty-Witzchen. Während sich Penthesileas verbotene Liebe bei Kleist im Kannibalismus entlädt, nimmt man bei Schwalm bloß etwas erstaunt zur Kenntnis, dass sich am Ende alle ausziehen. Sex ex machina, sozusagen: Keinerlei glaubwürdiges Verführungsspiel, kaum ein emotionales oder wenigstens sprachliches Crescendo bereitet den unverhofften Gruppenbeischlaf vor. Die Schauspieler schlagen sich freilich allesamt wacker, wälzen sich bemüht orgiastisch auf dem Sofa herum. Wieso sie dazu nun aber den Kleist brauchten, bleibt ein Rätsel. Dass ihre halbnackten Körper mit den im Kampfgetümmel verknoteten Griechen-, Trojaner- und Amazonenleibern auf einem darüber hängenden Schlachtengemälde korrespondieren, macht das Szenario kaum aufregender.
Andres Nickl alias Herr Dr. Stock ist es schließlich, der sich das verbale Messer aus Reue und Entsetzen ins Herz stößt und den Abend damit beendet. Da ist man ein bisschen traurig, ja. Allerdings vor allem darüber, dass einen das Dahinscheiden dieser Penthesilea – trotz mancher guter Ansätze – leider vergleichsweise kalt lässt.
Nächste Vorstellungen am Samstag, den 17., Montag, den 19. und Dienstag, den 20. Dezember, jeweils um 20 Uhr im Theater unterm Dach, Danziger Straße 101/Haus 103. Karten zu 8/5 Euro unter 9 02 95 38 17.