In den Bornholmer Gärten wächst nicht nur allerlei Gemüse, sondern auch das freundschaftliche Miteinander im Kiez. Ein Besuch.
Fast wirkt es, als ob sich die kleine Laube im Garten von Margrét Rós Harðardótti und ihrem Mann verstecken würde. Nur schwer ist sie vom Weg aus zu sehen, vereinzelt blitzt ein Teil der hellgelben Wandfarbe hervor. Davor wächst das Gemüse massenweise: Kohl, Bohnen, Meerrettich, Salat. Manche Hochbeete wirken, als ob sie bald unter der Last zusammenbrechen. In allen Ecken stehen in Bottichen Tomatenstauden. Zwischendurch ragen ein paar Sonnenblumen und Kräuter hervor. Über all dem thronen ein Birnbaum und zwei Pfirsichbäume.
Harðardóttis Garten ist der Traum aller Städter*innen. Er befindet sich in der Kleingartenanlage Bornholm 1 im Skandinavischen Viertel in Prenzlauer Berg. Etwa 450 Gärtner*innen bepflanzen hier rund 236 Parzellen. Zusammen mit Bornholm II reichen sie von der Bösebrücke bis ungefähr zur Grundschule in der Ibsenstraße.
„Die sind bestimmt spießig“, dachte Harðardótti, als sie die Parzelle übernahm. Doch dann lernte sie die anderen Mitglieder kennen. Erst fing sie an, mit ihnen am Gartenzaun zu plaudern. Jetzt geht sie öfters mal rüber zum Kaffeetrinken oder lädt zum Sekt ein. Ihre Nachbar*innen findet sie toll, alle heißt sie bei sich willkommnen.
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Gegensätze ziehen sich an
Und so gibt es auch neben zugewachsenen Gärten wie dem von Harðardótti solche die das komplette Gegenteil sind. Der Rasen ist getrimmt, die Beete sind akkurat abgesteckt, kein Unkraut ist zu sehen. Zwischendurch sieht man ein paar Gartenzwerge. Alle haben hier ihre Daseinsberechtigung – so lange sie sich an die Regeln des Bundeskleingartengesetzes halten.
„Wir sind wirklich eine sehr gute Gemeinschaft aus Jung und Alt, Ost und West, Alteingesessenen und Hinzugezogenen. Jeder bringt das ein, was er kann und hat. Und gleichzeitig sind wir offen für den Kiez“, sagt Robert Ide, Journalist und Vorsitzender der Kleingartenanlage Bornholm I.
Das Leben in den städtischen Parzellen hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert. Im Vergleich zu anderen Kleingartenanlagen wird diese immer jünger und vielfältiger, ökologische und soziale Beiträge stehen im Vordergrund. Überhaupt ist hier schon immer alles ein wenig anders in den Bornholmer Gärten.
Vom Hungrigen Wolf zu den Bornholmer Gärten
Als 1896 die Kleingartenanlage entstand, befanden sich in Prenzlauer Berg noch Felder und Windmühlen. Damals errichteten vier Familien auf einem Stück Land die ersten kleinen Lauben. Weil damals viele Menschen zu wenig zu essen hatten, machten sie es den Hansens, den Kinds, den Putzkes und den Ritters nach. Sie legten Beete an, um ihre Ernährung mit Kartoffeln und Gemüse zu sichern. Manche hielten auch Ziegen und Hühner. Sie tauften die Anlage „Hungriger Wolf“.
Mit den Jahren gab es immer mehr Parzellen, sie erstreckten sich eine Zeit lang bis zur Schönhauser Allee. Als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht ergriffen, vertrieben sie die jüdischen Mitglieder aus der Anlage. Im Zweiten Weltkrieg platzierten sie eine Flakstation mitten auf dem Gelände, um die Bösebrücke gegen Luftangriffe zu verteidigen.
Nach Kriegsende erhielten die Gärten schließlich den Namen „Bornholm“. Die Gärtner*innen begannen die Anlage wieder zu bepflanzen, doch in der DDR-Zeit musste sie erneut als Lieferant von Obst und Gemüse für die Bevölkerung dienen. Dann kam der Abend des 9. November 1989 und 20.000 Menschen nutzen den Grenzübergang Bornholmer Straße, um in den Westen zu gelangen.
Die Leidenschaft verbindet
Wenn Ide heute durch Bornholm I geht, dann steht das Miteinander im Vordergrund. Ein kurzes Hallo hier, ein Winken da. Immer wieder hält er kurz an, um sich zu unterhalten. Auch mit Hanne Walter. Sie bittet ihn in ihren Garten reinzukommen, zeigt ihre Kürbisse. Groß wie Fußbälle sind sie. Und es sind viele. Walter bietet ihm welche an, doch davon hat Ide selbst genug. Die Ernte wird gut dieses Jahr, sagen beide: Kürbisse, Bohnen und Tomaten gibt es in riesigen Mengen.
Walter hat wieder Black Cherry angebaut. Schnell macht sie welche ab und bietet sie zum Probieren an. Die Tomaten sehen unscheinbar aus. Doch nach einem kleinen Biss zerplatzen sie im Mund, der Geschmack kommt unerwartet. Süß sind sie. Ide ist begeistert. Davon möchte er auch welche haben. Kein Problem, sagt Walter. Dann fachsimpeln die beiden über den Anbau von Tomaten und Wein. Die gemeinsame Leidenschaft verbindet.
Der große Streit
Tatsächlich war das in den Bornholmer Gärten nicht nicht immer so. Vor ein paar Jahren gab es einen großen Streit: auf der einen Seite die älteren, alteingesessenen Kleingärtner*innen, die alles bewahren wollten, auf der anderen Seite die jungen Familien, die neu reingekommen sind und auf einmal alles öffnen wollten. Die Parteien zofften sich, Anwält*innen wurden eingeschaltet, eine Mitgliederversammlung fand statt.
Ide mischte sich ein, ließ sich zum stellvertretenden Vorsitzenden wählen, half bei der Versöhnung. „Das war der Moment, wo ich mehr oder weniger spontan gesagt habe, wir können so nicht weitermachen. Entweder wir machen das zusammen oder wir werden hier alle platt gemacht“, erzählt er.
Tatsächlich öffnete sich die Anlage danach und für jede*n war von nun etwas dabei: die traditionellen Feste für die Älteren, offene Gärten für die Jüngeren. Dadurch seien alle eigentlich erst zusammengewachsen, glaubt Ide.
Kiez trifft Kleingärten
Mittlerweile finden die Fête de la Musique, das Artspring-Festival und ein Erntedankfest regelmäßig in den Bornholmer Gärten statt. Dann stehen auch die Gartentörchen zu den Parzellen allen aus dem Kiez offen, um sie zu besuchen. Allein beim Erntedankfest besuchen bis zu 2.000 Menschen an zwei Tagen Bornholm I und Bornholm II, sagt Ide.
Mittags kommen Rentner*innen, die eine Kleinigkeit essen wollen. Nachmittags schauen sich Familien einzelne Parzellen an. Abends wollen die Leute zu Livemusik tanzen. „Das Schöne ist eigentlich, da trifft sich die ganze Mischung, von der man denkt, die gibt es in Prenzlauer Berg gar nicht mehr. Wo hast du das noch, dass sich alle noch so miteinander treffen können?“, fragt er.
Geteiltes Glück
Besonders stolz ist Ide aber auf den sogenannten „Schleifengarten“. Denn in der Wendeschleife der Tram-Linie 50 in der Björnsonstraße befindet sich mittlerweile ein Gemeinschaftsgarten, den er mit aufgebaut hat. Da, wo bis vor einigen Jahren DDR-Garagen standen, wachsen heute Pflanzen. Statt auf grauen Beton zu schauen, können alle Nachbar*innen aus dem Kiez nun ihr eigenes Gemüse und Kräuter ernten – auch wenn sie keinen eigenen Kleingarten besitzen.
„Wir wissen, dass wir ganz viel Glück haben. Aber das Glück teilen wir auch gerne“, bestätigt Harðardótti. Sie habe selbst mehrere Jahre von der Öffnung der Gärten profitiert, nun möchte sie etwas an den Kiez zurückgeben. An den Toren der Gärten hängen große Bündel Rosmarin, auf den Wegen davor stehen kleine Körbe mit Äpfeln, in Schüsseln liegen Tomaten. Überall können sich die Nachbar*innen aus der Umgebung etwas von der Ernte der Gärtner*innen mitnehmen.
Täglich spazieren Menschen in Ruhe durch die Kleingartenanlage, Kinder fahren auf Fahrrädern, manche Leute machen hier ihren Sport. Oder sie besuchen das Vereinslokal in Bornholmer Gärten. Anfang nächsten Jahres können sie dann auch die neuen Pächter*innen kennenlernen. Vielleicht gehören sie auch zu ihren Nachbar*innen im Kiez.
Titelfoto: Margrét Rós Harðardótti und ihr Mann besitzen eine Parzelle in den Bornholmer Gärten. / Foto: Christina Heuschen