Das Blumenviertel ist geprägt von Kleingärten, Einfamilienhäusern und dem Volkspark Prenzlauer Berg. Man kann dort gut der großstädtischen Aufgeregtheit entfliehen.
Das muss vielleicht gleich zu Beginn gesagt werden: Das Schönste am Blumenviertel ist, dass es keinen Raum bietet für das Sehen und gesehen werden. Keine Straße wird zum Laufsteg, es gibt niemanden, der hinter einer großen Glasscheibe mit bedeutungsschwangerer Miene auf seinen Laptop einhackt und Kaffeetrinken als Event zelebriert. Es gibt keine lange Schlange vor einem hippen Eisladen und kein Aperol-Spritz trinkendes, saturiertes Bürgertum auf Bürgersteigen.
Glücklicherweise. Das hat etwas sehr Beruhigendes und Unangestrengtes. Das Blumenviertel im östlichsten Prenzlauer Berg führt ein eher randständiges, heimeliges Leben zwischen Jüdischem Friedhof und Storkower Straße, zwischen Kniprodestraße und dem Volkspark Prenzlauer Berg.
Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Kiezgeschichten“
Natürlich muss ich als erstes, um dem Namen des Viertels gerecht zu werden, durch die drei Kleingartenanlagen namens „Neues Heim e.V.“, „Grönland e.V.“ und „Volkspark Prenzlauer Berg e.V.“ spazieren gehen. Denn dort wächst nicht nur Gemüse, hier blüht es jetzt auch üppig, vor allem Rosen, Jasmin und Lilien sind hier zu sehen. Am Ende des Hauptweges befindet sich eine Voliere, in der auf der einen Seite Wellensittiche, auf der anderen Seite größere Sittiche sitzen. Ein paar Schritte weiter kann man im Biergarten „Zur Laube“ deftig essen, ein mit Kreide beschriebenes Schild verkündet Kasseler, Gulasch und Rouladen, außerdem Matjes und Brathering. Vegetarier*innen und Veganer*innen haben es schwer.
Die „Laube“ begrenzt nicht nur das Blumenviertel, sondern auch die Bezirke: die gegenüberliegenden Tennisplätze gehören schon zu Lichtenberg. Deshalb gehe ich erst einmal in den Volkspark Prenzlauer Berg. Das 29 Hektar große Areal entstand nicht aus landschaftsarchitektonischen Ambitionen, sondern aus den Ruinen der zerbombten Stadt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte man hierher etwa 15 Millionen Kubikmeter Trümmer und Schutt aus dem Gebiet um den Alexanderplatz und baute einen hügeligen Park, der vermutlich nicht der ästhetisch formvollendetste ist, aber eben auch nicht übernutzt ist mit allerlei Freizeitmöglichkeiten. Hier darf sich die Natur noch Raum verschaffen, es ist alles etwas verwildert. Auch die Wiese nördlich des Parks darf wachsen. Die Stiftung Naturschutz Berlin informiert, dass hier nicht gemäht wird und Ende Juni tagsüber für Erwachsene und Kinder ein Kurs stattfindet, der da lautet: „Dengeln, Mähen, Heumachen“.
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Ich spaziere weiter durch das Blumenviertel. Auch in den Vorgärten dieser Siedlung mit Einfamilienhäusern blüht es, man glaubt sich an der Nordsee, denn hier sind die Straßen nicht nach Blumen benannt, sondern heißen Stedingerweg, Ochtumweg, Süderbrokweg. Doch wo sind die Menschen? Niemand ist zu sehen, niemand ist zu Fuß unterwegs. Kein Mensch, nirgends. Nur ein paar Autos huschen durch die Straßen. Hier fährt man morgens zur Arbeit in die Innenstadt und kommt abends wieder. Vermutlich ist deshalb alles auf eine beruhigende Weise beschaulich und friedvoll.
Vielleicht war hier deshalb der perfekte Ort für das „Peace of Land“. In der Straße Am Weingarten gab es einen 4.000 Quadratmeter großen Gemeinschaftsgarten, den die Gärtner*innen im Sinne der Permakultur bewirtschafteten. Seit 2016 bauten sie hier ökologisch an, kompostierten und verarbeiteten Lebensmittel. Sie schafften ein kleines Naturparadies. Nun liegt dort eine Brache, weil der Bezirk für die Grundschule im Blumenviertel eine Turnhalle baut.
Das Peace of Land ist vorerst im Exil an der Kulturmarkthalle, einige hundert Meter entfernt im benachbarten Mühlenviertel. Doch gleich dahinter gibt es noch das kleine Weinanbaugebiet des Fördervereins Weingarten Berlin e.V. Bis 1999 war auch hier eine Brache, doch dann setzten Vereinsmitglieder etwa 400 Rebstöcke an. Seitdem laden sie Anwohner*innen jedes Jahr zu Traubenernte ein, die sie später zu Wein verarbeiten.
Es scheint, dass dieses Viertel prädestiniert ist für allerlei Experimente in Sachen Naturschutz und Gartenanbau – Heumachen, Permakultur, Weinlese. Und das mitten in Berlin. Da versucht man auch ganz schnell wieder wegzuschauen, wenn man unweit Kaufland sieht, dieses Monstrum des Einzelhandels. Dieser ist dann auch gleich Teil der Lokalpolitik. Es geht um zu viel Durchgangsverkehr, um Zufahrten über das Blumenviertel zum Supermarkt und damit automatisch um die Schließung der Zufahrt an das Gewerbegebiet an der Storkower Straße. Kurzum: Im Blumenviertel gibt es im Verhältnis ein hohes Verkehrsaufkommen, zumal die Straßen auch gerne als Abkürzung genommen werden, um die Landsberger Allee oder die Storkower Straße zu umgehen. Spätestens an dieser Stelle weiß man, dass man wieder in der Großstadt ist.
Jetzt heißen aber endlich auch die Straßen wie Blumen: Maiglöckchen, Schneeglöckchen, Oleander, Chrysanthemen. Einfamilienhäuser wechseln sich ab mit Stadtvillen – eine wird im Internet für fast zwei Millionen Euro angeboten – und Wohnanlagen. Die Wohnhäuser, 1962 erbaut, sind vorwiegend viergeschossig, auf den Grünflächen zwischen den einzelnen Gebäuden spielen Kinder. Eine alte Frau geht mit ihrem Hund spazieren, ein Mann bringt seine Einkäufe mit dem Fahrrad nach Hause. Ansonsten ist es eher still auf den Bürgersteigen.
Bevor ich diesen Umstand feiern kann und mich freue, dass hier niemand damit beschäftigt ist, bloß nicht normal zu sein, stehe ich auf einmal auf der Landsberger Allee. Und da ist es wieder, das Berlin, das ich kenne und sich so schnell ändern kann zwischen zwei Straßen, die aufeinanderfolgen. Prompt fällt mir Karl Schefflers 1910 erschienener Klassiker „Berlin – ein Stadtschicksal“ ein. Dort heißt es in den letzten Zeilen, Berlin sei dazu verdammt, „immerfort zu werden und niemals zu sein“.
Titelbild: Peter Schulz