Toilette

Pankows Pinkel-Problem

von Sonja Koller 13. September 2022

Wohin, wenn die Blase drückt? Öffentliche Toiletten sind in Prenzlauer Berg Mangelware – vor allem für Frauen. Bezirk und Senat machen jetzt erste Schritte, um das zu ändern.


„Haben wir nicht größere Probleme?“ mögen manche Menschen bei dem Thema denken, aber: die Nutzung von Toiletten ist ein Grundbedürfnis, welches die Aufenthaltsdauer in Parks oder die Länge eines Spaziergangs in Prenzlauer Berg für Menschen häufig verkürzt. Zumindest dann, wenn sie aus anatomischen Gründen nicht im Stehen pinkeln können oder es nicht möchten. Vor allem während der Hochphase der Pandemie, in der ein schnelles Austreten in Cafés und Restaurants aufgrund der Schließungen nicht möglich war, mussten Menschen mit Blasenschwäche ihre Ausflüge ins Freie genau planen.

Zwischen Autos oder in den Busch zu pinkeln ist außerdem für all jene, die für den Toilettengang ihr ganzes Hinterteil entblößen müssen, nicht nur peinlich, sondern auch risikobehaftet. Weltweit ist der Gang zur Toilette einer der gefährlichsten für Frauen überhaupt, begeben sie sich dafür doch oft gezwungenermaßen in dunkle, uneinsehbare Ecken.

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Zahlen, um Fehlnutzung vorbeugen

Es ist für Menschen ohne Penis aber nicht nur unangenehmer und zeitaufwendiger, eine Toilette an öffentlichen Orten aufzusuchen, es ist auch teurer. Denn während man(n) Pissoirs in der Öffentlichkeit kostenlos benutzen kann, wird für einen Gang auf die kleinen Toilettenhäuschen immer etwas fällig. Es sind zwar nur 50 Cent, aber manchmal hat man gerade einfach kein Geld dabei – oder wird sich bewusst, dass so über die Jahre ein ganz schöner Betrag zusammenkommt, den man lieber gespart hätte. Geht Frau etwa zweimal die Woche für 50 Cent auf eine öffentliche Toilette, kommen im Jahr schon über 50 Euro zusammen. Geld, das Menschen, die im Stehen pinkeln können, für andere Dinge zur Verfügung steht.

Für die Pankower SPD-Fraktion, die sich auch für kostenlose Menstruationsprodukte in öffentlichen Gebäuden einsetzt, ein untragbarer Zustand. „Noch immer verdienen Frauen rund 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen und tragen bis heute die Hauptlast, wenn es um Pflege-Sorge-Arbeit geht. Auch die Renten von vielen Senior*innen sind auf niedrigem Niveau. Es sind mehrheitlich die Frauen, die nachmittags auf den Spielplätzen mit ihren Kindern unterwegs sind. Selbst für das Wickeln ihrer Kleinkinder fallen Kosten an“, heißt es in der Begründung eines Antrags, der in der Bezirksverordnetenversammlung Ende August mehrheitlich beschlossen wurde. Die Fraktion fordert, dass sich das Bezirksamt bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz dafür einsetzt, die Toilettennutzung in Pankow zukünftig kostenfrei zu machen.

Pissoirs sind kostenlos, „richtige“ Toiletten nicht – und Frauen damit benachteiligt / Foto: Sonja Koller

 

Immer wieder Vandalismus

Warum die Toiletten, anders als Pissoirs, überhaupt kostenpflichtig sind? „Da nur so Fehlnutzungen vorgebeugt werden kann“, heißt es seitens der Senatsverwaltung. In Berlin kommt noch eine weitere Hürde auf Menschen zu, für die Wildpinkeln keine Option ist: Seit Ende Dezember 2021 sind die Berliner Toiletten Ziel einer Einbruchserie. Vandalismus machte, selbst wenn man eine Toilette gefunden und dafür bezahlt hat, den Besuch in den letzten Monaten oftmals unangenehm.

Dabei sind wir in Berlin selbst im europäischen Vergleich relativ gut ausgestattet, wie Staatssekretär Markus Kamrad versichert: „Die Versorgung mit öffentlichen Toiletten in Berlin ist dank des Berliner Toilettenkonzepts moderner und besser als in den meisten anderen Städten Europas.“ Trotzdem ist auch er der Meinung, dass die kostenfreie Bereitstellung öffentlicher Anlagen grundsätzlich wünschenswert wäre. „Dazu bedarf es neben einer langfristigen Finanzierung über den Haushalt aber auch eines Nutzungsverhaltens, welches das ermöglicht. Wir erproben in den kommenden Monaten, welcher Weg gangbar ist.“

 

Pink(el)-Revolution

Und damit zur guten Nachricht: Die Senatsverwaltung und die Wall GmbH testen seit dem 15. August 2022 zunächst für sechs Monate neue Zugangsmöglichkeiten zu den öffentlichen Berliner Toiletten. So sind berlinweit 50 Toiletten bis zum 15. Februar 2023 erstmals komplett kostenfrei zugänglich, die übrigen wurden auf reine Kartenzahlung umgestellt. Nach einer Evaluation der halbjährigen Testphase wird im Laufe des nächsten Jahres entschieden, nach welchem Zugangskonzept der Toilettenbetrieb zukünftig erfolgen soll.

Deshalb: Pinkelt, was das Zeug hält! Denn nur wenn das Angebot auch angenommen wird, bleiben die Toiletten kostenlos. Neben der Entwicklung der Nutzungszahlen liegt auch ein Fokus auf der Beobachtung, wie sich der Vandalismus und die „Fehlnutzung“ bei kostenloser Bereitstellung entwickeln. Die beiden Faktoren sind entscheidend dafür, ob eine kostenlose Nutzung aller Toilettenanlagen mit vertretbarem Aufwand möglich sein wird. Im Moment ist der Nutzen der Aktion für Prenzlauer Berg aber noch überschaubar: Gerade einmal zwei Toiletten, jene am Falk- und am Helmholtzplatz, stehen in den nächsten Monaten ohne Münzeinwurf zur Verfügung.

 

Eine Toilette für 15.033 Menschen

Das Problem bleibt also bestehen: Obwohl nun mehr Toiletten als bisher kostenlos zugänglich sind, gibt es in Prenzlauer Berg für 165.364 Einwohner*innen nur elf vom Senat zur Verfügung gestellte Toilettenhäuschen, wovon zehn barrierefrei nutzbar sind. In ganz Pankow sind es insgesamt 24. Zusätzlich dazu gibt es berlinweit noch Toiletten von anderen Anbieter*nnen, in Prenzlauer Berg betrifft das aber nur jene im Mauerpark.

Jede der Anlagen wird am Tag durchschnittlich 17 Mal genutzt. Das geht aus Zahlen der Senatsverwaltung hervor. Aus eigener Erfahrung werden viele wissen, dass sie sich vor den öffentlich zugänglichen Toiletten zwar selten in lange Schlangen einreihen müssen; die geringe Anzahl an Toilettenhäuschen aber macht es vielen Menschen schwer, überhaupt eines davon anzusteuern. Denn ist die nächste Toilette zu weit weg, verzichtet man vor allem abends lieber auf den Umweg oder lässt einen Parkbesuch gleich ganz ausfallen.

 

Ein neues Konzept für Toiletten

Dabei gibt es schon Alternativen zum Toilettenhäuschen: Frauen-Urinale. In dieser Art von Urinalen ist es– anders als bei jenen, die für Menschen mit Penis gestaltet sind – dank einer Rinne möglich, dass der Urin von oben, der Seite oder von vorne auf das Urinal trifft, ohne wieder wegzuspritzen. Um die Konstruktion herum könnte eine Wand, wie wir sie von Duschkabinen kennen, vor Blicken schützen.

2017 haben Interessensvertreter*innen und Bürger*innen das Konzept sogar im Rahmen eines Partizipationsprozesses diskutiert. Letztendlich wurde die Idee aber verworfen, weil laut Senatsverwaltung„die Akzeptanz solcher Urinale – und damit die erwartbare Nutzung – zu der Zeit zu wenig ausgeprägt war.“

Im Rahmen eines Innovationsprojektes für autarke Toilettenanlagen in Berlin will die Verwaltung aber jetzt untersuchen, ob sich die Akzeptanz für Frauen-Urinale in den vergangenen fünf Jahren erhöht hat. Auf ein bestimmtes Urinal-Modell hat man sich bei dem Test noch nicht geeinigt, fest steht aber, dass es auch für Menschen mit weiblichen Geschlechtsorganen das kostenlose Pinkeln ermöglichen soll.

 

Titelbild: Claire Mueller / Unsplash

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