Güterbahnhof

In den Händen des Investors

von Julia Schmitz 19. Mai 2022

Schulneubau oder Wohntürme? Die jahrelange Diskussion über das Grundstück an der Lilli-Henoch-Straße 10 hat die Bezirksverordnetenversammlung in zwei Lager geteilt. Doch jetzt gibt es eine Entscheidung.


Als bei der Sitzung am Abend des 4. Mai das Abstimmungsergebnis auf der Leinwand angezeigt wird, geht das sprichwörtliche Raunen durch die Runde: 31 der anwesenden Bezirksverordneten haben sich gegen eine „Verlängerung der Veränderungssperre“ für das Grundstück Lilli-Henoch-Straße 10/12 ausgesprochen, 21 stimmen mit Ja. Die Entscheidung, die hinter dem bürokratischen Antragstitel steckt, bringt ein enormes Konfliktpotential mit sich.

Denn mit der Veränderungssperre, die Anfang 2019 – ebenfalls mit einer Mehrheit – beschlossen wurde, hatte das Bezirksamt nicht nur ein Machtwort gesprochen, sondern sich auch Luft verschafft. Auf dem 28.000 Quadratmeter großen Areal zwischen den S-Bahnhöfen Greifswalder Straße und Prenzlauer Allee plant Grundstücksbesitzer Christian Gérôme seit Jahren den Bau von mehreren Wohnhäusern; der Bezirk hingegen möchte dort eine Oberschule bauen, um dem Schulplatzmangel entgegenzuwirken.

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Weg frei für Investor

Doch es erfordert Zeit und Personal, um einen Bebauungsplan aufzustellen. Pankow hat von beidem grundsätzlich zu wenig, einen B-Plan gibt es bis heute nicht. Und neben Schulplätzen ist auch Wohnraum im Bezirk ein knappes Gut. Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und AfD sprachen sich bei der Abstimmung Anfang Mai deshalb gegen eine Verlängerung der Sperre aus und machten damit den Weg frei für den Investor Gérôme. Die SPD-Fraktion, deren Stadträtin Rona Tietje den Antrag gestellt hatte, reagierte empört.

„Die Grünen, CDU und AfD stehen seit dem 04.05.2022 für charakterlose parlamentarische Umgangsformen, erkennen Handlungserfordernisse nicht an und zementieren die Unterversorgung der Schülerinnen und Schüler im Bezirk Pankow und vor allem im Prenzlauer Berg. Scheinbar haben stattdessen die Gewinnabsichten des Investors nun eine Mehrheit in der BVV Pankow. Das ist verantwortungslos“

 

schrieb Fraktionsvorsitzender Roland Schröder (SPD) in einer Pressemitteilung. Kritik kam auch von links: „Ohne einen Bebauungsplan läge die Entwicklung dieses großen innerstädtischen Areals in den Händen eines Grundstücksspekulanten“, schreibt Fred Bordfeld, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Pankower Linksfraktion.

 

Neue Abstimmung

In dieser Woche kamen die Bezirksverordneten deshalb auf Antrag von Rot-Rot zu einer erneuten Abstimmung in der Fröbelstraße zusammen. Bereits im Vorfeld hatte die Fraktion der Grünen vermeldet, auch diesmal nicht anders zu votieren. Die Fraktion der Grünen sei natürlich für den Schulneubau, betonte der Bezirksverordnete Karsten Gloger. „Das klappt aber nur, wenn wir uns mit allen Beteiligten an einen Tisch setzen – also auch mit dem Investor.“ Dieser hatte in einer Mail an die Verordneten geschrieben, sein Bauvorhaben stünde in keinem Widerspruch zu dem Bau einer Schule und dass er zu Verhandlungen über den Austausch von Flächen bereit stünde. Sollte der Bezirk das Angebot annehmen, verzichte er bis September dieses Jahres darauf, einen Bauantrag zu stellen.

Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD) sieht ohne Veränderungssperre aber schwarz für den ehemaligen Güterbahnhof. „Es gibt keine Möglichkeit, den Investor zu verpflichten, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen oder Einfluss auf die Gestaltung des Areals zu nehmen“, sagte sie am Mittwoch. Wenn Christian Gérôme jetzt Bauanträge für sieben oder 17-geschossige Hochhäuser stelle, was er bereits einmal getan habe, müsse das Bezirksamt darüber entscheiden. „Maßgeblich ist dann alleine, ob sich seine Bauvorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und die Erschließung gesichert ist.“ Und dieser Maßstab könnten auch die Hochhäuser im Thälmannpark sein. Ob auf dem verkleinerten Gelände dann noch eine Oberschule gebaut werden könne, sei strittig. „Wenn, dann wäre das ein Gymnasium ohne die notwendigen Sport- und Außenflächen, ohne Laufbahn, ohne Kleinspielfeld“, sagte Tietje in einer emotionalen Ansprache an die Verordneten.

 

Bahn frei für Investor

Doch alles Bitten der Stadträtin blieb ungehört. Über eine Stunde diskutierten die Fraktionen mit heißen Köpfen; selten gab es in einer Bezirksverordnetenversammlung so viele gegenseitige Anschuldigungen und Boshaftigkeiten. „Eine Mehrheit der BVV plant, ein etabliertes Verfahren aufzuheben, um sich als Bittsteller an den Tisch eines Investors zu setzen“, sagte Fred Bordfeld (Linke); CDU-Fraktionsvorsitzende Denise Bittner kritisierte, dass seit dem Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan vor drei Jahren nichts passiert sei und der Schulbau auf diese Weise noch länger hinausgezögert werde.

Am Ende fiel das Ergebnis deckungsgleich zur ersten Abstimmung aus: SPD und Linksfraktion stimmten für die Verlängerung der Veränderungssperre, Grüne, CDU, FDP und AfD hielten erneut geschlossen dagegen. Christian Gérôme hat nun freie Bahn für seine Bauprojekte. Und durch die Bezirksverordnetenversammlung zieht sich ein tiefer Riss.

 

Titelbild: Das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs wird derzeit zwischengenutzt, u.a. durch das Kulturprojekt Discobabel e.V. / Foto: Julia Schmitz

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