Champagner und Bier ohne Umdrehungen: Im ‚Mindful Drinking Club‘ auf der Prenzlauer Allee kann man fast nur alkoholfreie Getränke kaufen. Warum?
Dies ist ein Text aus unserer Reihe
Was soll das?
Die Geburtstagsfeier einer schwangeren Freundin stellt mich vor die Frage: Was bringe ich bloß zum Trinken mit? Als Teenager haben wir uns mit Kindersekt und klebriger Limonade zufriedengegeben, aber ich befürchte, dass ein Six-Pack Capri-Sonne heute eher nostalgisches Kichern als anhaltende Begeisterung ernten würde.
Auf der Prenzlauer Allee in Prenzlauer Berg stoße ich auf den Mindful Drinking Club. In dem liebevoll gestalteten Raum bieten Jennifer Kießling und Maximiliam Lielje seit einem Jahr alkoholfreie Alternativen für Erwachsene an. Das Angebot reicht von Schaumweinen über Drinks auf Kombucha Basis bis hin zu Sparkling Tea.
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Weinalternativen und Saft
„Am häufigsten fragen uns Kund*innen nach alkoholfreiem Wein. Wir bieten lieber Weinalternativen, sogenannte Wein-Proxys (Wine Proxies), die in ihrer Komplexität den Weinen nachempfunden sind“, erklärt Lielje. „Die Weinproxyrichtung hat sehr viel Potential“, betont auch Kießling. „Die Getränke werden komplexer, zum Teil wirken sie noch ein bisschen edgy. Das ist für die Getränkebegleitung sehr spannend. Man kann ja nicht unbegrenzt Saft zum Essen trinken.“
Saft führt der Mindful Drinking Club allerdings auch, und zwar sortenrein. Ich bekomme einen hundertprozentigen Quittensaft zum Probieren, der zu Lieljes Favoriten zählt. Er schmeckt sehr fruchtig, aber nicht zu süß, da bei den hier im Sortiment enthaltenen auf zusätzliche Süßungsmittel verzichtet wird.
Das Narrativ ändern
Auch bekannte Marken von Alkoholanbietern sucht man hier vergeblich. Der Mindful Drinking Club setzt auf ausgewählte Label, anstatt auf Masse. „Die großen Firmen, die ebenfalls alkoholfreie, meist entalkoholisierte Produkte herstellen, führen wir zwar nicht im Laden, sind aber dankbar dafür, dass sie durch ihr Angebot alkoholfreies Trinken normalisieren“, so Kießling. Außer den Nullprozentigen Alternativen führen Kießling und Lielje auch einige Getränke mit niedrigem Alkoholgehalt.
„Häufig fühlen sich Menschen einem bestimmten Lager angehörig; diejenigen, die Alkohol konsumieren und die, die es nicht tun. Wir betrachten dieses Thema gar nicht radikal und beobachten glücklicherweise ein Umdenken in der Kommunikation. Es ist doch absurd, sich dafür schämen zu müssen, wenn man keinen Alkohol trinkt. Wir möchten dieses Narrativ ändern.“
Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtanfragen e.V. (DHS) ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Reinalkohol pro Jahr zwischen 1970 und 2019 um 4,2 Liter gesunken. Der Deutsche Brauer-Bund (DBB) gibt eine Steigerung des Marktanteils von alkoholfreiem Bier und Malzgetränken von 53 Prozent im Vergleich zwischen den Jahren 2010 und 2020 an. Dann hat uns die Pandemie also nicht vermehrt zu Hochprozentigem greifen lassen, frage ich Maximilian Lielje.
Reduzierter Alkoholkonsum
„Die Pandemie hat einiges verändert. Viele haben in dieser Zeit ihren Alkoholkonsum reduziert“, vermutet er. „Ich würde den sinkenden Alkoholkonsum in der Gesellschaft nicht als Trend beschreiben, sondern als nachhaltige Entwicklung. Man achtet heute allgemein stärker darauf, was man zu sich nimmt. Uns ist es übrigens sehr wichtig, dass möglichst viele unserer Produkte aus der Region kommen oder Bio-zertifiziert sind.“
Kießling und Lielje würden ihr Sortiment gerne ausschließlich lokal beziehen, wofür die Produktionsstrukturen aber noch nicht reichen. Ein Großteil ihres Angebots kommt allerdings bereits aus Deutschland und sie hoffen, dass in Zukunft mehr Getränkehersteller auch alkoholfreie Produktion wagen. Die Idee für den Mindful Drinking Club kam von Jennie Kießling, die zuvor lange in der Gastronomie tätig war und über die Begeisterung für Geschmackspaarungen in der Gastronomie zum Thema alkoholfreier Genuss gelangt ist.
Weniger ist mehr
Manchmal, erzählt sie, muss sie sich noch abfällige Kommentare anhören oder erlebt, dass Sommeliers demonstrativ den Raum verlassen, wenn sie bei einer Beratung auf alkoholfreie Alternativen eingeht. „Das ist sehr schade, denn ich will nichts wegnehmen, sondern im Gegenteil einen Mehrwert generieren.“
Ich nehme an diesem Tag einen Sparkling Tea mit Rhabarber und Rosenwasser mit zu der Geburtstagsparty. Nicht nur ist das Getränk alkoholfrei, die Flasche sieht auch schöner aus, als die meisten im Supermarkt erhältlichen alkoholischen Alternativen. Meine Freundin ist begeistert, dass sie auf ihrer Feier statt mit Wasserglas mit einem alkoholfreien rosa schimmernden Perlgetränk anstoßen kann. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr.
Titelbild: Katharina Angus